Noch ist nichts entschieden. Zwar hat die britische Regierung seit dem Referendum immer wieder betont, sie werde das Votum respektieren. Doch haben sich so viele Gründe, welche die Befürworter des Austritts ins Feld geführt hatten, als falsch erwiesen, während sich die Schwierigkeiten, den Austritt tatsächlich zu bewerkstelligen, unverständlicherweise erst jetzt in ihrem gigantischen Ausmaß offenbaren, dass eine Kapitulation davor nicht ganz ausgeschlossen erscheint. Noch ist nicht einmal abzusehen, wann – oder ob – der Austrittsmechanismus in Gang gebracht wird. Noch besteht zwischen den verbleibenden 27 EU-Mitgliedern kein Einvernehmen darüber, wie streng oder konziliant gegebenenfalls damit umgegangen werden soll, und noch hat die britische Regierung nicht zu erkennen gegeben, welche Verhandlungsstrategie sie verfolgen will. Sicher ist nur, dass es für alle Beteiligten sehr kompliziert wird.Sicher ist allerdings auch, dass Schottland und ansatzweise auch Nordirland bereits intensiv darüber nachdenken, was sie tun sollen, wenn der Austritt tatsächlich erfolgt. Die mehr oder weniger realistischen Hilfskonstruktionen erscheinen aus heutiger Sicht gegenüber dem klaren Schnitt relativ unattraktiv. Und auch wenn ein selbstständiges Schottland seine Mitgliedschaft formell neu zu beantragen hätte, wäre doch der Beitrittsprozess relativ einfach, da ja Schottland, kulturell mit Europa von jeher engstens verflochten, seit 43 Jahren alle Bedingungen der Mitgliedschaft erfüllt.
Der ganze Prozess kann mehrere Folgen haben: Natürlich steht nicht zu befürchten, dass Simon Rattle nicht mehr in Deutschland dirigieren, David Chipperfield und Norman Foster nicht mehr in Deutschland bauen, Norman Davies, Christopher Clark und Brendan Simms nicht mehr über Deutschland schreiben oder Neil McGregor nicht mehr für das Humboldt Forum arbeiten werden. Auch künftig werden Deutsche wie Martin Roth Museen in London leiten. Nicht zuletzt Neil McGregors beharrliche Bemühungen haben dafür gesorgt, dass das Deutschlandbild vieler Briten heute differenzierter und positiver ist als noch vor zehn Jahren. Ihre Neugierde auf Deutschland ist groß. Und die Deutschen werden sich ihre stille Liebe für alles Englische – einschließlich der Königin – auch nicht nehmen lassen. Der Austausch ist rege und wird es bleiben. Und doch könnte alles ein wenig anders werden. Rechtliche und steuerliche Bedingungen ändern sich, Vertragsabschlüsse werden komplizierter und wer weiß, was sich auf beiden Seiten Verwaltungen alles ausdenken können.