Die Suche nach dem Glück

Der Abenteurer und Autor Mario Goldstein im Porträt

„Willkommen im Abenteuer“ ist die Homepage von Mario Goldstein überschrieben. Blättert man als gewöhnliches Exem­plar eines Internet-Stubenhockers durch die Seiten, dann macht sich Staunen breit über die Unternehmungslust dieses Mannes. Man lässt sich faszinieren und fühlt sich beinahe so wie damals, als man in den Romanen eines Karl May die weite Welt entdeckt hat. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass Mario Goldstein die Reisen nach Thailand, mit dem Katamaran über den Ozean, mit dem Wasserwerfer nach Indien und per pedes durch Alaska und Kanada in Wirklichkeit unternommen und erlebt hat. Das macht die Authentizität seiner Reiseberichte, Bücher und Vorträge aus.

 

Sein jüngstes und viertes Buch, „Abenteuer Grünes Band“ ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Veröffentlicht zum 30. Jubiläum des Mauerfalls, war es nach drei Monaten vergriffen und ging im Januar dieses Jahres bereits in die 2. Auflage. Kein Wunder, das Thema trifft den Nerv vieler Menschen: An der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze erstreckt sich auf knapp 1.400 Kilometern das Naturschutzprojekt „Das Grüne Band“. In 100 Tagen erwanderte der Abenteurer und Reisefotograf Mario Goldstein als BUND-Botschafter das Grüne Band in Deutschland auf dem Kolonnenweg, der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Eine Strecke von 1.393 Kilometern, durch ein Nationales Naturmonument mit einer wechselvollen Geschichte, das heute als Schatzkammer der Artenvielfalt gilt.

 

Eigentlich müsste das Grüne Band ein rotes Tuch für ihn sein. Denn Mario Goldstein wurde 1969 in Oelsnitz/Vogtland nahe der DDR-Grenze geboren.
„Nach der Wende war diese deutsch-deutsche Grenze in meinem Kopf jahrzehntelang nicht mehr existent. Ich habe nach meiner Erfahrung mit dem DDR-Regime und den Gefängnisaufenthalten diesen Lebensabschnitt aus meinem Leben verbannt. Ich stürzte mich auf andere Dinge. Eines aber bleibt, die Suche nach Freiheit beschäftigt mich bis heute.“ Er sei „frei aufgewachsen“, erinnert sich Goldstein. Als Kind lebte er mit der Mutter und den Großeltern zusammen. Der Vater hatte sich von seiner Mutter getrennt, als Mario ein Jahr alt war. Zusammen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder war er als Kind nur draußen, baute Hütten und zog durch die Wälder. Da schien die Freiheit grenzenlos. Doch der Radius des jungen Abenteurers wurde größer und irgendwann in der Pubertät drang ihm immer stärker ins Bewusstsein: »Ich komme in meinem Leben nicht mehr raus aus der DDR. Wenn du frei sein willst, dann musst du diese Grenze überwinden.« Es war eine Sehnsucht, die immer mehr Kraft bekam. Zusammen mit Freunden schmiedete der Teenager Pläne für eine Republikflucht. Er sah ein Agrarflugzeug, das zum Düngen eingesetzt wurde, und malte sich aus, wie man mit der Propellermaschine über die Grenze fliegen könnte. Ungeschickterweise redete er darüber. Das hatte zur Folge, dass er erstmals mit 15 Jahren eingesperrt wurde: zwölf Stunden Verhöre und zweieinhalb Monate Untersuchungsgefängnis. Sein Gefühl für Freiheit wurde abrupt eingestampft: „Man hat mir die Angst injiziert. Und mich danach im Geheimen weiter observiert.“ Das Ergebnis der Schikanen war ein unbändig wachsender Freiheitswille in dem Heranwachsenden. Mit 18 stellte Goldstein seinen ersten Ausreiseantrag. Der wurde abgelehnt und der Satz eines Beamten der Abteilung für Innere Angelegenheiten hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt: „Herr Goldstein, Sie kommen hier nie raus.“ Vier Wochen später wagte er erneut die Flucht, dieses Mal von der Tschechoslowakei nach Österreich. Und wieder – am letzten Zaun! – wurde er erwischt und zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Sechs Monate saß er in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, im Stasi-Gefängnis, dann wurde er für 16.000 DM von der BRD freigekauft.

