Filmerfolg mal zwei

Marijam Agischewa über ihre Erfahrungen als Schauspielerin in DDR und BRD

„Marta, Marta“ (1980), „Treffpunkt Flughafen“ (1985/86), „Novalis – Die blaue Blume“ (1993) und „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ (seit 2015): Die Schauspielerin Marijam Agischewa ist dem deutschen Publikum bekannt und präsent, ob in Spielfilmen oder in Fernsehserien, ob in der früheren DDR oder in der Bundesrepublik. Behrang Samsami sprach mit Marijam Agischewa über ihre Herkunft und ihr Leben in der DDR, über ihre Arbeit beim Fernsehen und Film in beiden deutschen Staaten und über Ostdeutschland als besonderen Drehort nach der Wende.

 

Behrang Samsami: Frau Agischewa, Ihre Mutter war tatarischer Herkunft, Ihr Vater stammte aus Österreich und Sie sind in China geboren. Bitte erzählen Sie uns von Ihrer Familiengeschichte.
Marijam Agischewa: Meine Mutter wurde auch in China geboren. Ihre tatarische Familie wohnte im Ural und in Harbin, einer von den Russen 1898 in der Mandschurei gegründeten Stadt. Mein Großvater hatte einen Handel zwischen dem zaristischen Russland und dem Kaiserreich China. Als 1917 die Revolution ausbrach, kam der Handel zum Erliegen, weil bestimmte Luxusgüter, die mein Großvater betrieb, nicht mehr gefragt waren. So blieb seine Familie in China.
Mein Vater gelangte nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nach China. Er wie auch meine Mutter wären gern dort geblieben. Aber es kam die Zeit des „Großen Sprungs“ und die Kulturrevolution. Wir sind erst Ende 1959 aus dem Land gekommen. Das war die allerletzte Gelegenheit. Als Akademiker und Ausländer hätte man das wohl nicht überlebt. Von Freunden meiner Eltern, die dort geblieben sind, hat man auch nie wieder etwas gehört. Ob sie auf natürliche Weise gestorben oder der Kulturrevolution zum Opfer gefallen sind, haben wir nicht erfahren.

 

Wie ist Ihre Familie aus China in die DDR gekommen?
Mein Vater hatte eine Delegation der Ostberliner Humboldt-Universität kennengelernt, die ein paar Jahre vorher in China gewesen war. Dadurch hatte er erfahren, dass die Universität Sinologen suchte. Da es keine zuverlässigen Informationen, Zeitungen, Radio, Fernsehen gab, wusste er nur wenig, was in Europa los war. Aber dadurch, dass die Lage in China schwierig geworden war, hieß es für ihn: raus und einen Job finden. Dass er sehr gut Chinesisch konnte, hat natürlich geholfen.
Es gab viele Schwierigkeiten mit der Ausreise. Sie wurde mehrfach verschoben. Dann sind wir in ein Abenteuer aufgebrochen. Zwei Monate hat die Fahrt gedauert. Mein Vater überlegte auch, ob wir nicht bei den Seychellen aussteigen sollten, weil sie dort englischsprachige weiße Einwanderer suchten. Das wollte meine Mutter aber nicht. So sind wir dann nach Deutschland gekommen.

 

Ihr wirklicher Name ist Melan Schwarz. Ist Marijam Agischewa ein Künstlername?
Mein Vater hieß Schwarz. Er hat unter anderem Lyrik veröffentlicht. Als ich im Dezember zur Welt kam, blühten im Süden Chinas die Pflaumenbäume. Daher Melan, was auf Deutsch „Woge von Pflaumenblüten“ bedeutet. Als unsere Ausreise anstand, gab es auch deshalb Schwierigkeiten, weil meine Eltern unterschiedliche Nachnamen hatten. Was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber ich musste auf dem Nachnamen meiner Mutter ausreisen. Dafür gab es auch eine neue Geburtsurkunde, ausgestellt auf Marijam Agischewa. Und das ist so geblieben. Übrigens finde ich Melan Schwarz schöner. Man hat mich auch immer Melan genannt – meine Eltern, mein Mann, meine Freunde.

