Die Bundesförderung des industriekulturellen Welterbes

Wege zu einem systematischen Ansatz

Industriekultur prägt unser Leben, ihre Zeugnisse begegnen uns im Alltag allerorten: Heutige Städte verdanken ihre Gestalt der industriellen Revolution. Industriegebäude prägen Raum und spiegeln Zeit. Der Begriff „Industriekathedrale“ macht Größe und Bedeutung für Leben und Arbeiten erst recht bewusst. Die Idee der Arbeitsteilung ermöglichte wirtschaftlichen Aufschwung und setzte zugleich den Menschen ins Räderwerk der Maschinen, was soziale Herausforderungen begründete.

 

Die Industrialisierung bereitete in Deutschland den Weg zum Sozialstaat, indem sich Unternehmer mit Fragen nach einer ausreichenden Versorgung ihrer Arbeiterschaft auseinandersetzen mussten. Ernst Abbes sozialpolitisches Wirken bei Carl Zeiss geben ebenso Zeugnis davon wie etwa die Arbeitersiedlungen der Zechen- und Stahlwerke an Ruhr und Emscher. Die Industrialisierung war Wegbereiter der Globalisierung, denn die Schaffung und der Ausbau von Infrastruktur schuf nicht nur Wege für den Transport von Rohstoffen und Menschen, sondern beschleunigte auch den Wissensaustausch und vergrößerte das Innovationspotenzial. Industrie prägte Lebensbedingungen, gestaltete Stadträume, erfand neue Gewohnheiten und stiftete Identität.

 

Dies geschieht immer noch: Industrie zeichnet sich insbesondere durch die Anforderung und den Anspruch an Digitalisierung aus. Bilder von rauchenden Schornsteinen und körperlich hart arbeitenden Menschen begreifen wir heute als postindustriell. Das postindustrielle Zeitalter ist in der Geschichts- und Erinnerungskultur neben das postkoloniale getreten.

 

Koalitionsauftrag 2018

 

Der Koalitionsvertrag 2018 formuliert einen Auftrag zur Förderung von Industriekultur: „Den Erhalt des baukulturellen Erbes über die Förderung von Denkmalschutz und -pflege wollen wir im Zusammenwirken mit den Ländern und unter Einbezug von Stätten der Industriekultur fortsetzen und ausbauen, ebenso wie die Förderung der UNESCO-Welterbestätten im Inland (…).“ Damit wird ein neues Kapitel für die Bundesförderung der Industrie- und Welterbestätten aufgeschlagen.

 

Die Selbstverpflichtung der Koalitionspartner folgt dem Ansatz des kooperativen Kulturföderalismus. Insbesondere bei national bedeutsamen Angelegenheiten wirken Länder und Bund im Zuge einer Verantwortungspartnerschaft zusammen.

 

Dass industriekulturelles Erbe gleichrangig neben UNESCO-Welterbestätten genannt wird, unterstreicht dessen Bedeutung und bringt ein neues Bewusstsein der Politik ihm gegenüber zum Ausdruck. Angemerkt sei, dass die Förderwürdigkeit von Welterbe aufgrund dessen (inter-)nationaler Bedeutung unstrittig ist.

 

