Historischen Bestand respektieren

Die Zukunftsfähigkeit städtischer Denkmäler

Das charakteristische Bild einer denkmalgeschützten Altstadt spiegeln Städte wie Rothenburg ob der Tauber, Heidelberg oder Soest in Westfalen wider. Ihr Erscheinungsbild ist als Denkmalbereich oder Gesamtanlage geschützt. In Städten wie Köln oder Ulm sind es den Stadtraum dominierende Stadt- oder Domkirchen an teils riesigen Plätzen, die als stadtbildprägende Baudenkmäler und historische Orte für jedermann präsent sind. Entstanden sind diese heute charakteristischen „Kirchplätze“ erst im 19. Jahrhundert durch Abbruch von historischer Bausubstanz und die inszenierte Freistellung der Monumentalbauten.

 

Einen Gegenpol stellen Neubauten des 20. Jahrhunderts dar, in Ulm das Stadthaus von Richard Meier und in Köln das Museum Ludwig, welche diese Freiräume neu besetzen und das bisherige Bild interpretierend und inszenierend weiterentwickeln. Diese heute denkmalwerten Architekturen geben den großen historischen Kirchenbauten einen aktuellen Kontext und erzählen eine neue Stadtbildgeschichte. Anders war es nach dem Zweiten Weltkrieg, als altbewährte Stadtbilder durch Wiederherstellung und Rekonstruktion das Erinnerungsbild der klassischen Wohn- und Handelsbauten reproduzierten wie Münster in Westfalen oder Freiburg im Breisgau. Häufig sind es keine reinen Rekonstruktionen, sondern vielmehr Interpretationen unter Beibehaltung der Parzellenstruktur und wesentlicher Gestaltungsprinzipien, z. B. die Kaiser-Joseph-Straße in Freiburg oder der Prinzipalmarkt in Münster. Charakteristische Fortentwicklungen der Städte sind überdies mit dem Entstehen von Bahnhöfen, Industrieanlagen und Kirchen des 19. bzw. 20. Jahrhunderts verbunden.

 

Was geschieht, wenn sich die gesellschaftliche Wertschätzung, der Bedarf und der Umgang mit diesen Baugattungen wandelt? Können diese Bauten für Wohnen und Arbeiten umgenutzt werden? Und wenn ja, was macht das mit der Stadtkultur?

 

Gerade im städtischen Raum sind Denkmäler hochwertige Immobilien zum Wohnen und Arbeiten, die sich durch besondere Lage, Raumqualitäten und individuelles Flair für die Nutzer auszeichnen, so etwa in Altstadtbereichen, wo Handel in den Erdgeschossen und Wohnen in den Obergeschossen traditionell verankert ist. Die ehemals als Lagerflächen genutzten Dachgeschosse sind allzu oft Objekt der Begierde für hippes Wohnen. Kreative, architektonisch anspruchsvolle Umnutzungen von Industrieanlagen und Sakralbauten können ebenfalls gelungene Beispiele sein. Als vielschichtige Geschichtsquellen enthalten diese Bauten Informationen zur spezifischen Lebensweise und Arbeitswelt der Entstehungszeit über mehrere Generationen bis zur Gegenwart. Dabei sind die charakteristischen Grundrissstrukturen wie Großräumigkeit, Lichtführung etc. durch geschickte Integration neuer Nutzungsinteressen nachvollziehbar zu bewahren. Die Erhaltung bzw. denkmalfachlich geprägte Fortschreibung des historischen Bestandes tragen auch zur Einsparung von Flächen, Rohstoffen und Energie bei. Leerstand oder Abriss können damit vermieden werden.

 

Baudenkmäler zeichnen sich durch handwerkliche, konstruktive, architektonische, werkstoffliche und gestalterische Besonderheiten aus, etwa sorgfältig behauene Werksteine, vielfältig gestaltete Füllungstüren oder fantasievolle Dekorationen. Genau diese gilt es zu bewahren und mitsprechen zu lassen.

