Am Ball bleiben

TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel

Einige Monate liegt die Großdemonstration gegen TTIP, CETA & Co. nun schon zurück. Am 10. Oktober 2015 trugen rund 250.000 Menschen in Berlin ihren Protest auf die Straße. Mittlerweile wurden außerdem über 3,4 Millionen Unterschriften im Rahmen der Selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“ gesammelt; 3,2 Millionen davon konnten am 9. November bereits dem EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz übergeben werden. Die Bevölkerung steht den sich in Verhandlung befindlichen Freihandelsabkommen zunehmend kritisch gegenüber, was nicht zuletzt auf die kontinuierliche und unermüdliche Arbeit verschiedener breiter Bündnisse aus Umwelt- und Verbraucherschutz, Gewerkschaften und Globalisierungskritikern sowie Wohlfahrts- und Kulturverbänden zurückzuführen ist. Viel wurde erreicht, aber gestoppt sind TTIP, CETA & Co. noch lange nicht.

 

Um die Energie der freihandelskritischen Bewegung nicht versanden zu lassen, lud TTIP unfairhandelbar in Kooperation mit zahlreichen anderen Partnerorganisationen am 26. und 27. Februar 2016 zur „TTIP Strategie- und Aktionskonferenz“ nach Kassel ein. Diesem Aufruf folgten rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – mit dem Ziel, sich über die Fortführung des Protests auszutauschen, kreative Ideen zu entwickeln und sich noch stärker zu vernetzen. Neben zahlreichen Workshops zu den Themenschwerpunkten der Freihandelsabkommen, den akteursbezogenen Perspektiven (z. B. kleine und mittlere Unternehmen, Kommunen, Gewerkschaften, u.v.m.) sowie zu konkreten Strategien und Aktionen wurde im Rahmen von drei zum Teil international besetzten Podien über das bisher Erreichte und die Zukunft des Protests informiert und debattiert. Vor allem der Blick über den nationalen Tellerrand im Rahmen des dritten Panels machte deutlich, worum es ganz zentral beim Widerstand gegen TTIP, CETA & Co. gehen muss: eine alternative Wirtschafts- und Handelspolitik, die nicht nur die eigenen Interessen berücksichtigt, sondern vor allem auch dafür sorgt, dass sich das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungs- und Schwellenländern nicht verstärkt, sondern sich bestenfalls aufhebt.

„All diese Aktionen können nur darauf abzielen, die Ratifizierung von CETA zu verhindern und den Vertragsabschluss über TTIP unmöglich zu machen.“

Denn neben den berechtigten Befürchtungen, dass hierzulande Verbraucherstandards abgesenkt werden, genmanipulierte Lebensmittel das Angebot dominieren und die, auch kulturelle Daseinsvorsorge zunehmend und zu ihren Ungunsten verhandelt wird, ist es vor allem der globale Süden, der unter den Auswirkungen der bilateralen Handelsabkommen leiden wird. Sven Hilbig von „Brot für die Welt“ veranschaulichte dies vor dem Hintergrund einer 2014 veröffentlichten Studie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zu den Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer. Prognostiziert werde zunächst ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes in vielen Ländern des globalen Südens, was jedoch, laut BMZ, durch einen Tourismusboom in diesen Ländern ausgeglichen werden könnte. Begründet wird dieser mit den vermeintlich steigenden Löhnen in der EU und den USA und einem entsprechend größeren Interesse an Fernreisen. Dass es sich bei TTIP, CETA & Co. jedoch nicht um „kostenlose Konjunkturpakete“ (Sabine Stephan) handelt, ist hinlänglich bekannt.

 

Mit viel Zuspruch und Ermutigung für die europäische Bewegung im Gepäck war unter anderem auch Melinda St. Louis von Public Citizen, einer der größten Verbraucherschutzorganisationen in den USA, angereist. Sie bestärkte die Aktivistinnen und Aktivisten in Deutschland und Europa, sich weiterhin gegen Geheimverhandlungen, Investor-Schiedsgerichte und leere Wachstumsversprechen aufzulehnen. St. Louis blickte in ihrem Vortrag auf die Erfahrungen mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) zurück, das 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko geschlossen wurde. Auch die im Rahmen von NAFTA prophezeiten Arbeitsplätze blieben aus – im Gegenteil, viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verloren ihre Jobs. Mit den Folgen von NAFTA habe – wenig überraschend – insbesondere Mexiko zu kämpfen.

 

Am Ende der Konferenz verabschiedeten die Konferenzteilnehmenden eine Abschlusserklärung, in der sie sich auf entschiedenen Widerstand gegen die Freihandelsabkommen verständigten und dazu aufriefen, die zahlreichen Aktionen, die für das Jahr 2016 und darüber hinaus geplant sind, aktiv zu unterstützen. Dazu zählen unter anderem die überregionale Demonstration in Hannover am 23. April 2016 anlässlich des Treffens von Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel bei der Hannover-Messe, zivilgesellschaftliche Lobbyaktionen gerichtet an Parteien und Parlamente, dezentrale große Demonstrationen im Herbst in mehreren Städten, der internationale Aktionstag zu TTIP und CETA am 5. November 2016 sowie ein Kongress über Alternativen in der Wirtschafts- und Handelspolitik Ende 2016 bzw. Anfang 2017.

 

All diese Aktionen können nur darauf abzielen, die Ratifizierung von CETA zu verhindern und den Vertragsabschluss über TTIP unmöglich zu machen. Denn, so Pia Eberhardt von Corporate Europe Observatory (CEO), „wir werden nie den Tag erleben, an dem die Obamas, Merkels und Junckers dieser Welt vor die Presse treten und sagen: Wir lassen es! Es war eine schlechte Idee!“

 

Die (Video-)Dokumentation der Podiumsdiskussionen und Workshops sowie die Abschlusserklärung der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz sind unter www.ttip-aktionskonferenz.de zu finden.

Carolin Ries
Carolin Ries ist Mitarbeiterin des Deutschen Kulturrates
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