Obwohl Israel erst 1966 mit der Ausstrahlung von Fernsehsendungen begann, ist das Land heute zweifellos einer der weltweit führenden Anbieter von TV-Unterhaltungsprogrammen. Der Erfolg Dutzender in Israel produzierter Fernsehsendungen hat eine regelrechte Sucht nach israelischen Programmen ausgelöst, und sobald es eine neue Serie im Fernsehen gibt, wird sie fast immer von einem internationalen Sender oder Streamingdienst aufgegriffen, ausgestrahlt oder neu produziert.
In den letzten Jahren waren Fernsehserien wie „Fauda“ und „Shtisel“ große Netflix-Hits; die Serie „Valley of Tears“ läuft auf HBO Max, und „Tehran“, ein Programm, das gerade erst einen International Emmy Award für die „Beste Dramaserie“ erhalten hat, kann man sich auf Apple TV+ ansehen. Auf der ganzen Welt werden mittlerweile Remakes von israelischen Serien produziert. Die Serie „Your Honor“ z. B. wurde in den USA mit Bryan Cranston in New Orleans neu verfilmt. Und das sind nur einige von unzähligen Beispielen.
Israel hat in den letzten Jahren bei internationalen Fernsehwettbewerben viele Preise abgeräumt. Im Jahr 2015 gewann „Fauda“ den Publikumspreis beim „Series Mania“-Festival in Frankreich; 2017 erhielt dort die Serie „Your Honor“ den Hauptpreis, der 2018 an eine weitere israelische Produktion mit dem Titel „On the Spectrum“ ging.
Kurzum: Israel hat sich mit Fernsehserien, die Zuschauer auf der ganzen Welt begeistern, zu einem globalen Fernseh-Phänomen entwickelt. Dabei ist es dem Land gelungen, insbesondere zwei Faktoren zu überwinden: seine geringe Größe und die Tatsache, dass Israel oft harter politischer Kritik ausgesetzt ist, und internationale Organisationen wie die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (BDS) dazu aufrufen, israelische Produkte zu boykottieren oder Investitionen aus dem Land abzuziehen.
Eine Reihe von Faktoren hat dazu beigetragen, dass Israels Fernsehindustrie zu dem geworden ist, was sie heute ist. Zum einen liegt es sicherlich daran, dass – wie man so schön sagt – „Not erfinderisch macht“. Am Anfang hatte die israelische Unterhaltungsbranche nicht viel Geld zur Verfügung, und selbst heute werden israelische Serien mit einem im Vergleich zu europäischen oder amerikanischen Produktionen bescheidenen Budget konzipiert und produziert. „Valley of Tears“, eine Serie über den Jom-Kippur-Krieg, in der Kampfhandlungen von 1973 nachgestellt wurden, war die kostspieligste Serie in der Geschichte Israels und ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Israelische Produzenten und Autoren sind stets auf der Suche nach einfachen Ideen, die sich ohne komplizierte Kulissen, Spezialeffekte oder viele Schauspieler umsetzen lassen, die aber dennoch das Publikum begeistern.
Israelisches Fernsehen wurde zu einem Medium für Schriftsteller und Drehbuchautoren, die sich exzellente Konzepte ausdenken, welche beim Publikum sehr gut ankommen. Das gilt für Serien wie „BeTipul“, die in den USA unter dem Titel „In Treatment“ und in der ganzen Welt in Dutzenden von Ländern und Sprachen manchmal unter dem Titel „In Therapy“ neu verfilmt und ausgestrahlt wurde; für „Prisoners of War“, eine Serie, die für das US-Remake „Homeland“Pate stand sowie für viele andere. Die Handlung in diesen Serien ist stets originell, spannend und sehr dramatisch und lässt sich ganz im Sinne des in der Filmindustrie von Hollywood verwendeten „high-concept“-Begriffs zusammenfassen.
Der zweite Faktor hängt mit dem Leben in Israel zusammen. Der Kampf um die Gründung des Staates und die Einwanderung von Juden aus der ganzen Welt in das neue Land sowie die Kriege, der Terrorismus und der arabisch-israelische Konflikt sorgen zwar für kein ruhiges und einfaches Leben, entbehren aber sicherlich nicht einer gewissen Dramatik.
Um den gegenwärtigen Erfolg der israelischen Fernsehindustrie besser verstehen zu können, lohnt es sich, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen. Von den 1960er bis zu den frühen 1990er Jahren gab es nur einen einzigen israelischen Sender, der von der israelischen Regierung betrieben wurde. Er zeigte hauptsächlich Nachrichten und Dokumentarfilme, gelegentlich auch Unterhaltungsshows, Kinderprogramme und schließlich ausländische Serien wie „Denver-Clan“.
