Vom Geschichtenerzählen in der Fremde
Narges Kalhor über das Filmemachen im Iran und in der Bundesrepublik
Der erste Biergarten in Teheran? Eine Iranerin, die Brauwesen in Bayern studiert hat, möchte in der Hauptstadt der Islamischen Republik bajuwarische Bierkultur hochleben lassen – alkoholfrei versteht sich. Ein homosexueller Syrer, der vor dem Krieg aus seiner Heimat geflohen ist, muss sich den wenig empathischen Fragen deutscher Behörden stellen. Eine iranische Regisseurin ist verzweifelt, weil ein deutscher Tutor mit ihren Vorschlägen nicht viel anfangen kann und mehr von ihrer Heimat im Film sehen möchte. Eine Künstlerin aus Afghanistan, die in einer Burka auftritt und nackte weibliche Gummipuppen ausstellt, aus denen kleine Steine fallen, ist – wie sich herausstellt – in Berlin geboren und spricht „nur“ Deutsch. In ihrem Abschlussfilm „In the Name of Scheherazade or The first Beergarden in Tehran“ an der Hochschule für Fernsehen und Film München zeigt die seit 2009 in München lebende iranische Regisseurin Narges Kalhor nicht nur die Konflikte dieser vier Figuren. Sie spielt auch sehr humorvoll, gekonnt und (selbst-)kritisch mit den Klischees, die Nichtdeutschen und Deutschen nachhängen, und den Erwartungen, die man an sie hat. An François Truffauts Film „La Nuit américaine“ (1973) erinnernd, thematisiert auch Kalhor die Probleme, das Misslingen und Neuansetzen beim Filmemachen und schafft es auf ihre Weise, das Geschichtenerzählen – Scheherazade spielt im Film übrigens keine unwichtige Rolle – selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Behrang Samsami sprach während des 50. Filmfestivals „Visions du réel“ im schweizerischen Nyon mit Narges Kalhor, deren Abschlussfilm hier seine Weltpremiere feierte, über das Filmemachen im Iran und in der Bundesrepublik, über ihre Wahrnehmung als exilierte Künstlerin und ihren Heimatbegriff.
Behrang Samsami: Frau Kalhor, nach der Aufführung Ihres Films „In the Name of Scheherazade“ sagten Sie bei der anschließenden Diskussion auf der Bühne: „In Deutschland habe ich gelernt, ich solle in meinen Filmen perfekt sein.“ Und fügten hinzu: „Heute kümmert das mich nicht mehr.“ Was meinen Sie damit?
Narges Kalhor: Ich habe in München an einer Filmhochschule studiert, die einen sehr guten Ruf hat. Der Aufbau des Studiums ist richtig gut. Wir haben klasse Professoren. Hier habe ich eines gelernt: Wie komplex alles ist, wenn man einen Film macht! Ich habe, als ich noch im Iran lebte, mit meinen Freunden Filme für zwei, drei Euro produziert. Wir haben alles selbst gedreht, den Abspann geschrieben, hochgeladen und an Festivals geschickt. Erst in Deutschland wurde mir klar, wie viele Verträge ich machen muss. Einerseits ist das sehr gut. Beispielsweise was die Sicherheit in Form des Copyrights betrifft. Andererseits geht es in jede Kleinigkeit hinein. Ein Beispiel: Der Vorspann von „In the Name of Scheherazade“ wurde ganze dreimal korrigiert. Was habe ich gemacht? Man sieht, wie ich im Vorspann die Fehler berichtige. Das heißt, ich bin bewusst in diese Richtung gegangen: Ich mache Fehler, ich lasse mich korrigieren, aber trotzdem schmeiße ich meine Fehler nicht raus. Ergo: Der Film ist eine Skizze, ein Entwurf. Vom ersten bis zum letzten Take. Und die Korrektur wird quasi draufgeklebt. Das war meine Art des Protests, dass ich sage: „Hey, es ist so lächerlich, es ist egal, wenn der Anfangsbuchstabe eines Wortes groß oder klein geschrieben wird.“
Sie sind 2009 wegen Ihres politischen Engagements im Rahmen der Grünen Bewegung nach Deutschland emigriert. Im Iran hatten Sie bereits Filme gedreht. Worin liegen Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede im Filmemachen zwischen dem Iran und der Bundesrepublik?
