Vom Fluch der Schließung zum Industriedenkmal

Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Nach der Stilllegung der Völklinger Hochöfen samt ihrer Nebenanlagen mit Kokerei, Sinteranlage, Trockengasreinigungen, Wasserhochbehälter und einem Hochofengebläsehaus am 4. Juli 1986 ging es um deren Erhaltung.
Der Vorstand der ARBED Saarstahl GmbH wollte die aus ca. 52.000 Tonnen hochwertigem Stahl bestehenden Anlagen abreißen und verschrotten lassen. Bereits 1985 stellte der Landesdenkmalrat die Völklinger Hochofenanlage unter Denkmalschutz. Doch vermögen papierne Beschlüsse einer Behörde oder Institution nicht, dass Menschen auf tradierte Gewohnheiten und Schemata verzichten.

 

Im Bewusstsein jener, die zuvor in diesen Anlagen tätig waren, wurde der Verlust der 1.700 Arbeitsplätze nicht negativ konnotiert. Arbeit am Hochofen, in der Kokerei oder der Sinteranlage war „Knochenarbeit“, die seit ihrem Bestehen mit Blut und Schweiß verbunden war.

 

Nicht nur an der Saar war es üblich, stillgelegte Industrieanlagen abzureißen und Platz für neue Anlagen oder eine Umnutzung zu schaffen. Nach dem damaligen Verständnis der Mehrheit der Bevölkerung und der Völklinger Kommunalpolitik konnte man sich im Idealfall die Erhaltung des Hochofengebläsehauses und Umnutzung als Kulturstätte vorstellen.
Beispiele, wie eine solch wirkmächtige Industrieanlage zu erhalten und ein Abriss zu verhindern war, gab es nicht. Schon gar nicht an der Saar. So oblag es denn einer Initiative von sieben Denkmalschützern und Kulturbeflissenen, im Januar 1987 in Saarbrücken eine „Initiative Völklinger Eisenwerk“ zu gründen. Ziel dieser Initiative war die Erhaltung und Revitalisierung der stillgelegten Hochofenanlage mit den dazugehörigen Gebäuden und Maschinen als ein Dokument der Eisen- und Hüttenindustrie von nationaler Bedeutung.

 

Durch Vorträge, Podiumsdiskussionen und eine von der lokalen Presse beförderten Thematisierung gelang es rasch, in und um Völklingen zahlreiche neue Mitglieder zu gewinnen. Ende des Jahres 1987 gründeten sich innerhalb der in Initiative Völklinger Hütte (IVH) unbenannten Organisation verschiedene Arbeitsgruppen zu Technik, Korrosion, Städte- und Nutzungsplanung.

 

Unter der Losung „Aufbruch statt Abbruch“ wurde ein Nutzungskonzept entwickelt, das die Initiative im Februar 1988 als erstes Konzept Industrie- und Kulturpark Völklinger Hütte dem saarländischen Wirtschaftsministerium vorstellte. Mit einem zur gleichen Zeit eingeführten „Hüttenstammtisch“ verlagerte man den Tätigkeitsschwerpunkt nach Völklingen.

 

Im August 1988 stellte die IVH bei der EG einen Antrag zur „Förderung einer innovativen Qualifizierungsmaßnahme“ am Objekt Alte Völklinger Hütte. Damit wurde der Öffentlichkeit und den zuständigen staatlichen Stellen verdeutlicht: Die Erhaltung des Industriedenkmals kostet nicht nur eigenes Geld, sondern ermöglicht auch Zuschüsse von Dritten. Die Arbeitsgruppe Planung der IVH, bestehend aus Architekten und Diplomingenieuren, entwickelte ein „städtebauliches Szenario“ zur Weiterentwicklung des „Industrie- und Kulturparks“, das sie im saarländischen Landtag vorstellte. Zugleich forderte die IVH zu einem internationalen städtebaulichen Ideenwettbewerb auf und informierte über eine mögliche Restaurierung des Industriedenkmals aus EG-Mitteln. Damit würde das Industriedenkmal den 30 weiteren Kulturdenkmälern in Europa gleichgestellt.

