„Was wir uns aufgebaut haben? Eine neue Heimat, du Trottel, du. Und wenn du das nicht kapierst, dann kannst du mir gestohlen bleiben!“ So weist in „Waldwinter“ die Geflohene Marianne den Heimkehrer Martin zurecht, als der nicht anerkennt, dass die übrigen Dorfbewohner ihre schlesische „Heimat“ – mitsamt der patriarchalen Sozialstruktur, der Folklore und des traditionellen Kunsthandwerks – im Bayerischen Wald rekonstruiert haben. Wenn die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen auch nur in wenigen Filmen derart umfassend behandelt wurde wie hier, so ist dieses gesellschaftspolitisch hoch relevante Thema doch ein fester Bestandteil des Heimatfilms, des beliebtesten bundesdeutschen Filmgenres der 1950er Jahre.
Ein idealtypisches Muster der Integration von Geflüchteten und Vertriebenen im Heimatfilm existiert zwar nicht, dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten der filmischen Integrationsverläufe feststellen, die oft in krassem Gegensatz zu den Erlebnissen der realen Betroffenen stehen. So gelingt die alltagspraktische Integration der Filmflüchtlinge in der Regel völlig unproblematisch: Sie sind immer angemessen gekleidet und adäquat untergebracht; häufig sogar verhältnismäßig luxuriös auf einem Schloss oder Gutshof. Keine der Figuren leidet Hunger, es mangelt nicht an Lebensnotwendigem. Geflüchtete und Vertriebene im Heimatfilm sind niemals arbeitslos und müssen bestenfalls vorübergehend einer unangemessenen Tätigkeit nachgehen.
Auch gelten die filmischen Betroffenen nicht als „Fremde“, sondern werden von den Einheimischen als ihresgleichen behandelt; kulturell bedingte Differenzen werden nicht thematisiert. Die Diskriminierung von Flüchtlingen ist im Heimatfilm ein absoluter Ausnahmefall – etwa in dem heute weitgehend vergessenen Film „Heiße Ernte“. Eheschließungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen sind genauso selbstverständlich wie deren Teilnahme an den heimatfilmtypischen Trachtenfesten: Sie gehören hier prinzipiell „dazu“ und werden grundlegend anders behandelt als Ausländer oder „Fremde“ unklarer Provenienz.
Dass sie – den typischen Schauplätzen des Heimatfilms entsprechend – in ländlichen Regionen neu anfangen müssen, korrespondiert mit der Tatsache, dass auch die realen Geflüchteten und Vertriebenen überwiegend in den großen Flächenstaaten Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern angesiedelt wurden. Während deren Integration in der sozial eher starren, homogeneren und stärker an Hierarchien und Traditionen orientierten ländlichen Gesellschaft jedoch wesentlich konfliktreicher und langwieriger verlief als in der sozial eher durchlässigen, flexibleren und pluralistischeren Stadtgesellschaft, erleichtert die „schöne“, als Idylle inszenierte Landschaft des Heimatfilms den Filmflüchtlingen sogar die Integration, indem sie den Schmerz über den erlittenen Verlust lindert und die neue Umgebung lebenswert erscheinen lässt.
Geflüchtete und Vertriebene im Heimatfilm hegen weder Rückkehrwünsche, noch zeigen sie sich revanchistisch, wenn es auch immer wieder kleinere revisionistische „Angebote“ an das Publikum gibt, wie das in „Grün ist die Heide“ und „Heimat – Deine Lieder“ intonierte „Riesengebirgslied“, in dem es heißt „Riesengebirge, deutsches Gebirge, meine liebe Heimat du“. Die Figuren verwenden ihre gesamte Energie darauf, die neue Lebensumgebung zur „Heimat“ zu gestalten. Exemplarisch dafür steht die Relokalisation der Kirche Wang in Waldwinter. Jegliches Klagen über den Verlust ist rein sentimentaler Natur: Dass die „alte Heimat“ unwiederbringlich verloren ist, steht in den Filmen schon zu Beginn der 1950er Jahre außer Frage. Geflüchtete und Vertriebene werden im Heimatfilm positiv überhöht und als Leistungsträger der sich neu formierenden Nachkriegsgesellschaft inszeniert: Sie sind hilfsbereit, tatkräftig und bescheiden, erscheinen weder frustriert noch traumatisiert, sondern versuchen klaglos, das Beste aus der Situation zu machen.
Dem damaligen Zeitgeist entsprechend, ignorieren die Heimatfilme den ursächlichen Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Flucht und Vertreibung: Die Flucht – die Vertreibung wird generell nicht thematisiert – erscheint grundsätzlich als ebenso bitteres wie unvermeidbares „Schicksal“, über das entweder in mythisch-verklärender Weise oder aber völlig beiläufig gesprochen wird. Mit dieser Enthistorisierung und Dekontextualisierung geht ein Viktimisierungsdiskurs einher, der zwar nicht in jedem Film so deutlich auf den Punkt gebracht wird wie in „Grün ist die Heide“, wo es unter anderem heißt: „Aber wir sind ja am härtesten gestraft“, unterschwellig aber immer mitschwingt.
Das Genre Heimatfilm leistet eine Vermittlung und Versöhnung zwischen „Tradition“ und „Moderne“ – und ist insofern eine Reaktion auf die erheblichen gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Umbrüche der Nachkriegszeit. In diesem Kontext ist auch die Thematisierung von Flucht und Integration zu verstehen: Die Heimatfilme der 1950er Jahre erzählen von der Integration aller in eine neue Gesellschaft. Dabei entwerfen sie Fantasien eines idealtypischen Nachkriegsdeutschland, das die „Heimat“-Ideologie des 19. Jahrhunderts erfolgreich mit der Moderne verknüpft, das sich deutlich vom „Dritten Reich“ unterscheidet, und das allen Flüchtlingen, Vertriebenen und sonstigen durch den Krieg Entwurzelten eine neue „Heimat“ bietet.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.