Die Regierung war misstrauisch gegenüber dem Fernsehen als Unterhaltungsmedium, da es ihrer Meinung nach die arbeitende Bevölkerung dazu verleiten würde, abends lange aufzubleiben und am Morgen unausgeschlafen zur Arbeit zu erscheinen. Sie erhob daher Steuern auf jedes Fernsehgerät. Als zum ersten Mal ausländische Programme in Farbe im Fernsehen gezeigt wurden, wollten einige Israelis importierte Farbfernsehgeräte kaufen, um diese Sendungen in Farbe sehen zu können. Regierungsvertreter wie Premierministerin Golda Meir verurteilten dies als frivol, und es gelang der Regierung, ein Gerät, den sogenannten Mehikon, an den Farbfernsehern anzubringen, der dafür sorgte, dass alle Sendungen nur in Schwarz-weiß zu sehen waren. Allerdings fanden Unternehmer rasch eine Lösung für dieses Problem, indem sie ein anderes Gerät, den Anti-Mehikon, entwickelten, mit dessen Hilfe der Mehikon umgangen werden konnte. In jedem Fall sah die von der Regierung unterstützte Rundfunkbehörde wenig Grund, eigenständige israelische Programme zu entwickeln.
Nach einer kurzen Blütezeit in den späten 1960er und 1970er Jahren befand sich die israelische Filmindustrie in einem desolaten Zustand. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren wurden zwar Filmschulen eröffnet, doch ihre Absolventen fanden nirgendwo Arbeit, da nur wenige Filme produziert wurden, und jene, die gedreht wurden, hinterließen in der Regel kaum Spuren. Sie wurden im Inland nicht lange gezeigt und fanden auf internationalen Filmfestivals wenig Beachtung.
Dies änderte sich schließlich, als der kommerzielle Sender Channel Two Anfang der 1990er Jahre aus der Taufe gehoben wurde. Er konnte sehr rasch Erfolge vorweisen, was teilweise daran lag, dass Prominente wie z.B. Popstars und Fotomodelle als Moderatoren für die Spielshows angeheuert wurden. Zudem hatte der Sender viel Geld für die Entwicklung neuer Programme zur Verfügung. 1998 begann der Sender, die Serie „Tironoot“ über die Armee auszustrahlen. Die Serie war ein großer Erfolg, lief über drei Staffeln, und machte die jungen Darsteller zu Stars. Eine weitere populäre Show aus jener Zeit war „Ramat Aviv Gimmel“. Der Titel bezeichnet ein Nobelviertel, in dem die Handlung stattfindet; Vorbild waren glamouröse US-Abendserien wie „Melrose Place“.
In den 1990er Jahren startete eine dritte Serie: „Florentine“ erzählt die Geschichten junger, in Tel Aviv lebender Bohemiens unterschiedlicher Herkünfte und sexueller Identitäten – und befeuerte die Karriere ihres Erfinders Eytan Fox, der später einer der führenden Regisseure in Israel werden sollte.
Jahre später erläuterte Fox die kreative Freiheit, die das Fernsehen den Regisseuren ließ. „Damals gab es keine Regeln und keine richtigen Checks. Wir hatten einen Handlungsstrang, der aus einer Liebesgeschichte zwischen zwei schwulen Männern bestand, die sich in einer Szene küssen.“ Die Behörden baten ihn, den Kuss zu kürzen, aber nicht zu entfernen. Die Szene wurde nicht nur problemlos ausgestrahlt, sie wurde auch zu einem „Must See“-Moment. Fox ist der Meinung – und das zu Recht –, dass die Serie ihrer Zeit voraus war.
Andere kommerzielle Kanäle kamen dazu, und auch Kabelfernsehen wurde in Israel populär. Diese neuen Sender kauften nicht nur ausländische Inhalte auf, sondern begannen, in originelle israelische Programme, Serien wie auch Filme, zu investieren und sie zu produzieren. Interessanterweise wurde der von Fox 2002 gedrehte Film „Yossi & Jagger“, eine tragikomische Liebesgeschichte zwischen zwei homosexuellen Soldaten, die an der Front im Libanon dienen, vom israelischen Fernsehnetzwerk Hot produziert und sollte eigentlich nur im Fernsehen gezeigt werden. Nachdem der Film jedoch fertig war, war seine Qualität so gut und die Mundpropaganda so überwältigend, dass der Film in Kinos in ganz Israel lief. Zum Schluss gab es eine internationale Freigabe, und der Film räumte beim Tribeca Film Festival 2003 die besten Preise ab. Damals wurde der Welt wahrscheinlich zum ersten Mal bewusst, dass israelisches Fernsehen von hoher Qualität war.
