Politische Kawuppdizität am Rosenmontag

Der Satiriker und Karnevalswagenbauer Jacques Tilly im Gespräch

Der blutbespritzte Prinz Salman von Saudi-Arabien hält mit einem breiten Lächeln auf den Lippen eine Kettensäge in der Hand. Er wird begleitet von seinem unschuldig grinsenden „Schmutzengel“ Donald Trump. Die wütende Greta Thunberg zieht ihrer Mutter und ihrem Vater als Stellvertreter der Eltern-Generation die Ohren lang und fordert, endlich etwas gegen die Klimakatastrophe zu tun. Das sind nur zwei Beispiele der politischen Wagen des Düsseldorfer Rosenmontagsumzuges, die aus der Ideenschmiede und Werkstatt des Bildhauers und Wagenbauers Jacques Tilly stammen. Weltweit ist er für seine satirischen Großplastiken und Karnevalswagen bekannt und berühmt. Im Gespräch mit Theresa Brüheim gibt er nicht nur Einblick in seine Arbeit, sondern auch seine politische Haltung.

 

Theresa Brüheim: Herr Tilly, wie kommt ein studierter Kommunikationsdesigner von der Uni Essen zum Entwurf und Bau von Großplastiken, insbesondere Karnevalswagen, nach Düsseldorf?
Jacques Tilly: Schon als Kind fand ich den Rosenmontagszug spitze. Die ganze Familie ging hin, das war ein fester Teil unseres Jahreskalenders. In den politisierten 1980er Jahren habe ich den Karneval aus den Augen verloren. Als ich 20 war, nahm mich ein Freund in die Wagenbauhalle mit. Die suchten gerade neue Wagenbauer. Und da bin ich direkt in die Politik eingestiegen. 1983/1984 war mein allererstes Jahr – sogar noch vor meinem Studium.

 

Man könnte von einem Zufall sprechen …
Ja, es war ein reiner Zufall. Nie hätte ich gedacht, dass ich lebenslänglich Karneval kriege. Das war am Anfang nur ein Studentenjob an ein paar Wochen im Jahr, um Geld zu verdienen. Meine Professoren haben beide Augen zugedrückt, weil ich im Wintersemester öfter nicht da war. Nach dem Examen bin ich dageblieben, denn es hat mir viel Freude gemacht und ist einfach eine sehr schöne Arbeit. Im Grunde schwänze ich seit 1994, seit dem Examen, meinen eigenen Beruf des Kommunikationsdesigners.

 

Was macht einen gelungenen Karnevalswagen aus?
In erster Linie geht es um die politischen Wagen. Ein gelungener politischer Wagen besteht darin, dass er Emotionen hervorruft, provokant ist, den Menschen eine sehr deutliche, klare und unter Umständen auch polemische Botschaft mitgibt, die sofort verstanden wird. Dann hat ein Wagen Sinn. Der Rosenmontagszug soll die Narrenfreiheit ausreizen. Einmal im Jahr soll denen da oben ungestraft die Meinung gegeigt werden – und das mit einer Kawuppdizität, wie wir im Rheinland sagen, also mit Durchschlagskraft.

 

Das Wort „politisch“ ist nun schon oft gefallen. Die Karnevalswagen aus Ihrer Werkstatt zeichnen sich durch die besonders satirische Thematisierung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen aus. Wie kommen Sie auf die Ideen?
Die Ideen sind tatsächlich das Schwierigste und gleichzeitig das Wichtigste im ganzen Prozess. Damit quäle ich mich schon. Ideen kommen nicht mal eben beim Fahrradfahren oder Duschen, sondern man muss sich hinsetzen und viel, viel zeichnen, bis eine brauchbare Idee dabei ist. Da muss ich viel aussieben. Ich gehe dann immer in Klausur. Meine Familie kennt das. Dann bin ich nicht ansprechbar und beschäftige mich unter Umständen tagelang mit einer einzigen Idee, bis eine gute Bildformel entstanden ist, die noch nicht abgegriffen ist, in Sekundenschnelle verstanden wird und bei aller Direktheit eine politische Tiefe hat. Diese Kriterien in einem Bild unter einen Hut zu bringen ist schwer. Am Anfang fällt mir sehr viel Durchschnittliches ein, was auch als tagespolitische Karikatur funktionieren würde. Aber im Düsseldorfer Karneval wollen sie besondere Bilder haben, die das Zeitgeschehen auf drastische Weise kommentieren und auch in fünf Jahren noch verstanden werden. Da ist die Suche besonders schwer.