 

Wie verlief Ihre Kindheit, wie Ihre Schullaufbahn?
Ich bin in Berlin-Friedrichshain aufgewachsen und auf eine „R-Schule“ gegangen, das heißt, mit erweitertem Russischunterricht, wo Kinder, die gute Leistungen brachten, gesammelt wurden. Alle von uns sollten studieren. Üblicherweise gab es nicht für jeden die Möglichkeit, Abitur zu machen – immer nur die beiden Besten aus jeder Klasse. In Ostberlin gab es drei solcher R-Schulen. Von der 10. bis zur 12. Klasse waren wir alle auf dem Grauen Kloster. Die Elternhäuser waren sehr aufgeklärt. Außerdem hatten wir viele Ausländer an der Schule – Botschaftskinder oder von Personen, die aus beruflichen Gründen in der DDR waren, Ingenieure oder solche aus anderen technischen Berufen.

 

Wollten Sie studieren?
Ich interessierte mich für Archäologie. Das war aber nicht möglich, weil man zu wenig Studenten in dem Fach brauchte. Da gab es nur alle paar Jahre einen Studiengang. Nach dem Studium hätte ich wohl mit einem Pinsel in einem Museum gesessen, Scherben gesäubert und beschriftet. Ich wäre – vor allem wegen der Reiseschwierigkeiten – sicherlich auch nicht zu großen Ausgrabungsstätten gefahren.
Dann habe ich mich für Gärten und Parkanlagen begeistert und dachte, Landschaftsarchitektur könnte was werden. Dazu brauchte man aber eine Berufsausbildung, die es, glaube ich, nur in der DDR gab und mit der man sich auf das Studium spezialisierte – in diesem Fall Zierpflanzengärtner. Das ging drei Jahre – die Berufsausbildung spezialisiert mit Abitur. Ich habe mich beworben und Sie werden es nicht glauben, obwohl ich so gute Noten hatte, hat man mich nicht genommen.

 

Und wie sind Sie dann zum Schauspielberuf gekommen?
In der Schule, da war ich 16 Jahre alt, hatte man mich für einen Film entdeckt, „Geschwister“. Der Regisseur Wolfgang Hübner und die anderen DEFA-Leute zogen von Schule zu Schule und sahen sich sehr viele Jugendliche an. Ich war in einer Klasse mit besonders hübschen Mädchen. Bei uns wurden fünf oder sechs für das Casting ausgesucht – ich nicht. Ich saß ganz hinten. Mich hatten sie übersehen. Ich war in der Theatergruppe und war deprimiert, aber auch zu schüchtern, um mich zu melden. Dann gingen die DEFA-Leute schon, doch da drehte sich eine Frau um und sagte: „Die Brünette da hinten mit den langen Haaren. Sie können wir auch noch nehmen.“ So bin ich auf die Liste gekommen. Das Casting ging über Monate. Und zum Schluss bin ich übrig geblieben.
„Geschwister“ wurde während der Sommerferien gedreht. Danach ging die Schule weiter. Als aus Archäologie und Landschaftsarchitektur nichts wurde, habe ich gedacht: „Dann bewirbst du dich einfach auf der Schauspielschule.“ Das tat ich dann – und zwar auf der Ernst-Busch-Schule in Ostberlin, wurde aber abgelehnt, bewarb mich in Leipzig und dann noch einmal in Ostberlin. Dann hat es geklappt. Ich bin noch immer froh darüber, weil auf der Ernst-Busch-Schule wirklich tolles Handwerk vermittelt wurde. Es war ein hartes Regime, aber ich habe viel gelernt. Die Schule hatte übrigens weltweit einen guten Ruf. Es waren damals auch Leute aus Amerika bei uns, die hospitierten.

Marijam Agischewa und Behrang Samsami
Marijam Agischewa ist Schauspielerin mit österreichischem Pass und bekannt aus zahlreichen Fernseh- und Spielfilmproduktionen aus DDR und BRD. Behrang Samsami ist freier Journalist.
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