Ein Aufenthalt in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstlerinnen und Künstler im Ausland. Jährlich bewerben sich Tausende bildende Künstler, Literaten, Musiker und Architekten. Julia Draganović leitet seit Juli 2019 die Auslandsakademie. Theresa Brüheim spricht mit ihr unter anderem über die Vergabe der Stipendien, den Gründer und Stifter Eduard Arnhold und die römische Kulturszene.
Theresa Brüheim: Seit dem 1. Juli dieses Jahres sind Sie Direktorin der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo. Wie waren Ihre ersten Monate in der neuen Position und in der Ewigen Stadt?
Julia Draganović: In den letzten 20 Jahren habe ich mich auf zeitgenössische Kunst konzentriert. Auch Rom kannte ich aus meinen vorherigen Tätigkeiten gut. Die Szene der zeitgenössischen Kunst – mitsamt der beiden Museen MACRO und MAXXI, den Galerien und der freien Szene – hier ist sehr, sehr lebhaft. Ich habe jetzt versucht anzuschließen – vor allem was die zeitgenössische Musik, Architektur und Literatur anbelangt.
Wie fließt Ihre Erfahrung der letzten 20 Jahre als Kuratorin zeitgenössischer Kunst in die Arbeit in der Villa Massimo ein?
Meine kuratorische Tätigkeit war sehr häufig eine, die nicht das klassische Museumskuratieren beinhaltet, bei dem man Ausstellungen zusammenstellt und sie für eine Präsentation vorbereitet. Insbesondere in meiner Tätigkeit in der Kunsthalle Osnabrück habe ich sehr viele Produktionen begleitet. In der Villa Massimo, die auch als Rom-Preis bezeichnet wird, beherbergen wir jährlich neun Künstler für jeweils zehn Monate. Sie haben nicht die Pflicht, etwas herzustellen, aber in der Regel arbeiten sie hier an neuen Projekten. Meine Erfahrung in der Produktion ist dabei gefragt, denn ich ermögliche und unterstütze das Entstehen neuer Arbeiten. Mein kuratorisches Verständnis basiert auf dem sokratischen Hebammengedanken – also zu helfen, etwas das Licht der Welt erblicken zu lassen.
Inwieweit sind Sie Botschafterin der deutschen Kultur in Italien?
Weder bin ich Diplomatin noch habe ich einen dezidiert politischen Auftrag, dass ich von einigen dennoch so wahrgenommen werde, ehrt mich. Natürlich wird die Villa Massimo als ein großes Schaufenster dessen gesehen, was in Deutschland momentan in der Kultur produziert und rezipiert wird. Interessant ist, dass man als Stipendiat hier nicht unbedingt deutscher Staatsbürger sein muss. Das bedeutet, man kann auch den Rom-Preis erhalten, wenn man eine gewisse Anzahl von Jahren in Deutschland gelebt hat und eine große Wirkung auf das deutsche Kulturleben hatte. In diesem Jahr haben wir z. B. Rom-Preisträger, die keine deutschen Staatsbürger sind, aber seit Langem in Deutschland leben, wie der Schweizer Komponist Stefan Keller oder die türkische Installations- und Konzeptkünstlerin Esra Ersen. Ich sehe meine Aufgabe aber auch darin, das, was in Italien an großartigem kulturellen Erbe und an zeitgenössischer Produktion stattfindet, für die Künstler in der Residenz zu öffnen. Die Rom-Preisträgerinnen und -Preisträger sollen nicht nur geben, sondern ich wünsche mir für sie die Möglichkeit, selbst etwas mitzunehmen – z. B. Inspiration, Ideen, Kontakte, Netzwerke.
Die Villa Massimo vergibt zwei verschiedene Stipendien: das der Villa Massimo und das der Casa Baldi. Wodurch zeichnen diese sich aus? Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Das Stipendium der Villa Massimo wird jährlich an neun Personen oder Künstlergruppierungen vergeben. In der Casa Baldi vergeben wir jährlich zwölf Stipendien. Die sind kürzer, nämlich auf drei Monate beschränkt. Während man in der Villa Massimo für zehn Monate, also ein ganzes akademisches Jahr, verweilt. Darüber hinaus ist der Kontext gänzlich unterschiedlich. Die Villa Massimo liegt zwar nicht im historischen Herzen Roms, ursprünglich vor den Toren der Stadt. Aber heute ist sie mit etwa zwanzig Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof sehr zentral gelegen. Das bunte, schnelle Leben Roms liegt vor der Haustür. Die Casa Baldi hingegen liegt in Olevano Romano, das ist eine Autostunde im Südosten Roms. Eine wunderbare kleine Gebirgsstadt, die seit mehreren hundert Jahren Anzugspunkt insbesondere von Landschaftsmalern aus aller Welt ist. Aber sie liegt weit entfernt vom pulsierenden kulturellen Leben einer Großstadt.
Wie wählen Sie die Stipendiatinnen und Stipendiaten aus?
Man bewirbt sich für beide Stipendien. Die Bewerbungen werden von den Kulturministerien der Länder entgegengenommen. Dort erfolgt eine erste Sichtung der Stipendien. Für beide Stipendien gibt es vier Sparten, in deren Rahmen man sich bewerben kann: Architektur, Literatur, Komposition oder bildende Kunst. Jede Sparte hat eine eigene Fachjury, die alle drei Jahre neu benannt wird. Diese Jurys bilden Fachleute aus den jeweiligen Disziplinen. Jede einzelne Fachjury muss sehr, sehr viel Arbeit absolvieren: Sie müssen z. B. Hunderte Stunden neuer Musik anhören oder Hunderte Romane lesen, bevor sie sich zum Jurytreffen zusammenfinden. Die Jurymitglieder, die ich kenne, tun es mit großer Gründlichkeit und Leidenschaft.