Geschlechtergerechtigkeit in Berufsorchestern

Zwei Studien und eine noch lange gemeinsame Wegstrecke

Passend zum Weltfrauentag und der im März jedes Jahres verstärkt geführten Gender-Pay-Gap-Debatte sind kürzlich zwei Orchestererhebungen veröffentlicht worden: Die eine Studie „Geschlechterverteilung in deutschen Berufsorchestern“ untersucht in einer Vollerhebung bei den 129 öffentlich finanzierten Orchestern, wie es um die Verteilung von Musikerinnen und Musikern differenziert nach Stimmgruppen, Dienststellungen und Orchestertypus steht. Diese Untersuchung, herausgegeben vom Deutschen Musikinformationszentrum (miz) und dem Deutschen Musik­rat in Kooperation mit der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein, schließt damit eine wissenschaftliche Lücke.

 

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass zwar mittlerweile fast 40 Prozent der Musizierenden in Berufsorchestern weiblich sind, jedoch mit steigendem Renommee des Orchesters und höherer Stimmposition der Anteil an Frauen in höheren Dienststellungen mit 21,9 Prozent besonders niedrig ist. Zur Erinnerung: Die Berliner Philharmoniker nahmen erst im Jahre 1982 die erste Musikerin in ihren Reihen auf, die Wiener Philharmoniker brauchten noch weitere 15 Jahre.

 

Während Blechbläser und Schlagwerke einen nach wie vor besonders hohen Männeranteil von rund 75 Prozent haben, ist bei den Streichinstrumenten mittlerweile jedes zweite Orchestermitglied eine Frau. Ihr Anteil an den höheren Dienststellungen ist mit 32,7 Prozent aber vergleichsweise gering. Vereinfacht gesprochen: Je niedriger die Dienststellung, desto höher der Frauenanteil. So weisen 73 der 129 Orchester einen überdurchschnittlichen Frauenanteil auf. Dies sind aber überwiegend Orchester der mittleren Vergütungsgruppe. Und obwohl beispielsweise die 1. Violine bezogen auf alle 129 Berufsorchester zu fast 60 Prozent weiblich besetzt ist, finden sich unter den 206 ersten Konzertmeisterinnen nur 62 Frauen, das wiederum entspricht einem Anteil von nur 30 Prozent.

 

Interessant ist, dass ausgerechnet bei den Blasinstrumenten, die nur von knapp 26 Prozent Frauen gespielt werden, hier der Anteil der Bläserinnen in höheren Dienststellungen mit 25,1 Prozent hingegen ziemlich genau dem Gesamtanteil von Frauen bei ebendieser Instrumentengruppe entspricht. In den solistischen Stellvertreterpositionen sind Frauen bei den Blasinstrumenten mit 32 Prozent damit am stärksten vertreten.

 

Insgesamt aber zeigt sich einmal mehr, dass Frauen immer noch zu selten in Spitzenpositionen vordringen, dies gilt nicht nur für den Kultursektor allgemein, sondern auch für öffentlich finanzierte Orchester. Diese disproportionale Verteilung von Männern und Frauen nach Dienststellungen hat eine unmittelbare finanzielle Schlechterstellung der Musikerinnen zur Folge. Der einzige Lichtblick ist hier die Altersverteilung der Orchestermitglieder insgesamt: In der Altersgruppe unter 45 Jahren liegen Frauen mit ihren männlichen Kollegen gleichauf. Vielleicht hält dieser Trend an und führt langsam zu einem Abschmelzen der Spitzenpositionen mit männlicher Besetzung. Statistische Belege aber gibt es hierfür noch keine.

 

Die zweite Studie „Women in High-Visibility Roles in German Berufsorchester“ verfasste die Dirigentin und Physikerin Melissa Panlasigui im Rahmen eines Stipendiums der Alexander von Humboldt Stiftung. Obwohl beide Studien gänzlich unabhängig voneinander entstanden sind, greifen sie glücklicherweise perfekt ineinander. Denn Melissa Panlasigui untersuchte die Anzahl von Komponistinnen, Intendantinnen und Dirigentinnen in ebendiesen 129 deutschen Berufsorchestern in der Spielzeit 2019/2020.

 

Ihre drei Hauptergebnisse sind die folgenden: Erstens, Werke von Komponistinnen standen mit 13 Prozent häufiger auf dem Programm von Konzertreihen für zeitgenössische Musik als mit kläglichen 1,9 Prozent auf Programmen der Abonnementreihen. Damit war der Anteil weiblicher Komponistinnen bei den Abo-Reihen in der Spielzeit 2019/2020 nicht größer als der von Bartók oder Schubert einzeln gerechnet, und nur halb so groß wie der von Mozart oder Brahms. 60 Prozent der Berufsorchester spielten nicht ein einziges Werk von einer Frau – und das alles öffentlich finanziert. Bezüglich dieser erschreckenden Zahlen gibt es nur einen Lichtblick: Die Häufigkeit der Darbietung von Werken von Komponistinnen ist nicht abhängig vom Geschlecht der dirigierenden Person.

 

Das zweite Studienergebnis bezieht sich auf den Frauenanteil von Führungspositionen im Orchester wie Generalmusikdirektorin (GMD) oder Künstlerische Leiterin: Ihr Anteil lag bei traurigen 8 Prozent. Das heißt, von bundesweit 129 GMDs sind 4 weiblich, und von 63 Künstlerischen Leitungen 10. Die Zahl liegt damit deutlich unter dem bundesdeutschen Anteil von Frauen in Führungspositionen über alle Berufssparten gerechnet, der laut Bundesagentur für Arbeit bei immerhin – aber ebenfalls unbefriedigenden – 27 Prozent liegt. Auch die Orchestervorstände wurden untersucht: Bei 62 Orchestern lagen hierzu Daten vor, und bei diesen Ensembles besetzen Frauen nur 30 Prozent der Mitglieder in diesen wichtigen Entscheidungsgremien.

 

Cornelie Kunkat
Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
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