 

Februar 1989, ein halbes Jahr vor dem Mauerfall, stand Mario Goldstein schließlich in Fulda und wusste: „Ich bin jetzt frei. Ich bin nicht länger eingeengt in einem Land.“ Angekommen im Kapitalismus, wurde Goldstein Unternehmer mit dem klar formulierten Ziel, Millionär zu werden. „Geld bedeutet Freiheit, dachte ich damals. Das ist es nicht, das weiß ich heute.“ Er wurde Lastwagenfahrer, verkaufte Versicherungen, vertrieb Time-Sharing-Urlaube, gründete eine Werbeagentur und verkaufte Fensterwischer auf Wochenmärkten und Messen. Er machte eine Druckerei auf, handelte mit Glas auf Weihnachtsmärkten und wurde schließlich Bauträger und Teilhaber eines Bauunternehmens.

 

Beinahe zwölf Jahre jagte er als Workaholic und Unternehmer dem Glück nach. Er arbeitete 80 Stunden die Woche, „auf Kosten der Familie“, wie er heute bedauernd sagt. 1999 ging seine Bauträgerfirma pleite, das war der Wendepunkt in seinem Leben. Finanziell hätte er das überstanden, er hatte noch die Fensterwischer und seine Frau war fest angestellt bei der Sparkasse. Aber er merkte, dass sich zusammen mit dem Rückgang des beruflichen Erfolgs auch die Freunde von ihm abwendeten. „Nur solange ich erfolgreich war, hatte ich Freunde.“ Das gab Goldstein zu denken. Er stornierte das Lebensziel Millionär, verkaufte alles, was er hatte, und stieg – nach ein paar Zwischenstationen – auf einen Katamaran, um damit um die Welt zu segeln. Es war der Start seiner außergewöhnlichen Karriere als Abenteurer.

 

„2001 holte ich zum Befreiungsschlag aus, verkaufte alles, was ich in Deutschland besaß und segelte von Thailand aus aufs Meer hinaus. Sieben Jahre lebte ich auf einem Katamaran und fand die Freiheit, die ich so lange vermisst hatte. Getrieben von Neugier und meiner inneren Unruhe zog ich von Insel zu Insel, von Land zu Land und von Volk zu Volk.“ Mit dem Katamaran „Goodlife“ bereiste Goldstein in fünf Jahren 22 Länder. Das nächste große Abenteuer wartete 2011 auf ihn: Zusammen mit seinem Bruder und 1.000 Friedensbotschaften machte er sich mit einem ausgemusterten Wasserwerfer als Fortbewegungsmittel auf den Weg zum Dalai Lama – und erhielt tatsächlich eine Audienz.

 

2013/14 durchstreifte er mit seiner heutigen Frau Ramona die Wildnis von Alaska und Kanada und 2016 stürzte er sich mit seiner vielbeachteten Wanderung am Grünen Band in ein einheimisches, europäisches Abenteuer.

 

Goldstein wäre nicht Goldstein, wenn er nicht auch das Abenteuer persönlich managen würde. Heute ist er Inhaber der Eventagentur „Frei-träumer“ in Plauen mit fünf Mitarbeitern, mit denen er Live-Reportagen der Spitzenklasse betreibt. Er vermarktet seine Bücher sowie Reisevorträge von sich, aber auch von anderen Referenten, darunter Namen wie Willi Weitzel, Markus Lanz und National-Geographic- Top-Fotografen und viele andere mehr. Er hält auch Firmenvorträge über Freiheit und Selbstbestimmung – stets gekoppelt mit einer Wanderung mit den Zuhörern, die er führt. Und er gründete das Freiträumer Festival in Plauen, das jedes Jahr Ende März stattfindet. In den sieben Jahren ihres Bestehens konnte die Agentur bereits 100.000 Besucher zu den Veranstaltungen locken.

 

Goldsteins spirituelles Resümee aus über drei Jahrzehnten Abenteuerleben hört sich einfach an, ist aber schwer errungen. „Der Mensch sucht seit Ewigkeiten nach dem Glück an Orten, wo er es niemals finden wird, etwa im Anhäufen von Geld, Erfolg und Aufmerksamkeit. Gerade wegen der vielen Abenteuer, die ich weltweit erleben durfte, weiß ich, dass man sich gar nicht weit fortbewegen muss, um das Glück zu finden – denn die innere Freiheit zählt. Das dauerhafte Glück entwickelt sich beim Menschen im Inneren – und zeigt sich auch darin, wie man mit anderen Menschen umgeht.“

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 3/20 erschienen.

Andreas Kolb
Andreas Kolb ist Chefredakteur der neuen musikzeitung und Redakteur von Politik & Kultur.
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