 

Wie erreicht man aber, dass Instandsetzung oder Umnutzung denkmalgerecht und zugleich wirtschaftlich planbar bleiben? Grundlegend für die Erhaltung und Nutzung dieser Baudenkmäler ist eine sorgfältige und frühzeitige Erfassung des Bestandes. Die Hilfsmittel sind inzwischen denkbar einfach und bewährt: Bauaufmaß, Bauforschung und Schadensanalyse. Diese helfen nicht nur, die charakteristischen Merkmale, Qualitäten und Schwachpunkte des Gebäudes richtig einzuschätzen, sondern geben Bauherren und Architekten frühzeitige Kosten- und Planungssicherheit. An den Architekten liegt es dann, sie in einen denkmalgerechten und zukunftsfähigen Entwurf umzusetzen.

Die Denkmalfachbehörden in den einzelnen Bundesländern, aber auch die zuständigen Unteren Denkmalbehörden beraten die Denkmaleigentümer und Architekten, die Werte zu vermitteln bzw. mit den Handwerkern und Architekten fachgerechte Instandsetzungskonzepte zu entwickeln. Über die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (VDL) werden fachliche Synergien genutzt. Moderne Nutzungsanforderungen, aktuelle Bauvorschriften und der gesetzliche Auftrag der Denkmalpflege sind zu einem tragfähigen Konzept zusammenzuführen. Auch Maßnahmen zur energetischen Ertüchtigung erfordern ein individuelles, auf den historischen Bestand abgestimmtes Herangehen. Planerische Herausforderungen wie die Einbindung technischer Ausstattung von Industriedenkmälern, die häufig einen wesentlichen Wert der historischen Aussagekraft bilden, stellen in gelungenen Projekten Alleinstellungsmerkmale und einen besonderen Reiz für die Immobilie dar. Auch aktuelle Nutzungsideen wie Senioreneinrichtungen in den Stadtkernen können durch sensible Umnutzung und Fortentwicklung der Umgebung von Denkmälern zu außergewöhnlichen Häusern werden, beispielsweise durch Ergänzung eines Wohnwirtschaftsgebäudes mit einem Neubau wie z. B. bei der Hausgemeinschaft „Sitt op de Deel“ in Rheda-Wiedenbrück.

 

Neben der fachlichen Beratung der Denkmaleigentümer wird die Erhaltung von Baudenkmälern durch steuerliche Vergünstigungen unterstützt. So können Ausgaben, die zur Erhaltung und sinnvollen Nutzung eines Baudenkmals erforderlich sind, nach Vorabstimmung erhöht abgeschrieben werden. Unterstützungsfähig ist grundsätzlich auch der erhöhte Erhaltungsaufwand bei Baudenkmälern, etwa durch besondere Techniken, aufwendige Materialien oder erhöhte Sorgfalt bei anspruchsvollen Gewerken. Hierzu stellen der Bund, die einzelnen Bundesländer wie auch einige Landkreise und Gemeinden Fördermittel zur Verfügung. Ergänzt wird dies durch Förderinitiativen von bundes- und landesweiten Stiftungen wie die der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

 

Werden diese finanziellen Anreize sowie die planerischen Chancen und Möglichkeiten erkannt und genutzt, so kann eine ressourcenschonende Weiterentwicklung der Städte unter Beachtung historischer Strukturen und der hochwertigen Denkmalsubstanz gelingen. Ein komplettes Entkernen oder die pure Reduktion des historischen Erbes auf die Fassaden ist hier keinesfalls zielführend.

 

Vielmehr wird der historische Bestand aller Jahrhunderte respektiert, in angemessenem Maße umgestaltet und ggf. durch eine aktuelle Zeitschicht ergänzt. Denkmalgerechte Sanierungen und Umnutzungen haben damit das Potenzial, in Zukunft sprechender Teil des kulturellen Erbes unserer Städte zu sein. Intelligente, facettenreiche Stadtbaukultur nimmt das historisch gewachsene Stadtbild ernst und schreibt es mit unterschiedlichen Perspektiven fort. So kann es in Zukunft neue, hochwertige, geschichtsprägende und möglicherweise dann auch denkmalgeschützte Stadtbereiche geben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Simone Meyder
Simone Meyder ist als Vertreterin der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger Mitglied im Rat für Baukultur und Denkmalkultur.
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