Vom Geschichtenerzählen in der Fremde

Narges Kalhor über das Filmemachen im Iran und in der Bundesrepublik

Und in Deutschland?

Hier ist es genau andersherum. Du kannst immer Filme machen – aber es ist sehr teuer. Wenn ich hierzulande einen Film machen will, der auch wie ein Film aussehen soll, habe ich sehr große Kosten. Die meisten Kosten verursachen die Versicherung, die Krankenkasse und die Menschen, die am Set sein sollen, die dort arbeiten. Das heißt, ich brauche Geld und dieses kommt nicht von privater Seite, sondern vom Staat. Und der Staat sagt: „Ich gebe dir Geld, aber du brauchst das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Wenn das Fernsehen dir hilft, kommt zusammen zu mir.“ Das heißt, ich brauche erst einmal einen Produzenten, der Redakteure beim Fernsehen kennt, zu denen geht und sie vom Projekt überzeugt. Wenn diese einverstanden sind, können wir staatliche Förderung beantragen.

 

Was ist, wenn der Produzent von Ihrem Projekt nicht begeistert ist?

Dann bin ich gleich raus. Wenn er mir aber eine Chance gibt, können wir zum Fernsehredakteur gehen. Es ist aber gut möglich, dass dieser Folgendes sagt: „Nein, so etwas machen wir nicht. Das ist langweilig. Das ist kein Fernsehformat. Ihr müsst die Dramaturgie so und so umbauen.“ Dann schreibe ich um.

 

Trotzdem gibt es in diesem System auch sehr, sehr mutige Filmemacher, die sagen: „Wir machen unseren Film und danach begeistern wir euch.“ Es gibt immer wieder diese tollen Ausnahmen in Deutschland, die das Ganze mit ihrem eigenen Budget durchkämpfen und durchstehen, ihre Filme an Festivals schicken, im besten Fall Erfolg haben und daraus resultierend Anfragen vom Fernsehen oder vom Verleih bekommen.

 

Wenn Sie ein Resümee ziehen müssten …

Es kommt auf die persönliche Einstellung an. Ich werde in Deutschland mit meinen Filmen wahrscheinlich nicht reich werden, aber im Iran würde ich es auch nicht. Im Iran könnte ich bekannter werden als in Deutschland. Aber hier kann ich technisch bessere Filme machen.

 

Haben Sie das Gefühl, dass es bestimmte Erwartungen an Sie als exilierte Regisseurin gibt?

Wir sind, wenn wir eine andere Muttersprache als Deutsch
haben, unabhängiger als die von hier stammenden Menschen. Wir haben einen Zugang zu etwas, worüber die meisten hier nichts wissen. Ich erlebe die Menschen hierzulande als sehr interessiert. Dennoch ist es eine Frage des Glücks. Ich habe zufällig einen iranischen Künstler kennengelernt, der vor längerer Zeit auch als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist. Keiner kennt ihn, obwohl er großartige abstrakte Bilder malt. Ich habe mich gefragt, warum – niemand erwartet von einem Iraner, solche Bilder zu schaffen. Kubistische oder abstrakte Bilder können auch Deutsche malen. Was mich betrifft: Wenn ich experimentelle Filme produziere, was jeder hier machen könnte, habe ich sehr viele Konkurrenten. Aber wenn ich ein Stück iranischer Miniatur mit zwei Sätzen auf Persisch hineintue, bin ich in der Kategorie von hundert Menschen.

 

„In the Name of Scheherazade“ spielt eben mit „exotischen Einsprengseln“. In einer Szene stehen Ausstellungsbesucher um eine Künstlerin mit lockigen Haaren und dunklerem Teint. Eine Kuratorin stellt sie vor, stellt ihr Fragen und danach ist das Publikum dran, sich zu äußern. Währenddessen fallen kleine Steine aus der Installation – aus einigen in der Luft hängenden nackten Gummipuppen. Die Künstlerin versucht, ihre Vorgehensweise und ihre Haltung zu erklären. Das Ganze kann als Kritik an den Klischees und Erwartungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft an „Exoten“ verstanden werden. Zugleich spielt der Film mit den Klischees und befriedigt sie auch, um seinerseits Erfolg beim Publikum zu haben.

Das ist richtig! Darum der Titel „In the Name of Scheherazade or The first Beergarden in Tehran“. Am Ende, wenn die Kamera sich zurückzieht, zeige ich, was alles nicht stimmt, was vorher behauptet wurde: Bier kommt nicht aus dem Iran. Aber die Zuschauer gehen genau deswegen ins Kino, weil sie den Film »Biergarten in Teheran« sehen wollen. Das alles ist bewusst ausgewählt. Steinbrecher, der Tutor, der im Film immer nur im Off zu hören ist, sagt einmal, dass der Filmtitel einen Bezug zum Heimatland der Regisseurin haben muss.

 

Ich kritisiere nicht nur westliche Erwartungen, sondern auch mich selbst. Ich kritisiere die Künstlerin mit den Gummipuppen und die, die gar nichts mit dem Nahen Osten zu tun haben, aber „Naher-Osten-Kunst“ produzieren. Denen will ich am liebsten sagen: „Ihr könnt die Sprache nicht. Ihr wart vielleicht niemals dort. Und wenn, kauft ihr eure Unterhosen in einem Basar im Süden Teherans, hängt sie daheim in Europa auf, macht eine Show daraus, seid erfolgreich und Zeitungen schreiben oder interviewen euch. Eigentlich nehmt ihr aber richtigen Künstlern aus dem Nahen Osten den Platz weg, die in einem Keller sitzen und etwas schaffen, ohne dass irgendjemand im Westen davon weiß.“

 

Stichwort Heimat – die Regisseurin im Film sagt, dass sie zwei Heimaten hat: Bayern und Iran. Gilt das auch für Sie selbst?

Nach zehn Jahren in München habe ich kein richtiges Heimatgefühl entwickelt. Ich kann die Sprache und mit den Menschen kommunizieren. Aber die deutsche Kultur war sehr, sehr schwierig zu erlernen. Ich hatte ursprünglich sehr viele Freunde, die deutsch waren. Zehn Jahre später haben die allermeisten von ihnen einen Migrationshintergrund. Mein Mann ist Amerikaner. Ich brauche auch keinen Ersatz für den Iran. Ich komme damit klar, wie es ist.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.

Narges Kalhor und Behrang Samsami
Narges Kalhor ist Drehbuchautorin und Regisseurin. Behrang Samsami ist freier Journalist.
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