Reinhard Baumgarten - 22. Dezember 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur im Iran

Klappe und Action – und Zensur


Im Gespräch mit Manishe Hekmat und Pegah Ahangarani über die iranische Filmindustrie

Manishe Hekmat wurde 1962 in Arak geboren. Mit 15 begann sie an Filmen mitzuwirken. 1980 zog sie nach Teheran und arbeitete als Ausstatterin, Sekretärin und Regieassistentin. 2000 hat sie ihren ersten von 25 Filmen gedreht. Heute arbeitet sie als Produzentin und Regisseurin.

Pegah Ahangarani, 32, wurde als 15-Jährige durch die Hauptrolle in dem Film „Das Mädchen mit Stoffschuhen“ bekannt. Danach spielte sie unter der Regie ihrer Mutter Manishe Hekmat in dem Spielfilm „Das Frauengefängnis“ mit. 2009 unterstützte sie bei der Präsidentenwahl öffentlich Mirhossein Mousavi. Sie wurde verhaftet und zu einem Jahr Haft verurteilt. Das Urteil wurde ohne Angabe von Gründen fallen gelassen. Als Schauspielerin hat sie in über 30 Spielfilmen mitgewirkt. Außerdem produziert sie Dokumentarfilme.

 

Frau Hekmat, Ihr erster Spielfilm „Das Frauengefängnis“ war ein Politdrama und wurde ein Kassenschlager.

Manishe Hekmat (MH): Ja, der Film hat viel Lob eingeheimst. Er gehörte zu den drei nach der Revolution gedrehten iranischen Spielfilmen mit der häufigsten Teilnahme bei internationalen Filmfestspielen. Zwei Jahre war er beschlagnahmt und durfte nicht gezeigt werden. Er unterlag massiver Zensur. Trotzdem wurde er zum Kassenschlager und wird heute in manchen Filmakademien als Referenzfilm gezeigt.

Ich hatte die Gelegenheit, über 22 Jahre den Frauentrakt des Evin-Gefängnisses in Teheran zu beobachten. Der Film beschreibt, wie Gefangene und ihre Wärterinnen miteinander umgehen und schließlich unbewusst die Rollen tauschen. Ich zeige auch, wie die Häftlinge im Laufe der Jahre immer jünger werden und wie sich die Gründe für ihre Verurteilung ändern. Der Gefängnistrakt reflektiert wie ein Spiegel die Entwicklung unserer Gesellschaft.

 

Frau Ahangarani, Ihre Filmkarriere hatte einen steilen Start. Gleich ihre erste Hauptrolle schlug richtig gut ein.

Pegah Ahangarani (PA): „Das Mädchen mit Stoffschuhen“ war der erste Film, der sich in dieser Form mit den Sorgen der Jugend befasste. Der Film handelt von einem jungen Mädchen, das Probleme mit seiner Familie hat. Es verliebt sich in einen Jungen und haut von zu Hause ab. Zumindest für einen Tag. Es geht also darum, was das Mädchen innerhalb dieser 24 Stunden alles in der Stadt erlebt und sie schließlich nach Hause zurückkehren lässt.

 

Welche Art von Filmen kommen in der Islamischen Republik gut an?

MH: Ich habe viele Filme produziert, sowohl sozialkritische als auch Komödien oder Kinderfilme. Der Kinderfilm „Die Stadt der Mäuse“ hat 2014 einen Verkaufsrekord in der iranischen Filmgeschichte aufgestellt.

In Zeiten der Hoffnungslosigkeit ziehe ich es vor, Komödien zu produzieren. Ich möchte den Menschen damit etwas Energie geben. Die Familien sollen mit ihren Kindern aus ihren Häusern gehen, sich zusammen den Film anschauen und ein wenig lachen. Ich denke, diese kleine Gemeinschaftsunternehmung kann ihnen etwas Kraft für den harten Alltag geben. Ich fühle, was die Gesellschaft eigentlich braucht: klatschen, lachen, Freude erleben. Ich glaube, es gibt eine große Kluft zwischen den Familienmitgliedern. Die Eltern müssen aus wirtschaftlicher Not heraus Tag und Nacht arbeiten. Die Kinder leben mehr und mehr mit ihrem Smartphone. Das ist Grund zur Sorge.

 

PA: Liebesfilme funktionieren im Iran überhaupt nicht. Sie können nicht richtig dargestellt werden. Wie oft soll man denn die Liebe in Blicken ausdrücken? Es braucht mehr als das! Wir haben nicht viele romantische Filme im iranischen Kino. Liebesfilme, wie man sie sonst auf der Welt kennt, haben wir gar nicht. Die Filme wirken lächerlich. Mir ist das oft passiert: Die romantischen Szenen wirken lächerlich. Wie oft soll man denn Liebesbekundungen machen? Nur das ist möglich, und dabei kann man noch nicht einmal alles sagen, was man möchte. Sogar die Wortwahl hat einen bestimmten Rahmen. Berührungen sind vollkommen ausgeschlossen. So wirken die Liebesszenen unecht, sie funktionieren nicht. Liebesbeziehungen gibt es in Filmen meist als Nebenhandlung, aber nur sehr selten als das Hauptthema.

