Der alte Kontinent und die kulturelle Vielfalt – Zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa

A ls der US-amerikanische Präsident Barack Obama im Februar 2013 bei seiner Einführungsrede anlässlich seiner zweiten Amtszeit erklärte, er wolle ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa in seiner Amtszeit auf den Weg bringen und abschließen, horchten viele in Europa auf. Wurde es doch als ein Zeichen interpretiert, dass der erste »pazifische« Präsident der USA, als solchen hatte sich Obama selbst bezeichnet, die Brücke zum alten Europa nicht ganz abreißen lassen will. Die Ernennung von John Kerry zum Außenminister, der einen Teil seiner Jugend in Europa verbracht hatte, wurde ebenfalls als Signal an den alten Kontinent verstanden.

 

Bis zu diesem Zeitpunkt spielte die transatlantische Handelspartnerschaft in der Debatte um die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in Deutschland eine untergeordnete Rolle. Weitaus mehr wurde von der wachsenden weltwirtschaftlichen Bedeutung der sogenannten BRICS-Staaten gesprochen. Unter den BRICS-Staaten werden die Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika verstanden, die in den letzten Jahren ein beträchtliches Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatten und denen die Volkswirte der großen Geldhäuser weitere Wachstumspotenziale im zweistelliger Prozentbereich prognostizierten. Hier werden die Märkte genauso wie die Bedrohungen der Zukunft gesehen. Diese Staaten besitzen nicht nur beträchtliche Rohstoffvorkommen wie Brasilien oder Russland, sie haben innerhalb eines kurzen Zeitraums eine rasante Entwicklung genommen. Wer sich noch erinnert, dass die GATS-Verhandlungen in Cancún (Mexiko) im Jahr 2003 unter anderem am Einspruch Brasiliens und weiterer sogenannter Entwicklungsländer zum Agrarkapitel gescheitert sind, mag ermessen, welche immense wirtschaftliche Entwicklung und Industrialisierung diese Länder in den letzten zehn Jahren genommen haben.

„Ein Ausfluss der stockenden Doha-Runde der WHO“

Und auch die USA haben sich mit Blick auf Handelsabkommen in diesem Jahrzehnt zuerst dem pazifischen Raum zugewandt. Präsident Obama hat in verschiedenen Reden erklärt, dass er sich besonders den Handelsbeziehungen mit den Ländern des pazifischen Raums widmen will und hier die wirtschaftlichen Potenziale für die USA verortet. Bereits im Jahr 2011 wurde begonnen, ein Freihandelsabkommen mit den Ländern Singapur, Chile, Australien, Peru, Neuseeland, Malaysia, Brunei und Vietnam zu schließen. Dieser Initiative haben sich zwischenzeitlich Kanada und Mexiko angeschlossen. Die Verhandlungen sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Bislang sind wichtige Industriestaaten Südostasiens wie China, Japan oder auch Südkorea in dieses Abkommen nicht einbezogen, aber auch ohne diese Staaten würde laut Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie rund ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung von einem solchen Handelsabkommen erfasst. Die genannten Abkommen sind letztlich ein Ausfluss der stockenden Doha-Runde der Welthandelsorganisation. Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Cancún haben diese Verhandlungen keine Fahrt mehr aufgenommen und die bi- sowie multilateralen Handelsabkommen häufen sich.

 

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) ist also nicht in erster Linie eine Geste der alten Verbundenheit von USA und Europa. Es geht vielmehr um die Verteilung der Märkte. Sollte das Abkommen tatsächlich abgeschlossen werden, würden nahezu 50 Prozent des Welthandels in der Freihandelszone zwischen den USA und Europa abgewickelt werden.

 

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum die Bundesregierung und auch die Europäische Kommission so nachdrücklich auf einen Abschluss des Verhandlungsmandats drängten. Es geht um die Position auf dem Weltmarkt, um die Frage, welche Rolle der alte Kontinent Europa im globalen Handel spielt. Bereits im März 2013 waren die internen Verhandlungen aufgenommen worden. Im April informierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erstmals über das geplante Freihandelsabkommen in einer Veranstaltung, an der Vertreter verschiedener Branchen teilnahmen. Bei dieser Veranstaltung kam zum einen zum Ausdruck, dass viele Industriebranchen sich in ihren Exporten nach Südostasien, speziell China, sowie die BRICS-Staaten orientieren und dass zum anderen tarifäre Handelshemmnisse kaum mehr eine Rolle spielen. Entscheidender sind nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie unterschiedliche Normen oder, speziell was die USA betrifft, protektionistische Maßnahmen der Handelspartner. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie machte bei diesem Treffen unmissverständlich klar, dass es keine Ausnahmen im Verhandlungsmandat geben soll, sondern vielmehr mit einem offenen Mandat in die Verhandlungen eingestiegen werden soll.

