Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal einen ultraorthodoxen Film gesehen habe – die Massenansammlung von Frauen aller Altersgruppen aus allen Sekten und Strömungen, die sich nicht gemeinsam an einer Hochzeit erfreuten, sondern an einem Film. Diese bewegende Erfahrung hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt; die Begeisterung der Frauen, die trotz der rudimentären Bedingungen im Saal vom Zauber des Bildschirms gefesselt waren, bleibt mir unvergesslich. Schon damals, und obwohl das ultraorthodoxe Kino noch in den Kinderschuhen steckte, wusste ich, dass dieses Phänomen wachsen und die ganze ultraorthodoxe Welt beeinflussen würde.
Der ultraorthodoxe Film besteht bereits seit zwei Jahrzehnten in der ultraorthodoxen Gesellschaft in Israel. Anfangs drehten Männer ihre Filme – ohne Frauen. Diese Filme waren zum Anschauen auf dem heimischen Computer gedacht und für die gesamte ultraorthodoxe Familie bestimmt. Einige Jahre später begannen einige Rabbiner ihren Angriff auf die sich verbreitenden Heimcomputer. Sie brachten unterzeichnete Pamphlete in Umlauf, die das Benutzen von Computern zu Unterhaltungszwecken verboten, und begannen einen umfassenden Feldzug gegen das Internet. Das hatte den Rückzug der ultraorthodoxen Männer aus diesem Bereich zur Folge. Die später aufkommenden Raubkopien von Filmen eliminierten diese Männerindustrie fast vollständig. Doch der Niedergang des männlichen Kinos beförderte die aufkommende Frauenindustrie, die ihrerseits Filme ausschließlich mit Frauen dreht und in öffentlichen Vorführungen ausschließlich Frauen zulässt. Von Jahr zu Jahr nahm das ultraorthodoxe Frauenkino zu und entwickelte eine Eigendynamik, bis es zu einer florierenden Branche wurde. Tatsache ist auch, dass bisher noch kein einziger Rabbi das Anschauen von Filmen erlaubt hat. Ungeachtet dessen nehmen sich ultraorthodoxe Frauen diese Freiheit und füllen die Säle ihrer provisorischen Kinos. Später wurden auch ultraorthodoxe Männer Teil dieser Frauenindustrie und begannen Filme zu drehen, die sie unter den Pseudonymen von Frauennamen veröffentlichten.
Das erste Jahrzehnt des ultraorthodoxen Frauenkinos war eines der Akzeptanz. In diesem Zeitraum wurde das Kino noch als kulturelles Ereignis angesehen, während die Erzieherinnen den Inhalt dieser Filme als „rein“ und „koscher“ deklarierten. Doch mit der Etablierung des ultraorthodoxen Frauenkinos in den folgenden zehn Jahren verschwindet seine Abhängigkeit von solchen pädagogischen Urteilen. In diesem Zeitraum treten neue Filmemacherinnen auf, durch die das Kino nicht nur einflussreicher wird, sondern auch subversiver. Der jährlich ansteigende Umsatz der Filmproduktionen und die Popularität, die das Kino bei ultraorthodoxen Frauen aller Strömungen – Chassidim, Littvakim, Sephardim – genießt, sind beeindruckend und weisen auf ein bedeutendes und weitreichendes Kulturphänomen hin.
Heutzutage bietet das ultraorthodoxe Kino bereits Hunderte von Filmen an. Sie werden in den ultraorthodoxen Städten Israels und auf der ganzen Welt gezeigt – in improvisierten Kinosälen. Insgesamt werden sie viermal im Jahr vertrieben: zu den religiösen Feiertagen von Sukkot, Chanukka und Pessach, sowie in den Sommerferien. Ultraorthodoxes Kino wendet sich an alle Altersgruppen und schätzungsweise wird jede Vorführung von etwa 700 Frauen und Mädchen besucht. Zumeist erzählen diese Filme jüdische Heldengeschichten, sind Thriller, oder handeln von historischen Begebenheiten. Dabei wird großer Wert auf ästhetische Aspekte gelegt und in den Filmen spielen die besten Schauspielerinnen aus Israel und der ganzen Welt mit. Die Filme sind aber weder im Internet noch im Fernsehen frei zugänglich, sondern werden nur in öffentlichen Vorführungen gezeigt.
