Der Maler und DDR-Kulturfunktionär Willi Sitte übernahm diesen verächtlichen Begriff „Müllkünstlerin“. War es eine Genugtuung, als in späteren Ausstellungen über „DDR-Kunst“ Ihre Arbeiten neben denen Sittes hingen und als künstlerisch relevanter gewertet wurden?
Bei diesen Nach-DDR-Ausstellungen wurde ich gefragt: „Wie kann man denn neben dem Sitte hängen?“ Ich sage: Mir wäre es lieber, er würde noch leben und wäre zur Ausstellungseröffnung nach Düsseldorf gekommen. Ich bin nicht frustriert oder nachtragend. Ich bin ein Elefant, der lange warten kann. Gern hätte ich mit einem Glas Rotwein angestoßen und gesagt: „Sehen Sie mal, Herr Sitte, jetzt hängen wir hier zusammen.“ Viele DDR-Künstler haben die Befindlichkeit: „Wir wollen nicht ausstellen mit denen, die uns verboten haben.“ Meine Meinung: Ganz im Gegenteil – gerade mit denen müssen wir ausstellen, um einer jungen Generation diese Bildwelten zu öffnen. Erst wenn man auch das Angepasste sieht, begreift man, wie viel Kraft es kostete, nicht angepasst zu sein. Ich kann mich doch nicht nur in Ausstellungen des Untergrunds wiederfinden. Eine andere Generation kann sich dann doch kein Bild machen, wogegen der Widerstand eigentlich gerichtet war.
Als die Mauer fiel, lebten sie als Stipendiatin in New York. Was war anders, als sie anschließend nach Berlin zurückkamen? Einer ihrer – ebenfalls in den 1980er Jahren ausgebürgerten – Künstlerkollegen, Hans-Hendrig Grimmling, sagte mal: „Ich bin mit vollem Risiko aus dem System raus – und plötzlich kommen die, die sich damals nicht getraut haben, hinterher“. Hatten Sie ähnliche Empfindungen?
1986 gab es in Westberlin die „Malstrom“-Ausstellung von Künstlern, die die DDR verlassen hatten oder rausgeschmissen worden waren. Der Katalog wanderte auch zu Künstlern in den Osten. 1989 dachten viele: „Wunderbar, der Westen ist interessiert, wir kommen und setzen uns ins gemachte Nest.“ Denen war nicht bewusst, was für eine harte Zeit es nach der Ausreise für uns war: Mit nichts im Westen anzukommen, oft ohne Bilder – mein ganzes Frühwerk war ja weg – solche Verluste mussten kompensiert werden. Außerdem war der Westen nach dem Mauerfall völlig überfordert von dieser Schwemme an DDR-Malern, die auch deswegen kaum Fuß fassen konnten. Es war eine wahnsinnige Desillusionierung von Künstlern, die nun rüberkamen und dachten, sie würden mit offenen Armen empfangen. Der Westen zeigte sich aber genervt, fand die Malerei der DDR zu behäbig, mit ihrer Düsternis, mit ihrer in die Vergangenheit gerichteten Metaphernwelt der Fallenden, Stürzenden und Sisyphusse. Der Westen war auf einer anderen Schiene, der Konzeptkunst. Und nun kommt eine Malerei an, die nicht richtig in die Zeit passt. So fiel für diese Künstler feiner Staub auf die Illusion einer zügigen Selbstverwirklichung unter neuen Bedingungen. Die, die vor dem Mauerfall ausgereist waren, hatten einen Vorsprung. Wir hatten alles hinter uns gelassen, es gab kein Zurück mehr, keinen Kompromiss. Es war unser Vorteil, die wir vorher gegangen waren, uns zu öffnen, auch gegenüber der Postmoderne. Wir mussten Ausdrucksformen finden, damit dieser Bruch, der über Jahre ging, in unsere Kunst einfließt. Die Künstler der DDR, die nicht ausgereist waren, steckten formal in ihren Bildwelten noch zu sehr in der DDR fest.
Für sie interessierten sich nur wenige Galerien im Westen. Schlussendlich finden sich heute viele von ihnen in Galerien der ehemaligen DDR wieder, die nach wie vor hauptsächlich ehemalige DDR-Künstler vertreten.
Manche verarbeiten das dadurch, dass sie den Westen als „nur modern und gar nicht innerlich, nicht existenziell und nur marktorientiert“ disqualifizieren. Darin steckt auch ein Selbstbetrug. Schade finde ich, dass diese Künstler in größeren Zusammenhängen nur mit Arbeiten aus DDR-Zeiten gezeigt werden, immer dann wenn Jahrestage sind.