Im Iran ist es so: Wenn der Filmstoff nicht genehmigt wird, hast du keine Chance, staatliche Unterstützung und große Produzenten zu finden. In dem Fall wird der Film privat finanziert.
Meistens sind es die Regisseure selbst oder Verwandte, die ihn produzieren, weil es sonst nicht geht. Auch wenn der Rohschnitt und der fertige Film abgenommen sind, ist es noch nicht sicher, ob der Film es ins Kino schafft. Es gibt gute Filme, die zehn Jahre oder länger im Kulturministerium in Teheran liegen, weil sie keine Genehmigung bekommen. Aber wenn sie dann im Kino gezeigt werden, sind sie sehr erfolgreich und laufen lange. Meine Schwester etwa ging nach Mitternacht in die letzte Vorführung eines Films, weil dieser ihr wichtig war. Anders formuliert: Iranern ist bewusst, dass es einen guten Film gibt, dass sie aber keinen Zugang dazu haben – also kämpfen sie dafür.
Gibt es Vorteile, im Iran zu drehen?
Das Filmemachen im Iran ist wahnsinnig günstig, wenn man das mit den Verhältnissen in der Bundesrepublik vergleicht. Die Leute müssen damit kein Geld verdienen, sondern machen Filme aus Liebe, aus Protest und aus Leidenschaft. Es gibt auch die Techniker, die mit kommerziellen Filmen und Fernsehserien gutes Geld verdienen und dann aus Liebe mit guten Regisseuren Filme drehen, ohne Geld zu verlangen. Das ist das Prinzip im Iran.
Und in Deutschland?
Hier ist es genau andersherum. Du kannst immer Filme machen – aber es ist sehr teuer. Wenn ich hierzulande einen Film machen will, der auch wie ein Film aussehen soll, habe ich sehr große Kosten. Die meisten Kosten verursachen die Versicherung, die Krankenkasse und die Menschen, die am Set sein sollen, die dort arbeiten. Das heißt, ich brauche Geld und dieses kommt nicht von privater Seite, sondern vom Staat. Und der Staat sagt: „Ich gebe dir Geld, aber du brauchst das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Wenn das Fernsehen dir hilft, kommt zusammen zu mir.“ Das heißt, ich brauche erst einmal einen Produzenten, der Redakteure beim Fernsehen kennt, zu denen geht und sie vom Projekt überzeugt. Wenn diese einverstanden sind, können wir staatliche Förderung beantragen.
Was ist, wenn der Produzent von Ihrem Projekt nicht begeistert ist?
Dann bin ich gleich raus. Wenn er mir aber eine Chance gibt, können wir zum Fernsehredakteur gehen. Es ist aber gut möglich, dass dieser Folgendes sagt: „Nein, so etwas machen wir nicht. Das ist langweilig. Das ist kein Fernsehformat. Ihr müsst die Dramaturgie so und so umbauen.“ Dann schreibe ich um.
Trotzdem gibt es in diesem System auch sehr, sehr mutige Filmemacher, die sagen: „Wir machen unseren Film und danach begeistern wir euch.“ Es gibt immer wieder diese tollen Ausnahmen in Deutschland, die das Ganze mit ihrem eigenen Budget durchkämpfen und durchstehen, ihre Filme an Festivals schicken, im besten Fall Erfolg haben und daraus resultierend Anfragen vom Fernsehen oder vom Verleih bekommen.
Wenn Sie ein Resümee ziehen müssten …
Es kommt auf die persönliche Einstellung an. Ich werde in Deutschland mit meinen Filmen wahrscheinlich nicht reich werden, aber im Iran würde ich es auch nicht. Im Iran könnte ich bekannter werden als in Deutschland. Aber hier kann ich technisch bessere Filme machen.
