Klappe und Action – und Zensur

Im Gespräch mit Manishe Hekmat und Pegah Ahangarani über die iranische Filmindustrie

 

Wie sieht der erste Schritt für einen Film aus?

MH: Zuerst muss man jemanden finden, der bereit ist, den Film zu finanzieren. Der Regisseur braucht vom Ministerium für Islamische Kultur und Führung, kurz Erschad, eine Arbeitserlaubnis. Darüber entscheidet ein spezielles Gremium. Dann muss das Drehbuch dem Erschad-Ministerium vorgelegt werden. Sie behaupten, das sei in der Welt so üblich. Manchmal werden wir von dem Rat vorgeladen und sie teilen uns mit, dass es nicht in ihrem Interesse ist, diesen Film zu drehen.

 

Ist der Film damit abgelehnt und das Projekt tot?

MH: Der Rat kann „Korrekturen“ vorschlagen. Sie fordern Änderungen im Drehbuch. Jetzt muss man sich überlegen, wie man diesen Forderungen gerecht werden kann. Vielleicht leidet darunter das ganze Drama und die Personen und ihre Beziehungen zueinander müssen neu ausgerichtet werden. Manchmal sind die Forderungen dermaßen weitgehend, dass man sagt, vergiss es, wir schauen uns nach einem anderen Drehbuch um.

 

PA: Die Risikobereitschaft der Produzenten ist stark zurückgegangen. Wahrscheinlich zu Recht. Momentan habe ich vier Filme, die keine Vorführgenehmigung haben. Sie sind etwas von dem Mainstream abgewichen, sie hatten eine andere Perspektive. Solche Filme kommen nicht ins Kino.

 

Welche Änderungen werden verlangt? Wo sind die roten Linien?

MH: Die Leute im Filmgeschäft meiden sicherheitspolitische Fragen. Nach über 30 Jahren kennen wir die roten Linien. Unabhängige Filmemacher kümmern sich mehr um die sozialen Probleme. Den offiziellen Statistiken nach werden diese Probleme ständig bedrohlicher. Wir machen keine politischen Filme. Politische Filme werden nur von regimenahen Leuten gemacht. Indem uns die Leute vom Erschad korrigieren, wollen sie sagen, wir sind besser als ihr, wir wissen es besser als ihr. Ich glaube, das passiert zum Teil auch unterschwellig.

 

Welche Themen dürfen nicht angesprochen werden?

MH: Drogensucht, Aids, Scheidung und Ehebruch. Man fängt an, eine Geschichte oder ein Drama zu erzählen. Wir dürfen die Geschichte aber nicht bis zum Ende erzählen. Irgendwo müssen wir aufhören. Wir schneiden ein Problem an, können aber nicht zeigen, wie es zu Ende geht. Wir dürfen diese Themen nicht aussprechen. Unser Kino redet unverständlich. Wir fangen eine Geschichte an und müssen dann Halt machen. Das ist gekniffen, das ist kein Film, auch wenn wir internationale Preise dafür bekämen. Das führt zu Enttäuschung bei den unabhängigen Filmemachern und daraus gibt es keinen Ausweg. Es ist wie eine Mauer. Manchmal ist sie aus Beton, manchmal nur aus Stoff. Was zwischen uns und dem Publikum steht, hat einen Namen: Zensur. Das Erschad-Ministerium lässt nicht zu, dass wir unmittelbar mit unseren Zuschauern interagieren können, wie es sonst in der Welt geschieht.

 

PA: Man darf sich nur in dem Rahmen bewegen, der dir von der „gesellschaftlichen Atmosphäre“ – so wird das dann verbrämt – vorgegeben wird. Man kann nicht plötzlich einen Film machen, der diesen Rahmen sprengt. Man riskiert, dass dieser Film keine Genehmigung erhält. Produzenten gehen dieses Risiko nicht ein.

 

MH: Ein Direktor des Ministeriums hat mir einmal gesagt: Warum sollen wir dich unterstützen? Wenn du unsere Ideen verfilmst, dann kannst du kommen und Unterstützung erwarten, dann kriegst du Geld und Möglichkeiten und wir schicken deine Filme zu internationalen Wettbewerben.

 

Wie können sie unter diesen ungleichen Bedingungen bestehen?

PA: Viele Filme bekommen Finanzierungsprobleme und die Dreharbeiten werden unterbrochen. Der Produzent hatte z. B. mit einem Kredit oder mit Sponsoren gerechnet. Da läuft etwas schief und es kommt zum Stillstand. Besser ist es, am Anfang das Budget zu sichern, und dann erst anzufangen. Denn ich gehe eine Verpflichtung ein. In der Zeit, wo ich für diesen Film zur Verfügung stehen muss, kommen Vorschläge für zehn weitere Filme, die ich ablehnen muss.

 

MH: Die „offiziellen“ Filme kennen keine Finanzierungsprobleme. Auch die Vermarktung stimmt. Sie werden massiv beworben, freie Eintrittskarten werden verteilt. Wir können nicht groß für unsere Filme werben, noch können wir Karten verschenken. Ungleichheit herrscht in der Produktion, in der Werbung und in der Vorführung. Wir haben uns daran gewöhnt. Und gerade das tut mir leid. Wir denken, so ist das Leben.

 

Wie geht es weiter, wenn ein Film fertig ist?

MH: Wer das Drehbuch genehmigt hat, hat mit dem Endprodukt nichts mehr zu tun. Ein anderes Gremium entscheidet über den Film. Hier läuft alles nach persönlichem Geschmack, es gibt keine konkreten Vorschriften und Richtlinien. Eine Gruppe von Beamten setzt sich zusammen und befindet über deine Arbeit. Das ist sehr erniedrigend und stört mich unheimlich. Ein paar Zensurbeamten sammeln sich und wollen die Vorführgenehmigung ausstellen und wollen zur Schau stellen, dass sie klüger sind als wir. Zensur wird uns dann als Korrektur »in ihrem Interesse« verkauft. Manchmal will ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen. Jeder neue Direktor bringt eine Gruppe von Kulturbeauftragten mit und dann dürfen wir nach dem Gutdünken der neuen Gruppe Filme machen.

Reinhard Baumgarten
Reinhard Baumgarten ist Redakteur bei SWR Ausland und Europa. Er war bis 2018 Hörfunkkorrespondent der ARD für die Türkei, Griechenland und den Iran.
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