 

Dieser Vorgehensweise stand von Anfang an die »UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen« (Konvention Kulturelle Vielfalt) entgegen. Denn diese völkerrechtlich verbindliche Konvention, die im Kontext der GATS-Verhandlungen (General Agreement on Trade in Services) in denkbar kurzer Zeit erarbeitet wurde und sowohl von der Europäischen Union als auch der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde, soll dazu dienen, den Kultur- und Mediensektor vor der Liberalisierung zu schützen. Bereits Ende der 1990er-Jahre warnte beispielsweise der damalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen vor einer Liberalisierung des Dienstleistungshandels. Der Deutsche Kulturrat hat sich in mehreren Stellungnahmen gegen eine Einbeziehung von Kultur- und Mediengütern sowie -dienstleistungen in die GATS-Verhandlungen ausgesprochen. Befürchtet wurde beispielsweise, dass durch ein Handelsabkommen wie GATS bestehende Schutzstandards im Urheber- und Leistungsschutzrecht ausgehebelt werden, so dass z.B. US-amerikanische Filmkonzerne in Europa oder Deutschland Rechte in Anspruch nehmen, die sie ihrerseits in den USA nicht gewähren.

„Wie viel Luft wird Kunst und Kultur in Europa gelassen?“

In der Konvention Kulturelle Vielfalt wird unterstrichen, dass der Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt unabhängig von den technologischen Übertragungswegen zu leisten ist. Damit wird sie in die digitale Welt geöffnet. Denn darum geht es doch im Kern beim Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, was den Kultursektor betrifft. Es geht um die Marktchancen US-amerikanischer Konzerne, die längst divers aufgestellt sind und sowohl Technik als auch Inhalte liefern. Wohlgemerkt Inhalte, die sie weder zuvor erstellt, noch in deren Erstellung sie investiert haben. Diese Konzerne wollen möglichst ungehindert auf den europäischen Markt und sie wären es auch, die von einem Investitionsschutzabkommen profitieren, da sie die nötige Marktmacht und wirtschaftliche Potenz haben gegen Staaten zu klagen, wenn sie sich durch deren gesetzliche Entscheidungen eingeschränkt fühlen.

 

Beim Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU geht es also auch darum, wie viel Luft der teilweise kleinteiligen Kultur- und Medienwirtschaft in Europa und in Deutschland gelassen wird. Sind die Initiativen zur Stärkung dieses Sektors tatsächlich ernst gemeint oder handelt es sich um Beiwerk, um der eigenen Wirtschaftspolitik einen modernen Anstrich zu geben? Der Deutsche Kulturrat hat unmittelbar nach der Information durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eine adhoc-Arbeitsgruppe eingerichtet, in der die möglichen Auswirkungen des Freihandelsabkommen diskutiert wurden und hat sich mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Ebenso hat der Deutsche Kulturrat am 15. Mai ein Hintergrundgespräch mit Abgeordneten durchgeführt, bei dem Experten aus den verschiedenen Kulturbereichen über die möglichen Auswirkungen des Freihandelsabkommens in ihrem Bereich informiert haben. Der Deutsche Kulturrat hat sich mit Nachdruck für eine Ausnahme des Kultur- und Medienbereiches vom Verhandlungsmandat eingesetzt. Diese Forderung stieß sowohl bei den Abgeordneten des Europäischen Parlaments als auch im Bundesrat auf offene Ohren. Sowohl das EP als auch der Bundesrat haben sich eine Bereichsausnahme ausgesprochen. Die Bundesregierung blieb bei ihrer Position, dass kein Bereich ausgenommen werden soll.

 

Der europäische Teil des Verhandlungsmandats wurde am 14. Juni vom EU-Handelsministerrat verabschiedet. Dank des beharrlichen Wirkens der französischen Handelsministerin wurde durchgesetzt, dass der audiovisuelle Sektor von den Verhandlungen ausgenommen wird. Im Mandat wird an verschiedenen Stellen bekräftigt, dass die Konvention Kulturelle Vielfalt beachtet wird. Dennoch besteht weder Grund noch Anlass sich beruhigt zurückzulehnen. Im Juli beginnen die Verhandlungen. Sie gilt es nun intensiv zu begleiten und kontinuierlich dafür zu streiten, dass die völkerrechtlich verbindliche Konvention Kulturelle Vielfalt beachtet und eingehalten wird. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

 

Dieser Text ist zuerst in Politik & Kultur 04/2013 erschienen.

Gabriele Schulz
Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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