In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts tauchten zwei Serien auf, die alles verändern sollten: „BeTipul“ im Jahr 2005 und die 2009 ausgestrahlte Serie „Prisoners of War“. Zusätzlich zu der HBO-Überarbeitung von BeTipul wurden in vielen anderen Ländern in der ganzen Welt einschließlich Frankreich, Japan, Brasilien, Serbien und Russland Remakes der Serie produziert. Die Serie war wahrscheinlich deswegen so populär, weil sich ihr Thema in einem einzigen Satz beschreiben lässt: Ein Psychologe betreut Patienten und löst dabei seine eigenen Konflikte. Die Handlung findet in einem einzigen Raum mit nur zwei bzw. – bei Paaren – drei Personen statt. Daher war die Sendung optimal für Produzenten mit kleinem Budget geeignet.
Das Konzept von „Prisoners of War“ war recht einfach, eignete sich jedoch hervorragend für komplexe Plots: Drei israelische Kriegsgefangene, die im Libanon in Gefangenschaft geraten waren, kehren nach Hause zurück und stellen fest, dass ihnen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und das Leben in der Familie schwerfällt. Zudem kommt der Verdacht auf, dass einer von ihnen von seinen Kidnappern „umgedreht“ worden ist und nun als Doppelagent arbeitet. Gideon Raff, der kreative Kopf der Serie, wirkte danach bei einigen amerikanischen Serien wie „Dig“ und „Tyrant“ mit. Eine Nachverfilmung von „Prisoners of War,“ der laut der New York Times besten internationalen Fernsehserie des 21. Jahrhunderts, wurde später in den USA unter dem Titel „Homeland“ ausgestrahlt und war unglaublich erfolgreich.
Durch die neue Technik des Streamens konnten immer mehr internationale Serien in der ganzen Welt ausgestrahlt werden, und zwei davon mit durch und durch israelischen Handlungen kamen beim Publikum besonders gut an. In „Fauda“ geht es um eine im Westjordanland stationierte Anti-Terror-Einheit. Die Serie wurde in den höchsten Tönen gelobt – sowohl wegen ihrer spannenden Handlung und Action-Szenen als auch insbesondere wegen der einfühlsamen Interpretation der palästinensischen Charaktere ob als Terroristen, deren Freunde oder Familienmitglieder, die in ihrer ganzen Komplexität dargestellt werden. Einer ihrer Fans ist der Schriftsteller Stephen King, der für die Serie schwärmt, weil sie den Zuschauer komplett fesselt – „All killer, no filler“. Während manche Palästinenser die Sendung kritisierten, wird sie im Westjordanland insgeheim von vielen als („guilty pleasure“) konsumiert; die Netflix-Produktion erhielt selbst in vielen arabischen Ländern großen Zuspruch. Trotz der BDS-Kampagne, die zu einem Boykott von „Fauda“ aufruft, erfreut sich die Serie inzwischen weltweiter Beliebtheit.
In einem weiteren Netflix-Hit mit dem Titel „Shtisel“ wird die Geschichte eines jungen ultra-orthodoxen Künstlers samt seiner Familie erzählt, deren Glaubensgemeinschaft seine kreativen Impulse zu unterdrücken versucht. Die Gemeinschaft wird in ihrer ganzen facettenreichen Komplexität dargestellt und die Handlungen begeistern viele Zuschauer.
Selbst palästinensische Regisseure und Autoren verschaffen sich mittlerweile im israelischen Fernsehen mit Serien wie „Nafas“ Gehör, die von Maysaloun Hamoud, der Regisseurin des viel beachteten Films „In Between“ kreiert wurde und die Geschichte von drei in Tel Aviv lebenden palästinensischen Studenten erzählt. Tawfik Abu Wael arbeitete zusammen mit Hagai Levi und Joseph Cedar an der HBO/Keshet-Serie „Our Boys“, in der ein palästinensisches Kind von frommen Israelis getötet wird. Bereits 2007 schrieb Sayed Kashua das Drehbuch zu der Serie „Arab Labor“, in der es um eine palästinensische Familie in Israel geht.
Bleiben israelische Serien ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Fernsehlandschaft oder wird ihr Erfolg verblassen, sobald ein neues Land am Fernsehhimmel auftaucht? Das weiß niemand. Eines steht jedoch fest: Im Moment hat das israelische Fernsehen definitiv Hochsaison.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2022.