 

Wie läuft der Prozess vom Auftrag über die Idee bis zum Bau genau ab? Inwieweit werden Themen von den Auftraggebern, zu denen unter anderen das Comitee Düsseldorfer Carneval zählt, vorgegeben?
Ich bin komplett frei. Die Vorschläge kommen direkt von mir. Ich mache ungefähr 30 bis 40 Ideenskizzen, die ich dem Comitee Düsseldorfer Carneval vorlege. Mit dem Geschäftsführer Hans-Jürgen Tüllmann setze ich mich dann zusammen und diskutiere über die Entwürfe. Meist sind wir einer Meinung und nehmen diejenigen, die gepfeffert sind. Das sind die Entwürfe, die den Leuten am meisten Spaß machen. Es findet keine Zensur statt, sondern wir einigen uns immer darauf, die besten Entwürfe zu nehmen. Trotzdem wird nicht jeder Entwurf genommen. Die schalten sich gegenseitig aus. Es gibt einen Wettbewerb unter den Entwürfen. Im letzten Jahr zum Thema „Fridays for Future“ bzw. „Greta Thunberg“ habe ich bestimmt acht Entwürfe gezeichnet, bis einer dabei war, der reif war, das Tageslicht zu erblicken und dann in der Wagenbauhalle realisiert wurde. Es ist ein mühsamer Prozess. Zumal er unter einem großen Zeitdruck stattfindet. Wir bauen die Wagen immer kurz vor Rosenmontag. Es hat keinen Sinn, sich schon im Oktober Gedanken zu machen. Das ist im Februar schon längst wieder kalter Kaffee. Wir müssen immer am Zahn der Zeit sein. Das heißt: Riesenzeitdruck – unter dem dann zwölf final brauchbare Ideen entstehen müssen für die zwölf politischen Wagen. Das ist wirklich Stress und Arbeit.

 

Wie lang bauen Sie an einem Wagen?
Unter Umständen nur einen Tag. Wenn am Sonntag vor Rosenmontag politisch noch etwas Wichtiges passiert, bauen wir schnell noch einen Wagen. Das ist schon oft vorgekommen, weil weltpolitisch interessante Dinge passiert sind, die unbedingt Rosenmontag noch verwurstet werden mussten. Da sind wir sehr flexibel und bauen bis zur allerletzten Minute, damit wir am Rosenmontag den Düsseldorfern hochaktuelle Ware zeigen können.

 

Diese zwölf politischen Wagen sind aber nicht die einzigen, die Sie bauen …
Der ganze Zug besteht aus 90 Wagen. Das sind überwiegend die Wagen der Gesellschaften und Karnevalsvereine. Die sind nicht so politisch. Da geht es mehr um das Motto oder die Garden und Uniformen. Aber auch die bauen mein Team und ich. Es entsteht natürlich der Prinzenpaarwagen, der besonders prächtig sein soll. Dann bauen wir die Werbewagen. In Düsseldorf haben wir Sponsoren, die mitfahren – z. B. Mercedes, die Provinzial Versicherungen oder die Rheinische Post. Sie alle haben eigene Wagen. Die bauen wir über das ganze Jahr. Wir fangen schon im Mai des Vorjahres mit dem Bauen an. Die politischen Wagen, die am Ende entstehen, sind natürlich das Sahnehäubchen. Sie machen allen am meisten Spaß, weil es da wirklich zur Sache geht.

 

Jacques Tilly und Theresa Brüheim
Jacques Tilly ist Bildhauer und Karnevalswagenbauer. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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