„Die Stadt bildet ab, wer wir sind“

Drei Fragen an Barbara Ettinger-Brinckmann

Die Gestaltung unserer Städte und der Beruf des Architekten sind untrennbar miteinander verbunden. Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer gibt Einblick in Ideen, Pläne und Forderungen für die Stadt von heute und morgen.

 

Was macht die Arbeit der Bundesarchitektenkammer (BAK) aus? Welche Bedeutung kommt ihr bei der Gestaltung unserer Städte zu?

Die BAK vertritt als Dachverband der 16 Architektenkammern der Länder die Interessen von rund 136.000 Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Innenarchitektinnen und Stadtplanern gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Auch wenn Architekten- und Bauordnungsrecht grundsätzlich Ländersache sind, fallen viele Entscheidungen in Berlin oder Brüssel. Und hier kommen wir ins Spiel: Wir engagieren uns für die richtigen politischen Rahmenbedingungen, Budgets und strukturellen Verknüpfungen, damit Architektinnen und Architekten aller Disziplinen auch gut und nachhaltig in unseren Städten planen und bauen können. Eine Forderung beispielsweise ist, den Wert unseres städtebaulichen und architektonischen Bestandes in planungspolitischen Entscheidungen zu priorisieren. Umbau ist Nachhaltigkeit per se und so kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Wer Brachen aktiviert, statt neues Bauland auszuweisen, handelt ökologisch und repariert die Stadt, wer ein vorhandenes Haus umbaut, nutzt die in der physischen Substanz gespeicherte Energie. Dafür braucht es Kreativität, planerische Kompetenz und Gestaltungsfähigkeit, aber auch das Bewusstsein für den kulturellen Wert von Architektur. Wir verfolgen intensiv die Entwicklungen der Vorschläge von Ursula von der Leyen für ein neues Europäisches Bauhaus. Damit soll eine praktische Umsetzung des europäischen Green Deals vorangetrieben werden, bei der die Qualität unserer gebauten Umwelt im Mittelpunkt steht. Ich freue mich, dass aus der Politik endlich ebenfalls die Forderung nach Schönheit der Städte kommt. Nur mit einem ganzheitlichen Planungsansatz, verbunden mit hohen baukulturellen Ansprüchen können wir den ökologischen Wandel mit Leben füllen und eine lebenswerte Zukunft für unsere Städte sichern.

 

Welche dringenden Fragen der Stadtgestaltung widmet sich die Bundesarchitektenkammer aktuell? Was steht für 2021 auf der Agenda?

Wir sehen vier wesentliche Handlungsfelder, damit die lebendige, gemischte Stadt in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kraft erhalten bleibt. Erstens: Wohnnutzung muss zurück in die Innenstadt. Immer mehr Beispiele zeigen, wie z. B. Bürogebäude zu Wohnraum umgebaut werden können. Die Bodenwert- und Baulandfrage ist dabei besonders relevant, wenn wir mehr bezahlbaren Wohnraum in unseren Stadtzentren realisieren wollen. Zweitens: Der Klimaschutz muss Grundlage für alle Entscheidungen werden. Den Folgen des Klimawandels muss mit klimafreundlichen städtebaulichen Maßnahmen und Bauweisen begegnet werden: Wir müssen bebaubare Flächen insgesamt optimal ausnutzen und zugleich mehr Wasserflächen, Grünräume und Dachbegrünung schaffen. Räume in der Stadt, die über eine hohe Aufenthaltsqualität verfügen und frei sind von jeglichem Konsumdruck, sind von sehr hohem Wert für eine offene Demokratie. Drittens: Wir brauchen eine Kuration für Innenstädte. Die Innenstadt muss zur Chefsache werden und mit Expertise besetzt werden. Was kann geschehen mit bedrohten Erdgeschossflächen und problematischen Straßenzügen, welche Konzepte können Investoren überzeugen? Welche Förderungen greifen? Was sind die Wünsche der Bewohner? Thinktanks für Städte und Kommunen müssen sich als selbstverständliches Format etablieren und der Quartiersplan als verbindliches Planungsinstrument eingeführt werden. Viertens: Kleinteilige Strukturen und Mischung müssen gefördert werden. Damit Stadt lebendig sein kann und wirtschaftlich erfolgreich, müssen Handel und Dienstleistung stark sein und Arbeitsplätze sicher. Aber: Wir haben stattdessen viel zu lange kleinteilige wirtschaftlichen Strukturen systematisch geopfert, die parzellierte Stadt aufgegeben, Funktionen zusammengefasst und ausgelagert – und damit die Vielfalt geschwächt.

 

Wie sieht die Stadt von morgen Ihres Erachtens nach aus?

Wir alle lieben schöne Innenstädte voller Leben, mit einer Vielfalt von Geschäften, Dienstleistern, kulturellen Einrichtungen, Arbeitsplätzen, Begegnungsmöglichkeiten. Doch dieses „Biotop Innenstadt“ ist in Gefahr. Die Gründe sind vielfältig und Corona hat vorhandene Schwächen schonungslos offengelegt. Die Aufgaben an die Politik und alle Bauschaffenden sind gewaltig – wir sprechen mittlerweile von einer dreifachen Innenentwicklung, die unser Handeln bestimmen sollte: Wir müssen bedarfsgerecht, bezahlbar und so umbauen bzw. (nach-)verdichten, dass jedes Gebäude für sich schön ist und seinem Umfeld guttut, wir müssen innerstädtische Grün- und Freiflächen aufwerten und vermehren. Wir müssen die Mobilitätswende umsetzen, die Stadt der kurzen Wege, die das Auto für das Alltägliche verzichtbar macht. Auch das erhöht die Attraktivität und den Wert für alle, die sie nutzen. Es gibt kein größeres Artefakt als die Stadt, an Komplexität unübertroffen. Aber es ist auch ganz einfach: Die Stadt bildet ab, wer wir sind – und wer wir sein wollen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Barbara Ettinger-Brinckmann
Barbara Ettinger-Brinckmann ist Präsidentin der Bundesarchitektenkammer.
Vorheriger ArtikelRessourcen für morgen
Nächster ArtikelZwei Seiten einer Medaille