Ein Blick auf die Förderung von UNESCO-Welterbestätten durch den Bund zeigt jedoch, dass es zwar fallweise befristete Förderprogramme gab, eine systematische und generelle Förderung aber nicht Teil des Bundesportfolios ist. So wurde das Investitionsprogramm „Nationale UNESCO-Welterbestätten“ 2019 abgewickelt. Für Stätten der Industriekultur gibt es bis dato bundesseitig keine eigenen Förderprogramme. Der Koalitionsauftrag, die Förderung von Industriekultur angemessen und praktikabel auszugestalten, ist noch nicht eingelöst. Bislang fehlt es an einer Fördersystematik, die angesichts der gewaltigen Zahl an und der Vielgestaltigkeit von Stätten des industriekulturellen Erbes auch schwerlich zu entwickeln sein dürfte.
Demgegenüber ist die Zahl der UNESCO-Welterbestätten limitiert. Insgesamt gibt es in Deutschland 46 UNESCO-Welterbestätten; lediglich sieben sind Welterbe der Industriekultur. Diese bilden die Schnittmenge zwischen UNESCO-Welterbestätten und industriekulturellem Erbe. Es sind – chronologisch nach Ernennung geordnet – das Bergwerk Rammelsberg, die Völklinger Hütte, der Industriekomplex Zollverein in Essen, das Fagus-Werk in Alfeld, die Hamburger Speicherstadt, das Augsburger Wassermanagementsystem und die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří.
Die Welterbestätten befinden sich in unterschiedlichen Trägerstrukturen und spiegeln die Vielfalt des Themenkomplexes wider: von der Eisenhütte im Saarland bis hin zum Stadtensemble in Hamburg. Die Bandbreite an Förderung reicht von keiner – wie derzeit im Fall der grenzüberschreitenden Montanregion – bis hin zu einer vom Sitzland mitfinanzierten institutionellen Förderung – wie im Fall des Welterbes Zollverein. Keine dieser Welterbestätten erhält bisher indes eine institutionelle Förderung seitens des Bundes.

 

Lösungsansätze zum Einlösen des Koalitionsauftrags

 

Um den im Koalitionsvertrag 2018 formulierten Auftrag zu erfüllen, sind drei Wege denkbar, eine Bundesförderung zu gestalten.
1. Es könnte ein Fonds „Industriekultur“ aufgesetzt werden, der mit ausreichenden Mitteln ausgestattet wird. Aufgrund der Vielzahl industriekultureller Stätten wird es jedoch schwer, eine Verteilung der Mittel zu erzielen, die im Einzelnen wirksam wird.
2. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, aus der Gesamtheit der industriekulturellen Stätten einzelne besonders förderwürdige Objekte zu fördern. Hierfür wäre ein Kriterienkatalog zu erarbeiten, der eine Bundesförderung analog spezieller Programme des Bundes etwa im Rahmen der Konjunkturprogramme rechtfertigt. Um den Koalitionsauftrag einzulösen, müssten diese dann auch verstetigt werden.
3. Schließlich könnten die sieben Welterbestätten der Industriekultur als eine besondere Einheit gefördert werden. Dem Grundsatz des kooperativen Kulturföderalismus entsprechend könnte so eine Verflechtung der Ebenen und Akteure durch die Bildung einer Dachorganisation, in Form einer „Stiftung Welterbe Industriekultur“, geschaffen und gesichert werden.
In jedem der drei Fälle müssten die Rahmenbedingungen derart verbessert werden, dass auf Bundesebene Mittel in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Doch haben sich die Vorzeichen dafür angesichts der Herausforderungen der Corona-Pandemie seit Abschluss des Koalitionsvertrags im Jahr 2018 radikal geändert. Immerhin gibt es eine Beschlusslage, für das Erbe Preußens und die Schlösser und Gärten in den neuen Ländern jährlich mehrere Hundert Millionen zur Verfügung zu stellen. Diese Summen bilden offensichtlich die Bedeutung der Förderung postkolonialen Erbes ab. Die Förderung des postindustriellen Erbes sollte sich daran orientieren.