Haben Sie das Gefühl, dass es bestimmte Erwartungen an Sie als exilierte Regisseurin gibt?
Wir sind, wenn wir eine andere Muttersprache als Deutsch
haben, unabhängiger als die von hier stammenden Menschen. Wir haben einen Zugang zu etwas, worüber die meisten hier nichts wissen. Ich erlebe die Menschen hierzulande als sehr interessiert. Dennoch ist es eine Frage des Glücks. Ich habe zufällig einen iranischen Künstler kennengelernt, der vor längerer Zeit auch als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist. Keiner kennt ihn, obwohl er großartige abstrakte Bilder malt. Ich habe mich gefragt, warum – niemand erwartet von einem Iraner, solche Bilder zu schaffen. Kubistische oder abstrakte Bilder können auch Deutsche malen. Was mich betrifft: Wenn ich experimentelle Filme produziere, was jeder hier machen könnte, habe ich sehr viele Konkurrenten. Aber wenn ich ein Stück iranischer Miniatur mit zwei Sätzen auf Persisch hineintue, bin ich in der Kategorie von hundert Menschen.
„In the Name of Scheherazade“ spielt eben mit „exotischen Einsprengseln“. In einer Szene stehen Ausstellungsbesucher um eine Künstlerin mit lockigen Haaren und dunklerem Teint. Eine Kuratorin stellt sie vor, stellt ihr Fragen und danach ist das Publikum dran, sich zu äußern. Währenddessen fallen kleine Steine aus der Installation – aus einigen in der Luft hängenden nackten Gummipuppen. Die Künstlerin versucht, ihre Vorgehensweise und ihre Haltung zu erklären. Das Ganze kann als Kritik an den Klischees und Erwartungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft an „Exoten“ verstanden werden. Zugleich spielt der Film mit den Klischees und befriedigt sie auch, um seinerseits Erfolg beim Publikum zu haben.
Das ist richtig! Darum der Titel „In the Name of Scheherazade or The first Beergarden in Tehran“. Am Ende, wenn die Kamera sich zurückzieht, zeige ich, was alles nicht stimmt, was vorher behauptet wurde: Bier kommt nicht aus dem Iran. Aber die Zuschauer gehen genau deswegen ins Kino, weil sie den Film »Biergarten in Teheran« sehen wollen. Das alles ist bewusst ausgewählt. Steinbrecher, der Tutor, der im Film immer nur im Off zu hören ist, sagt einmal, dass der Filmtitel einen Bezug zum Heimatland der Regisseurin haben muss.
Ich kritisiere nicht nur westliche Erwartungen, sondern auch mich selbst. Ich kritisiere die Künstlerin mit den Gummipuppen und die, die gar nichts mit dem Nahen Osten zu tun haben, aber „Naher-Osten-Kunst“ produzieren. Denen will ich am liebsten sagen: „Ihr könnt die Sprache nicht. Ihr wart vielleicht niemals dort. Und wenn, kauft ihr eure Unterhosen in einem Basar im Süden Teherans, hängt sie daheim in Europa auf, macht eine Show daraus, seid erfolgreich und Zeitungen schreiben oder interviewen euch. Eigentlich nehmt ihr aber richtigen Künstlern aus dem Nahen Osten den Platz weg, die in einem Keller sitzen und etwas schaffen, ohne dass irgendjemand im Westen davon weiß.“
Stichwort Heimat – die Regisseurin im Film sagt, dass sie zwei Heimaten hat: Bayern und Iran. Gilt das auch für Sie selbst?
Nach zehn Jahren in München habe ich kein richtiges Heimatgefühl entwickelt. Ich kann die Sprache und mit den Menschen kommunizieren. Aber die deutsche Kultur war sehr, sehr schwierig zu erlernen. Ich hatte ursprünglich sehr viele Freunde, die deutsch waren. Zehn Jahre später haben die allermeisten von ihnen einen Migrationshintergrund. Mein Mann ist Amerikaner. Ich brauche auch keinen Ersatz für den Iran. Ich komme damit klar, wie es ist.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.
Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat