Politische Kawuppdizität am Rosenmontag

Der Satiriker und Karnevalswagenbauer Jacques Tilly im Gespräch

 

Wann kommen Sie an die Grenzen der satirischen Gestaltung der Wagen?
Es ist immer die Frage, wo die Grenzen der Satire liegen. Kurt Tucholsky schrieb 1919 in einem Artikel in der Berliner Zeitung, der mit dem berühmten Satz endet: „Satire darf alles.“ Ich bin nicht der Meinung, dass Satire alles darf. Satiriker sind keine Ausnahmemenschen, die Sonderrechte haben. Sie sind Staatsbürger wie alle anderen auch. Das heißt, es müssen Persönlichkeitsrechte geachtet werden. Auch Verleumdung darf es nicht geben. Wo nun die Grenze dessen liegt, was man tun und nicht tun sollte, ist Ermessenssache. Das hängt von jedem einzelnen Entwurf ab. Es gibt keine Regel, aber es gibt Grundsätze. Beispielsweise treibt man keinen Spott mit Opfern. Oder das Thema Love Parade in Duisburg ist ein zu trauriges. Das darf nicht karnevalistisch aufbereitet werden. Es gibt Themen, die von vornherein nicht infrage kommen. Insofern gibt es selbstverständlich Grenzen. Wir bauen die Wagen für die Menschen am Straßenrand. Mit den politischen Wagen wollen wir ausdrücken, was die Menschen mehrheitlich denken. Sie sollen sich wiederfinden und mit dem identifizieren können, was thematisch in der Luft liegt. Da geht nicht jedes Thema.

 

Ihre politischen Wagen spalten. Oft werden sie mindestens als bissig beschrieben. Wie reagieren Sie darauf?

Die Wagen spalten tatsächlich. Nicht jeder findet sie gut. Schon oft habe ich den sogenannten Shitstorm über mich ergehen lassen, weil die einen oder anderen Wagen irgendwelchen Gruppierungen oder bestimmten Milieus übel aufgestoßen sind. Einige Institutionen und Bevölkerungsgruppen haben große Schwierigkeiten mit Kritik. Ich bin aber der Meinung, dass jeder, der in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft seine Meinung zu Markte trägt, es über sich ergehen lassen muss, kritisiert zu werden und auch polemisch infrage gestellt zu werden. Das ist eine Zivilisationsleistung. Da gebe ich gerne mit meinen manchmal sehr harten Wagen Entwicklungshilfe. Daher ist auch unser Grundsatz, dass wir vor keinem Thema aufgrund drohender Kritik zurückschrecken wollen. Parteipolitisch sind wir natürlich alle nicht. Als Narren sind wir streng parteipolitisch neutral, wir sind auch weltanschaulich neutral wie Justitia. Niemand wird bevorzugt, niemand wird verschont. Jeder kriegt einen drüber. Wer sich in diesem Jahr ärgert, dass er dran ist, der kann sich damit trösten, dass die politischen Gegner nächstes Jahr wieder dran sind. Beispielsweise wird das Thema Religion oft im Düsseldorfer Rosenmontagszug verarbeitet. In der Vergangenheit haben wir z. B. islamkritische Wagen gebaut. Das hat den Linken nicht gefallen. Seit vielen, vielen Jahren bauen wir Wagen zur Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und offener Gesellschaft. Das gefällt den Rechtspopulisten und Rechtsextremen nicht. Prügel gibt es immer. Aber ein Satiriker, der allen Menschen gefallen will, macht seine Arbeit nicht richtig.

 

Nicht nur national, sondern auch international ist das Presseecho auf Ihre Wagen sehr, sehr hoch. Wie kommt das zustande?

Ja, das freut mich sehr. 2019 waren die Wagen in annähernd 100 Ländern zu sehen. Rund 1.500 Veröffentlichungen habe ich gezählt. Das ist eine Riesenmenge. Ich begreife es als Serviceleistung, dass wir Wagen bauen, die auch international verstanden werden. In Kamerun, Nepal, Paraguay, China oder Korea, in den verschiedensten Kulturregionen werden diese Bildformen gelesen und funktionieren. Mittlerweile baue ich nicht mehr nur mit Blick auf die Düsseldorfer am Wegesrand des Rosenmontagszuges, sondern auch mit Blick auf die Weltpresse. Das ist eine Besonderheit im Düsseldorfer Karneval. Wir haben Bilder, die nicht nur ein Millionen-, sondern sogar ein Milliardenpublikum erreichen, wenn man die sozialen Netzwerke hinzugefügt und sich anschaut, in wie vielen Ländern Fotografien veröffentlicht werden. Das ist die größte Bühne, die ein Satiriker haben kann.

 

Für Bildhauer, Maler, Künstler in den Karnevalshochburgen ist der Bau von Umzugswagen eine wichtige Einnahmequelle. In Ihrer Werkstatt beschäftigen Sie sogar ganzjährig Ihre Mitarbeiter.

Wir bauen nicht nur Karnevalswagen in unserer Wagenbauhalle, sondern auch Großplastiken für alle möglichen Zwecke. Gerade im politischen Bereich bauen wir große Eyecatcher, die die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen und besonders für Zeitungen und Fernsehsender attraktiv sind. Z. B. haben wir zum G20-Gipfel 2017 für Greenpeace einen Riesen-Trump gebaut. Ich habe sehr viele Wagen gegen den Brexit gebaut, die in England auf den großen Demonstrationen gefahren sind. Das ist die Arbeit, die wir dann übers ganze Jahr machen. Gegen Winter ist dann ausschließlich die Wagenbauproduktion für den Rosenmontagsumzug angesagt.

 

Können Sie schon verraten, was zum Rosenmontagszug 2020 zu erwarten ist?
Nein, das gehört zu den Düsseldorfer Besonderheiten. Wir sind die einzige Narrenhochburg, die vorher ihre Wagen nicht der Öffentlichkeit zeigt. Sie werden bis zum Morgen des Rosenmontags geheim gehalten. Um 7 Uhr öffnen sich dann die Tore zur Werkstatt. Die Journalisten stehen schon vor der Tür und fotografieren im Dunkeln die Wagen ab. Im Blitzlichtgewitter werden sie der Öffentlichkeit vorgestellt. Bis dahin herrscht strengste Geheimhaltungsstufe.

 

Was wäre ein Wunschprojekt, das Sie zukünftig gern umsetzen würden?
Die Wagen sollen dort fahren, wo sie gebraucht werden. Zum Teil wird das schon realisiert. Im Moment fahren drei Wagen durch Polen, um gegen den demokratiefeindlichen Kurs der rechtsnationalistischen Regierung zu demonstrieren. Es fahren viele Wagen in England. Bedauerlicherweise steht Marine Le Pen ante portas. Wenn Frankreich auch den Rechtspopulisten in die Hände fällt, bin ich mir ganz sicher, dass meine Wagen auch in Paris fahren und dort Wirkung zeigen werden. Wobei ich das aber natürlich nicht hoffen möchte.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Jacques Tilly und Theresa Brüheim
Jacques Tilly ist Bildhauer und Karnevalswagenbauer. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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