 

Wie sieht der erste Schritt für einen Film aus?

MH: Zuerst muss man jemanden finden, der bereit ist, den Film zu finanzieren. Der Regisseur braucht vom Ministerium für Islamische Kultur und Führung, kurz Erschad, eine Arbeitserlaubnis. Darüber entscheidet ein spezielles Gremium. Dann muss das Drehbuch dem Erschad-Ministerium vorgelegt werden. Sie behaupten, das sei in der Welt so üblich. Manchmal werden wir von dem Rat vorgeladen und sie teilen uns mit, dass es nicht in ihrem Interesse ist, diesen Film zu drehen.

 

Ist der Film damit abgelehnt und das Projekt tot?

MH: Der Rat kann „Korrekturen“ vorschlagen. Sie fordern Änderungen im Drehbuch. Jetzt muss man sich überlegen, wie man diesen Forderungen gerecht werden kann. Vielleicht leidet darunter das ganze Drama und die Personen und ihre Beziehungen zueinander müssen neu ausgerichtet werden. Manchmal sind die Forderungen dermaßen weitgehend, dass man sagt, vergiss es, wir schauen uns nach einem anderen Drehbuch um.

 

PA: Die Risikobereitschaft der Produzenten ist stark zurückgegangen. Wahrscheinlich zu Recht. Momentan habe ich vier Filme, die keine Vorführgenehmigung haben. Sie sind etwas von dem Mainstream abgewichen, sie hatten eine andere Perspektive. Solche Filme kommen nicht ins Kino.

 

Welche Änderungen werden verlangt? Wo sind die roten Linien?

MH: Die Leute im Filmgeschäft meiden sicherheitspolitische Fragen. Nach über 30 Jahren kennen wir die roten Linien. Unabhängige Filmemacher kümmern sich mehr um die sozialen Probleme. Den offiziellen Statistiken nach werden diese Probleme ständig bedrohlicher. Wir machen keine politischen Filme. Politische Filme werden nur von regimenahen Leuten gemacht. Indem uns die Leute vom Erschad korrigieren, wollen sie sagen, wir sind besser als ihr, wir wissen es besser als ihr. Ich glaube, das passiert zum Teil auch unterschwellig.

 

Welche Themen dürfen nicht angesprochen werden?

MH: Drogensucht, Aids, Scheidung und Ehebruch. Man fängt an, eine Geschichte oder ein Drama zu erzählen. Wir dürfen die Geschichte aber nicht bis zum Ende erzählen. Irgendwo müssen wir aufhören. Wir schneiden ein Problem an, können aber nicht zeigen, wie es zu Ende geht. Wir dürfen diese Themen nicht aussprechen. Unser Kino redet unverständlich. Wir fangen eine Geschichte an und müssen dann Halt machen. Das ist gekniffen, das ist kein Film, auch wenn wir internationale Preise dafür bekämen. Das führt zu Enttäuschung bei den unabhängigen Filmemachern und daraus gibt es keinen Ausweg. Es ist wie eine Mauer. Manchmal ist sie aus Beton, manchmal nur aus Stoff. Was zwischen uns und dem Publikum steht, hat einen Namen: Zensur. Das Erschad-Ministerium lässt nicht zu, dass wir unmittelbar mit unseren Zuschauern interagieren können, wie es sonst in der Welt geschieht.

 

PA: Man darf sich nur in dem Rahmen bewegen, der dir von der „gesellschaftlichen Atmosphäre“ – so wird das dann verbrämt – vorgegeben wird. Man kann nicht plötzlich einen Film machen, der diesen Rahmen sprengt. Man riskiert, dass dieser Film keine Genehmigung erhält. Produzenten gehen dieses Risiko nicht ein.

 

MH: Ein Direktor des Ministeriums hat mir einmal gesagt: Warum sollen wir dich unterstützen? Wenn du unsere Ideen verfilmst, dann kannst du kommen und Unterstützung erwarten, dann kriegst du Geld und Möglichkeiten und wir schicken deine Filme zu internationalen Wettbewerben.

 

Wie können sie unter diesen ungleichen Bedingungen bestehen?

