Mut und Widerstand

Kurdische Provinzen: Kann man die Kultur und Solidarität eines  Volkes unterbinden?

Sich in den 1990er Jahren in Kurdistan zu entscheiden, in der Zivilgesellschaft aktiv zu werden, bedeutete auch mutig zu sein. Allen Widerständen zum Trotz hat sich in der Region in den 2010er Jahren eine unglaublich lebendige Zivilgesellschaft etabliert. Frauen-, Umwelt-, LGBT-Vereine oder Nichtregierungsorganisationen ethnischer und religiöser Minderheiten haben sich schnell vermehrt. Was diese Vereine verbindet, ist ihr Bezug zu Kurdistan und dass sie für den Kampf der Kurdenrechte stehen. Daraus ist eine Zivilgesellschaft entstanden, die den Status quo herausfordert, auf Freiwilligkeit basiert und nicht von ausländischen Geldgebern abhängig ist. Es ist eindeutig, dass der Staat mit der Schließung der Vereine das Ziel verfolgt, die Solidarität innerhalb der kurdischen Gesellschaft zu brechen.

 

Endet die Solidarität, der Kampf?

Aber kann man einen jahrelangen Kampf mit einem Dekret stoppen? Kann der Staat in Kurdistan mit der Schließung von Vereinen und Kulturzentren, mit der Androhung von Gefängnis und Arbeitslosigkeit diese Solidarität zerstören? Um dies zu beantworten, muss man sich die Entwicklungen nach der Schließung dieser Vereine und Kulturzentren ansehen.

 

Das Großstadttheater, das durch den Treuhänder geschlossen wurde, wurde als privates Theater unter dem Namen Amed Stadttheater wiedereröffnet. Das im Februar eröffnete Theater ist fast immer voll, auch wenn es nur über einen sehr bescheidenen Saal verfügt.

 

Der Kindergarten Zarokistan, der durch den Treuhänder in eine türkischsprachige Einrichtung umgewandelt wurde, wurde im April unter großer Anteilnahme der Bevölkerung als privater Kindergarten wiedereröffnet. Das geschlossene Aram Tigran Konservatorium führt in einem anderen Zentrum seinen Kunstunterricht weiter. Bei der Zivilgesellschaft sieht man denselben Mut und Widerstand. Die Aktivisten von geschlossenen Nichtregierungsorganisationen versuchen ohne institutionellen Rahmen ihre Arbeiten fortzuführen. Plattformen gründen sich, einige machen unter anderen Namen weiter, die Arbeiten gehen in anderen Lokalitäten weiter, manchmal auch einfach in Cafés. In diesem Prozess steigt die Solidarität in der Stadt und sie wird weiterwachsen.

 

Ein Freund von mir, der im städtischen Kulturzentrum gearbeitet hat und durch den Treuhänder entlassen wurde, versucht eine Kunstinitiative zu gründen. Ich habe ihn Mitte Mai auf der Straße getroffen. Noch bevor ich ihn bemitleiden konnte, hat er sich an mich gewendet und gesagt, „der Treuhänder hat uns mit unserer Entlassung einen Gefallen getan. Schau doch, wir sind alle aktiv geworden, wir gründen alles wieder, nur noch stärker“.

 

Diese Beispiele zeigen, dass der Staat unsere Vereine schließen und uns unter Druck setzen kann, die Solidarität und den Kampf der Menschen in Kurdistan kann er aber nicht auslöschen! Der Grund dafür ist, dass wir uns diesen Kampf und diese Solidarität schwer erkämpft haben. Mit einem Stück Papier kann man das nicht unterbinden!

Nurcan Baysal
Nurcan Baysal ist Journalistin und Publizistin, sie lebt mehrheitlich im kurdischen Diyarbakır
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