 

Am 31. Mai 1989 beschloss der Stadtrat von Völklingen in einer Resolution die Erhaltung „von Teilen“ – Hochöfen und Hochofengebläsehaus – der Alten Völklinger Hütte.

 

Das Fazit einer Untersuchung durch den Korrosionsschutzfachmann Peter Lorenz von der Fachhochschule Saarbrücken war: Die stillgelegte Anlage befindet sich in einem guten Allgemeinzustand. Das in der Öffentlichkeit propagierte Argument der Abbruchbefürworter, das Industriedenkmal sei „baufällig“, eine Sanierung würde ca. 150 Millionen D-Mark kosten, war damit entkräftet.

 

Ein Beschluss der saarländischen Landesregierung unter Ministerpräsident Oskar Lafontaine vom 12. Juni 1990, den durch die Stadtverwaltung von Völklingen beabsichtigten Abriss der Sinteranlage zu verhindern und das Industriedenkmal als Ganzes zu erhalten, war ein bedeutender Etappensieg.

 

Nicht zuletzt war dieser Beschluss Voraussetzung dafür, dass die Alte Völklinger Hütte am 16. Dezember 1994 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen wurde.

 

Die Hochofenanlage der Völklinger Hütte samt ihrer Nebenanlagen stand nun als Industriekathedrale der Arbeit, als weltweit einziges Werk auf einer Ebene mit den Pyramiden von Gizeh, der Chinesischen Mauer und der Akropolis – um nur einige der bedeutendsten zu nennen.

 

Nach der Entwicklung eines Leitfadens für Besucher und der Ausbildung von Besucherbegleitern durch die IVH wurde 1991 das Industriedenkmal der Öffentlichkeit durch Begehungen zugänglich gemacht. Nun konnten Interessierte die Hochöfen, das Hochofengebläsehaus und andere Anlagen des Industriedenkmals besichtigen, was zu einer deutlichen Akzeptanzerhöhung in der Öffentlichkeit beitrug.

 

Anfang 1996 wurde die „Stiftung Industriekultur“ mit dem Ziel gegründet, mit Landesmitteln die Hüttengeschichte entlang des Rundweges zu präsentieren und das Gelände kulturell zu erschließen. Dazu wurde von der Landesentwicklungsgesellschaft aus Mitteln des Landes ein Betrag von fünf Millionen D-Mark bereitgestellt. Vorstand der Stiftung wurde Franz Zeithammer, in dessen Wirkungszeit bis Februar 1998 die Stiftung in finanzielle Turbulenzen geriet. Am 7. Juli 1999 wurde mit dem „Weltkulturerbe Völklinger Hütte – Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur“ eine neue Trägergesellschaft gegründet. Mit dem neuen Generaldirektor Meinrad Grewenig sollte alles besser werden. Jedoch ließ er ohne Absprache mit den zuständigen Stellen substanzielle Änderungen am Bestand der Bausubstanz vornehmen bzw. beließ es bei Baufreveln. 2011 befanden die ICOMOS-Inspektoren der UNESCO den Zustand des Denkmals für dermaßen bedenklich, dass sie mit der „Roten Liste“ und dem Entzug des UNESCO-Ehrentitels drohten. Aktuell ist die Stelle vakant, aber es bleibt die Zuversicht, dass sich unter den derzeit 22 Bewerbern jemand mit Kreativität und Kompetenz befindet, der oder die alles besser macht.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Hubert Kesternich
Hubert Kesternich ist gelernter Bergmann. Er war rund 44 Jahre auf der Völklinger Hütte tätig. Seit 1990 forscht er zum Montanwesen und Saarhütten. Von ihm erschienen ist unter anderem "Aufstieg und Wandel: 140 Jahre Völklinger Hütte".
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