Die Entwicklung einer Tradition gemeinsamer Filmvorführungen in der ultraorthodoxen Gesellschaft weist auf einen engen Zusammenhang zwischen dem Kulturprodukt Film und dem allgemeinen Zustand der ultraorthodoxen Kultur hin. Sie zeigt, dass die kulturellen Bedingungen einer bestimmten Epoche einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität und Menge produzierter Filme ausübt. Doch dieser Aufwärtstrend des ultraorthodoxen Kinos ist einigen konservativen Fraktionen der ultraorthodoxen Gesellschaft ein Dorn im Auge: Viele fürchten das Medium Film seit seinem Erfolg mehr noch als die Bühne und das Theater, die im Laufe der jüdischen Geschichte als Götzendienst stigmatisiert wurden. Kino wird mit neuer Technologie und mit der westlichen Welt assoziiert, die das Infiltrieren neuer Inhalte in die sich von der Außenwelt abschottende ultraorthodoxe Gemeinschaft ermöglicht.
Ungeachtet dieser Widerstände und trotz aller Kontroversen beweist das ultraorthodoxe Kino seit Jahrzehnten wiederholt seine Überlebensfähigkeit; entgegen allen Anfeindungen und Einschüchterungen strömt das ultraorthodoxe Frauenpublikum weiterhin in die Filmvorführungen. Die Frauen, die sich massenweise in den Hallen drängen, sind der überzeugendste Beweis für die enorme Popularität, derer sich diese Kunst erfreut. Hinter dieser Menge an Frauen steht die der Männer, die zwar zu Hause bleiben, aber die Teilnahme ihrer Frauen und Töchter befürworten. Den Berichten ultraorthodoxer Filmemacherinnen zufolge besuchen jedes Jahr hunderttausende von ultraorthodoxen Frauen und Mädchen die improvisierten Kinos in Israel und im Ausland. Einige sehen einen Film sogar mehr als einmal.
Gleichzeitig wächst in den letzten zehn Jahren das allgemeine Interesse am israelisch-ultraorthodoxen Kino und Fernsehen. Die lange Liste von Filmen, die in der ultraorthodoxen Welt spielen, bildet im israelischen Kino ein Sub-Genre: „Sukkot guests“ (Gidi Dar, 2004); „The Secrets“ (Avi Nesher, 2007); „The Other Story“ (Avi Nesher, 2018); „Eyes Wide Open“ (Haim Tabakman, 2009); „The Wanderer“ (Avishai Sivan, 2010); „Tikkun „ (Avishai Sivan, 2015); „God›s Neighbours „ (Meni Yaish, 2012); „Our Father“ (Meni Yaish, 2016); „The Women›s Balcony“ (Emil Ben-Shimon, 2016); „Fill the Void“ (Rama Burshtein, 2012); „Through the Wall“ (Rama Burshtein, 2017); „Driver“ (Yehonatan Indursky, 2017/2018); „Redemption“ (Yossi Madmoni und Boaz Yehonatan Yaakov, 2018); „The Unorthodox“ (Eliran Malka, 2018) und andere.
Im Jahre 2019 beanstandeten einige Filmkritiker, dass Filme über die ultraorthodoxe Gesellschaft zunehmend als Genre des israelischen Kinos bezeichnet werden. Außerdem ist man der Meinung, dass Filme über die ultraorthodoxe Welt von säkularen und ultraorthodoxen Zuschauern gleichermaßen genossen werden können. Doch für säkulare Zuschauer hat dieser intime filmische Einblick in die ultraorthodoxe Welt einen „voyeuristischen“ Beigeschmack.
Kritiker übersehen zudem oft den Unterschied zwischen dem säkularen Blickwinkel auf die ultraorthodoxe Welt und dem daraus resultierenden ultraorthodoxen Blickwinkel auf die säkulare Welt. In Betracht zu ziehen sind dabei auch die vielen ultraorthodoxen Filmemacher, die in den letzten Jahren das ultraorthodoxe Kino verlassen haben, um ihre Sichtweise in das israelische einzubringen – ein prominentes Beispiel sind die Filme von Rama Burstein. Der Unterschied zwischen ultraorthodoxem Frauenkino (sektoral) und dem israelischen Kino ultraorthodoxer Frauen (multi-sektoral) wird anhand der verschiedenen Grenzziehungen deutlich: Im israelischen Kino setzen sich ultraorthodoxe Filme (Burstein, Esti Shoshan, Rachel Elitzur) aus einem gemischten Produktionsteam von Männern und Frauen zusammen, das es so im ultraorthodoxen Frauenkino nicht gibt. Das israelische Kino ermöglicht ultraorthodoxen Filmemacherinnen daher aus der konventionellen Drehbuchrhetorik und Poetik auszubrechen und unter anderem auch intime Nähe zwischen den Geschlechtern darzustellen – im Gegensatz zum ultraorthodoxen Film, der keine Nähe oder Intimität zwischen Frauen und Männern zulässt. Weitere Grenzen, die dabei sind, sich auszuweiten, berühren die unverhüllt geäußerte Gesellschaftskritik und Darstellungen sündhafter Inklination. Die filmischen Abbildungen der jeweiligen Lebensweisen, ritualgesetzlichen Standards, sowie der Blick auf die familiäre Gemeinschaft mit dem der ultraorthodoxen Frau darin zugeschriebenen Platz unterscheiden sich somit wesentlich und verändern sich je nach Weltanschauung, gesellschaftlicher Konvention und ideologischer Führungsriege.
