Seit fast einem Jahr liegt das öffentliche kulturelle Leben in den Städten still. Nicht nur staatlich finanzierte Kultureinrichtungen, sondern auch viele Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft arbeiten nur auf Sparflamme oder sind vorübergehend geschlossen. Die Pandemie bedroht das Überleben vieler kultureller Einrichtungen und das finanzielle Auskommen von Millionen von Künstlerinnen und Künstlern und Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft – insbesondere in Städten, wo sich die Kulturökonomie überproportional räumlich konzentriert.
Wie Städte kulturpolitisch auf die Krise reagieren, untersucht eine neue Studie der Hertie School of Governance „Culture, the Arts and the COVID-19 Pandemic: Five Cultural Capitals in Search of Solutions“.
Dabei werden fünf internationale Kulturmetropolen – Berlin, London, Paris, New York City und Toronto – miteinander verglichen. Alle fünf Städte weisen eine vielfältige Kulturinfrastruktur und stetig wachsende Kultur- und Kreativwirtschaft auf und stehen für unterschiedliche Steuerungs- und Förderansätze in der Kulturpolitik. Im Zentrum stand die Frage, welche Governance-Kapazitäten die Städte in dieser Krisensituation zeigen. Die Handlungsfähigkeit der Städte entfaltet sich dabei in einem komplexen Geflecht geteilter Verantwortlichkeiten für Kultur zwischen lokalen, regionalen und nationalen Politikebenen, ist abhängig von der Gestaltbarkeit der Kommunalfinanzen und nicht zuletzt der relativen Bedeutung von Kunst und Kultur im Vergleich mit anderen Bereichen der Daseinsvorsorge.
So sind London und Paris auf die staatliche Unterstützung der kulturellen Infrastruktur angewiesen und haben selbst nur sehr kleine Budgets für die Kulturförderung in der Stadt, sie müssen sich daher mit den nationalen Kulturministerien koordinieren.
Im Vergleich zeigt sich, dass alle fünf Städte sehr ähnliche Maßnahmen ergreifen: von finanziellen Soforthilfen als Zuschüsse, Darlehen oder Stipendien bis hin zu Steuervergünstigungen bei Gewerbe- und Grundsteuer und temporären Verboten von Zwangsräumungen bei Mietschulden. London und New York fehlen allerdings nationale Initiativen und die eigenen finanziellen Möglichkeiten, um entlastend eingreifen zu können. Auffällig ist auch, dass keine Stadt die Maßnahmen mit Bedingungen verknüpft hat, um existierende Ziele im Bereich kulturelle Diversität, faire Bezahlung oder Klimaschutz voranzutreiben.
Insbesondere Berlin tritt im Vergleich sehr positiv hervor. Die Stadt hat schnell und an kritischen Stellen mit ihren Maßnahmen angesetzt, weil sie als Stadtstaat mit entsprechendem Budget eigenständig handeln konnte. Allerdings reichen die erfolgten Maßnahmen nicht annähernd aus – einen Vorgeschmack auf das, was nötig wäre, gibt Paris: Das nationale Kulturministerium hat bereits angekündigt, die Zuweisungen zum Kulturbudget der Stadt für 2021 von 167 Millionen Euro auf 3,8 Milliarden Euro einmalig zu erhöhen.
Für die zukünftige Kulturpolitik in Städten kristallisieren sich drei wichtige Handlungsfelder heraus: Erstens, die Erwerbsbedingungen in kulturellen Arbeitsmärkten müssen endlich als politisches Problem aufgegriffen und auf nationaler Ebene besser reguliert werden z. B. durch die Einführung neuer Sozialversicherungssysteme. Die prekären Arbeitsbedingungen in der Kultur- und Kreativwirtschaft, wie sie mit der Studie des Deutschen Kulturrates von 2020 wieder verdeutlicht wurden, haben sich im Zuge der Pandemie durch unzureichende Absicherungs- und Notfallmaßnahmen massiv verschlechtert und viele haben diese Arbeitsmärkte bereits verlassen.
Zweitens, wir wissen aus vorhergehenden Rezessionen, dass Kultur und das kulturelle Ökosystem sehr widerstandsfähig sind. Doch die Corona-Pandemie ist nicht „nur“ eine Rezession. Neuralgische Punkte des kulturellen Produktionssystems wurden unterbrochen und stillgelegt, insbesondere der direkte Kontakt zum Publikum und damit Absatzmärkte. Auch im Bereich Kreation und Produktion wurden Kapazitäten zurückgefahren, weil die unsichere Perspektive noch keine Planung erlaubt.
Hier wird eine Förderung der öffentlich geförderten Einrichtungen nicht ausreichen, die gesamte kulturelle Wertschöpfungskette muss gestärkt werden. Dafür bedarf es systemischer Denk- und Handlungsansätze, die auf die Verflechtungen des öffentlich geförderten, des privatwirtschaftlichen und des gemeinnützigen Kulturbereichs setzen.
Drittens, bereits vor der Corona-Pandemie gab es aufgrund steigender Immobilienpreise ein wachsendes Problem mit der Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit von geeigneten Arbeits-, Proben- und Aufführungsräumen und einen stetigen Verlust von Ateliers, Live-Musik-Orten, Clubs und Kulturorten zu verzeichnen. Doch nur sehr zögerlich wurden erste Maßnahmen entwickelt: Berlin richtete ein Kulturraumbüro in der Kulturverwaltung ein, Toronto entwickelt mit gemeinnützigen Immobilienunternehmen Atelierstandorte und London weist steuervergünstigte Creative Enterprise Zones aus.
Wie sich Kultur in den Städten nach der Pandemie entwickeln wird, hängt auch davon ab, welche Lösungen für die langfristige Bezahlbarkeit von Räumen für kulturelle Nutzungen gefunden werden. Dafür muss sich die Kulturpolitik stärker mit der Stadtentwicklungsplanung koordinieren. Beispielgebend ist hier Köln: Bereits 2019 wurde ein Kulturentwicklungsplan beschlossen, der die Raumentwicklung für kulturelle Nutzungen in bestehenden und neuen Planungen zentral stellt.
Schon jetzt ist absehbar, dass Städte bald die freiwillige Aufgabe Kultur zugunsten anderer Bereiche der Daseinsvorsorge zurückfahren werden, um die sinkenden Steuereinnahmen auszubalancieren. So hat New York das Kulturbudget für 2021 bereits um ein Fünftel gekürzt und dabei alle kulturellen Bildungsprojekte außerhalb Manhattans gestrichen. Damit die kulturelle Vielfalt und die Kunst- und Kulturproduktion in der Stadt erhalten werden kann, brauchen wir radikalere Ideen für neue Finanzierungsinstrumente und sektorübergreifende Kooperationen – auch weil das letzte Jahr gezeigt hat, dass die Möglichkeiten des Digitalen nur für wenige die Chance bieten, ein faires und zufriedenstellendes Einkommen zu generieren.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.