Die Inhalte Ihrer Stasi-Akte haben Sie als Material für eine Serie grafischer Arbeiten genommen, in der Sie den paranoiden Unsinn dieser Berichte bloßstellen. Souveränitätsgewinn nicht durch die leidende Opferrolle, sondern durch Persiflage. Dem Ministerium für Staatssicherheit haben Sie für diese „Materialvorlagen“ auch noch sehr ironisch gedankt.
Für mich hat Kunst mit Befreiung zu tun. Sie dient dazu, einen neuen Weg zu gehen und das Alte hinter sich zu lassen. Als ich diese Berichte über mich las, reagierte ich mit Selbstinszenierungen, die die Akten persiflieren. Die Fotos der Selbstinszenierungen habe ich mit rauskopierten Aktennotizen collagiert. Eine total politische Arbeit. Ich habe bewusst nicht die Berichte eines prominenten Spitzels wie Sascha Anderson ausgewählt, sondern solche Berichte, die etwas mit der „Blockwartmentalität“ zu tun hatten – als Beobachtungsform eine sehr deutsche Angelegenheit: „Die Schleime ist unordentlich“ und solche Dinge. Die Serie wurde erstmals auf einer Kunstmesse ausgestellt. Da kamen Westkünstler und sagten: „Das ist ja ne geile Arbeit – woher hast du denn die Texte?“ In dem Moment wurde mir ein Unterschied klar: Wie der Westen sich Dinge entleiht, um eine peppige Sache zu machen, während es bei mir mit der eigenen Biografie zusammenhängt.
Ich würde keine Bilder machen über Menschen, die als Flüchtlinge auf Booten kommen. Ich könnte hinfahren und ihnen helfen. Aber ich entleihe mir solche Ereignisse nicht für meine Kunst, um mit dem Elend anderer auch noch Geld zu verdienen. Das ist für mich ein Verbot.
Sie sind eine weltweit anerkannte Künstlerin, auch materiell so erfolgreich, dass Sie sich aussuchen können, wo Sie leben und arbeiten. Und dann ist es doch wieder Prenzlauer Berg in Berlin und ein Atelierhaus in Brandenburg. Warum?
Prenzlberg ist Berlin, ich brauche die Stadt. Wenn ich da bin, rede ich wie ein Wasserfall und bin ein sehr geselliger Mensch. Von Berlin aus reise ich zu Ausstellungen und mache dort auch kleine Papierarbeiten.
Aber ich brauche auch das Gegenteil, die Einsamkeit. Für die Arbeit an großen Bildern ist Berlin zu hektisch. Da ziehe ich mich aufs Land zurück. Ich brauche die Einsamkeit, weil ich mit mir selbst so viel zu tun habe. Manche fragen, wenn der November kommt: „Wirst du hier nicht depressiv?“ Ganz im Gegenteil – das ist für mich die Hoch-Zeit. Ich könnte ein Jahr im Wald leben, ohne mit jemandem reden zu müssen.
Bei mir hat der liebe Gott wohl die Mitte vergessen. Ich brauche die Extreme. Das moderate: einen Tag so und den anderen so – das kann ich nicht. Gilt übrigens auch für die Kunst: Ich kann keine mittleren Formate. Entweder ganz klein – oder sehr groß.
Sie haben angedeutet, dass der Schriftsteller Sascha Anderson, dem Sie persönlich und künstlerisch eng verbunden waren, Sie für die Stasi bespitzelt hatte. Ein absoluter Vertrauensbruch.
Ihr Westberliner Galerist, der Sie über lange Jahre vertreten hat, ist letztes Jahr insolvent gegangen. Gegen ihn wird ermittelt wegen Verdacht auf Betrug. Erleben Sie das als einen vergleichbaren Vertrauensbruch?
Es ist noch kein Urteil gefallen, das wird die Staatsanwaltschaft klären. Dennoch: Dass mir noch einmal so etwas passiert, war ein totaler Schock. Es ist nicht weniger als die Geschichte mit Sascha Anderson.
Der Galerist muss es ja vorher kommen gesehen haben und hätte seine Künstler vorwarnen können, statt mit mir noch die letzte Ausstellung zu machen, wo es klar war, dass ich von den Verkäufen, die er dort tätigt, nichts sehen würde. Es ist schon eine herbe Enttäuschung nach immerhin 30 Jahren Zusammenarbeit. Dennoch sage ich mir immer wieder: Wer nichts verliert, der nichts gewinnt. Ich werde den Kunstmarkt genau beobachten, ehe ich neue Verbindungen eingehe.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.