Gleich anderen Medien propagiert auch der Film, sobald künstlerische Aspekte nebensächlich werden, politische Aussagen oder gesellschaftliche Konventionen. Das ist auch beim ultraorthodoxen Film der Fall, der in den ersten zehn Jahren zunächst nur pädagogisch wertvolle Botschaften vermittelte. Doch in den darauffolgenden zehn Jahren stand er bereits für unangefochtene weibliche Autorität und wurde selbst zu einer Triebkraft gesellschaftlichen Wandels, die einer konservativen Gesellschaft fortschrittliche Lebensmodelle präsentiert und sich dabei selbst in ein Kulturgut der israelischen Gesellschaft entwickelt.
Das klassische ultraorthodoxe Kino erreichte seinen innovativen Höhepunkt mit den Filmveröffentlichungen des Jahres 2019, in denen die Filmemacherinnen ihrerseits nach und nach die Möglichkeit wahrnehmen, Sehgewohnheiten zu verändern. Die neue Welle verlangt nach einer Erweiterung bestehender Beschränkungen. Jetzt lassen sich auch die ultraorthodoxen Filmemacherinnen eher von Fachmännern und -frauen aus der säkularen israelischen Filmindustrie unterstützen. Im etablierten Rahmen des nunmehr routinierten und etablierten ultraorthodoxen Films versuchen sie sich auch an neuen Inhalten. In „Rauchsäulen“ (2019), dem neuesten Film von Dina Perlstein, der beliebtesten Filmemacherin des ultraorthodoxen Kinos, wird eine Akademikerin als Protagonistin dargestellt; eine Hightech-Expertin, die unter Verwendung künstlicher Intelligenz eine außergewöhnliche Software entwickelt. Die Verwendung von Computern im gesamten Film wird angesichts des öffentlichen Verbots der Internetnutzung von der ultraorthodoxen Gesellschaft unweigerlich als offene Provokation angesehen. Zudem wird mit Blick auf die inspirierende Protagonistin – einer jungen, alleinstehenden und attraktiv aussehenden Karrierefrau – ihr Vorbildcharakter für ultraorthodoxe Mädchen deutlich. Noch vor zehn Jahren hätte ein Film wie dieser nicht veröffentlicht werden können und wäre auf keine Toleranz gestoßen. Nach seiner Veröffentlichung wurde er jedoch, Perlstein zufolge, mit großer Sympathie aufgenommen und erhält von allen Seiten zahlreiche Anfragen. Das ist nur ein Beispiel für die Veränderungen, die nach und nach in die ultraorthodoxe Welt durchsickern und dabei ein Momentum schaffen – von der Tradition zur Transformation –, in der sich nicht nur das ultraorthodoxe Kino verändert, sondern auch sein weibliches Publikum.
Die Filme der neuen Welle lassen eine Aufhebung bestehender Abtrennungen erkennen, sowie die Erweiterung des Zielpublikums auf Frauen aller Bevölkerungsgruppen – inklusive der säkularen; beispielsweise Esti Shoshans Film „Die Unfruchtbare“, Miriam Barsells Film „Esther“ sowie Hani Sismans und Ruchi Kleinermans Film „Die mit der Zeit vergeht“ (2018). Daneben finden sich couragierte Drehbuchautorinnen, die von Grenzverschiebungen und weitreichenden Träumen zeugen – so unter anderem das Drehbuch von Yehuda Grobeis „Die fremde Perücke“. Es erzählt die Liebesgeschichte eines ultraorthodoxen und verwitweten Mannes mit der ausländischen, nichtjüdischen Pflegerin seiner Mutter. Diese neue Welle untergräbt das bekannte ultraorthodoxe Kino, indem es Frauen neben Status und Macht auch die Autorität der Männer verleiht, wenn es sein Publikum mit „anderen“ Heldinnen und universellen Konflikten „überflutet“.
Die ultraorthodoxe Öffentlichkeit Israels ist ein opaker Sektor, insbesondere wenn es um die ultraorthodoxe Frauenwelt geht. Doch im Film wird eine Sprache geschaffen, die das Pendeln zwischen den Weltanschauungen erlaubt. Das ultraorthodoxe Kino schafft eine kleine, aber wichtige Öffnung für den Blickaustausch und die tiefere Bekanntschaft mit der säkularen israelischen Kultur.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Jan Kühne.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2022.