PA: Viele Filme bekommen Finanzierungsprobleme und die Dreharbeiten werden unterbrochen. Der Produzent hatte z. B. mit einem Kredit oder mit Sponsoren gerechnet. Da läuft etwas schief und es kommt zum Stillstand. Besser ist es, am Anfang das Budget zu sichern, und dann erst anzufangen. Denn ich gehe eine Verpflichtung ein. In der Zeit, wo ich für diesen Film zur Verfügung stehen muss, kommen Vorschläge für zehn weitere Filme, die ich ablehnen muss.

 

MH: Die „offiziellen“ Filme kennen keine Finanzierungsprobleme. Auch die Vermarktung stimmt. Sie werden massiv beworben, freie Eintrittskarten werden verteilt. Wir können nicht groß für unsere Filme werben, noch können wir Karten verschenken. Ungleichheit herrscht in der Produktion, in der Werbung und in der Vorführung. Wir haben uns daran gewöhnt. Und gerade das tut mir leid. Wir denken, so ist das Leben.

 

Wie geht es weiter, wenn ein Film fertig ist?

MH: Wer das Drehbuch genehmigt hat, hat mit dem Endprodukt nichts mehr zu tun. Ein anderes Gremium entscheidet über den Film. Hier läuft alles nach persönlichem Geschmack, es gibt keine konkreten Vorschriften und Richtlinien. Eine Gruppe von Beamten setzt sich zusammen und befindet über deine Arbeit. Das ist sehr erniedrigend und stört mich unheimlich. Ein paar Zensurbeamten sammeln sich und wollen die Vorführgenehmigung ausstellen und wollen zur Schau stellen, dass sie klüger sind als wir. Zensur wird uns dann als Korrektur »in ihrem Interesse« verkauft. Manchmal will ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen. Jeder neue Direktor bringt eine Gruppe von Kulturbeauftragten mit und dann dürfen wir nach dem Gutdünken der neuen Gruppe Filme machen.

 

Wenn Sie das Geld für einen Film zusammenbekommen, sind sie mit den heutigen technischen Möglichkeiten nicht mehr auf alte Ausspielwege angewiesen. Welche Auswirkungen hat das?

MH: Zensur greift tatsächlich nicht immer und überall. Filme können heute via Internet überall gezeigt werden. Ein Film ist an sich keine Bedrohung für das Land. Er ist keine politische Bewegung. Wenn ein Film durch die vielen Eingriffe unverständlich geworden ist, könnte ich nachdrehen. Aber ich bin dann oft zermürbt und verzichte darauf. Deshalb werden die Filme unverständlich, holprig. Man fängt mit viel Energie an und bei dem Gremium verliert man den letzten Tropfen Energie, als ob sie mit einer Spritze rausgesogen wird. Hier will man nur den Film beenden und abschließen.

 

Warum sind iranische Filme trotz der vielen Probleme international relativ erfolgreich?

MH: Ich war bisher sehr kritisch. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die iranische Filmindustrie etwas Besonderes ist. Wir dürfen z. B. unsere zahlreichen Regisseurinnen nicht übersehen. Wir haben über 50 Regisseurinnen. Ich glaube nirgendwo gibt es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele Regisseurinnen. Sicher nicht in Asien und im Nahen Osten. Auch ihre Präsenz in anderen Feldern der Filmindustrie ist sehr hoch. Iranische Filmemacher haben eine sehr humanistische Weltsicht. Ihre Geschichten beschäftigen sich stark mit gesellschaftlichen, aber auch mit globalen Problemen.

 

Welche Zukunft hat die iranische Filmindustrie?

PA: Ich beobachte eine Antriebslosigkeit – in der Filmindustrie wie auch in der Bevölkerung. Ja, auch in der Regierung. Mit Antriebslosigkeit meine ich fehlende Ambition, den fehlenden Willen zum Handeln. Ich sehe viele junge Menschen, die z. B. in sozialen Medien wie Facebook um sich schlagen. Ich verstehe, wo das herkommt: Sie werden verrückt von diesem fehlenden Handlungswillen. Diese Antriebslosigkeit wandelt sich zu Wut und Aggression. So geht es allen, der Regierung, dem „Haus des Films“, alle sind lethargisch. In einer solchen Stimmung in der Gesellschaft, kann man nicht erwarten, dass sich etwas im iranischen Kino tut.

 

MH: Viele Filme werden hier nicht mehr gezeigt. Sie werden weltweit vertrieben. Früher war es doch nicht möglich, fünf große Filmrollen in die Tasche zu stecken und über die Grenzen zu schaffen. Wir tun nach wie vor unsere Arbeit. Die zustän-digen Herrschaften sollten klug genug sein, sich anzupassen. Ich denke etwas Neues ist im Verzug. Die neuen Mittel, die neue Techno-logie definiert die Begriffe anders und drängt auf neue Strukturen.

 

Dieser Text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/europa-internationales/kultur-im-iran/klappe-und-action-und-zensur/