 

Systematik für eine Förderung der UNESCO-Welterbestätten Industriekultur

 

Letztlich erscheint die Bildung einer Dachorganisation für die sieben Welterbestätten der Industriekultur als ein „Königsweg“ zur Einlösung des Koalitionsauftrags. Er verbindet alle skizzierten Elemente dann, wenn von ihr auch die Industriekultur insgesamt profitieren kann, indem hier eine Schaltstelle und Drehscheibe für den Umgang mit den industriekulturellen Stätten in Deutschland (und Europa) entsteht. So lassen sich die drei genannten Wege auf elegante Art miteinander verbinden ebenso wie die Betriebsmittel- mit der Investitionsförderung: Industriekulturelle Stätten haben Mittelbedarf sowohl für Investitionen als auch für den Betrieb. Durch eine institutionelle Bundesförderung einer Dachorganisation kann für beide Bedarfe dauerhaft eine sichere Perspektive geschaffen werden.
Damit würde an die Förderung von Kultureinrichtungen aufgrund des Artikels 35 des Einigungsvertrags in den neuen Ländern angeknüpft und die daraus entwickelte Systematik einer Bundesförderung auch auf die Welterbestätten der Industriekultur angewandt.

 

Blaubuch als Folie einer Fördersystematik

 

Seit bald 30 Jahren steht das postkoloniale Erbe in den neuen Ländern im Fokus der Bundesförderung. Grundlage ist in der Regel das sogenannte Blaubuch, das „Kulturelle Leuchttürme“ in Ostdeutschland benennt. Diese werden als „gesamtstaatlich bedeutende Kultureinrichtungen“ definiert. Insgesamt sind es 20 an der Zahl. Darunter finden sich allerdings keine Stätten der Industriekultur.

 

Das Blaubuch könnte als Folie einer allgemeinen Fördersystematik dienen: Der Bund hat einen ersten Schritt in diese Richtung bereits gemacht, wenngleich nur bezogen auf Investitionen: „Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Ostdeutschland“, kurz: „Invest Ost“, ist seit 2019 zu einem gesamtdeutschen Programm ausgeweitet worden. Nun können nicht nur im Blaubuch gelistete Institutionen Mittel aus dem Programm erhalten.

 

Der folgerichtige zweite Schritt wäre, national bedeutsame Einrichtungen, zu denen die Welterbestätten unzweifelhaft gehören, zu listen und hierdurch einen Zugang zu einer Bundesförderung zu ermöglichen, die eine institutionelle Förderung umfassen kann.

 

Bisher werden sieben kulturelle Leuchttürme des Blaubuchs durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert; vier davon sind UNESCO-Welterbestätten. Darüber hinaus erhält deutschlandweit kein Welterbe eine institutionelle Förderung und somit auch keine national bedeutsame Stätte der Industriekultur, obgleich sie für die (inter-)nationale Geschichts- und Erinnerungskultur eine ebenso hohe Bedeutung haben, ja, an und mit ihnen die heutige postindustrielle Ära in ihrer Herkunft reflektiert und bewusst gemacht werden kann. Stätten der Industriekultur sind zudem Zukunftsstandorte, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ ein klares Postulat an Gegenwart und Zukunft formulieren.
Ginge der Bund diesen zweiten Schritt, könnte nicht nur eine Dachorganisation, etwa eine „Stiftung Welterbe Industriekultur“, sondern auch der Bund selbst profitieren: Die Stiftung würde einen einheitlichen Ansprechpartner für den Bund bilden. Sie könnte eine Verteilerfunktion für die Bundesmittel übernehmen und aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung ein Mitspracherecht des Bundes über Gremienarbeit sichern. Es könnten Synergien durch ein gemeinsames (inter-)nationales Kultur- und Tourismusmarketing ausgeschöpft werden. Als Wissensplattform und Kompetenzzentrum für das Management von Welterbestätten der Industriekultur und Industriekultur generell würde eine zentrale Institution innerhalb Deutschlands und Europas geschaffen, die der Industriekultur internationale Strahlkraft verschafft.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Oliver Scheytt & Julia Ackerschott
Oliver Scheytt ist Professor für Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, Mitglied des Präsidiums des Goethe-Institutes und war von 2003 bis 2007 Mitglied der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages. Julia Ackerschott ist bei der Kulturexperten Dr. Scheytt GmbH als Senior-Beraterin in den Bereichen Strategie und Kulturimmobilien tätig.
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