Julia Draganović und Theresa Brüheim - 28. November 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

"In Rom ist man nie am falschen Platz"


Die Deutsche Akademie Villa Massimo

Ein Aufenthalt in der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstlerinnen und Künstler im Ausland. Jährlich bewerben sich Tausende bildende Künstler, Literaten, Musiker und Architekten. Julia Draganović leitet seit Juli 2019 die Auslandsakademie. Theresa Brüheim spricht mit ihr unter anderem über die Vergabe der Stipendien, den Gründer und Stifter Eduard Arnhold und die römische Kulturszene.

 

Theresa Brüheim: Seit dem 1. Juli dieses Jahres sind Sie Direktorin der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo. Wie waren Ihre ersten Monate in der neuen Position und in der Ewigen Stadt?
Julia Draganović: In den letzten 20 Jahren habe ich mich auf zeitgenössische Kunst konzentriert. Auch Rom kannte ich aus meinen vorherigen Tätigkeiten gut. Die Szene der zeitgenössischen Kunst – mitsamt der beiden Museen MACRO und MAXXI, den Galerien und der freien Szene – hier ist sehr, sehr lebhaft. Ich habe jetzt versucht anzuschließen – vor allem was die zeitgenössische Musik, Architektur und Literatur anbelangt.

 

Wie fließt Ihre Erfahrung der letzten 20 Jahre als Kuratorin zeitgenössischer Kunst in die Arbeit in der Villa Massimo ein?
Meine kuratorische Tätigkeit war sehr häufig eine, die nicht das klassische Museumskuratieren beinhaltet, bei dem man Ausstellungen zusammenstellt und sie für eine Präsentation vorbereitet. Insbesondere in meiner Tätigkeit in der Kunsthalle Osnabrück habe ich sehr viele Produktionen begleitet. In der Villa Massimo, die auch als Rom-Preis bezeichnet wird, beherbergen wir jährlich neun Künstler für jeweils zehn Monate. Sie haben nicht die Pflicht, etwas herzustellen, aber in der Regel arbeiten sie hier an neuen Projekten. Meine Erfahrung in der Produktion ist dabei gefragt, denn ich ermögliche und unterstütze das Entstehen neuer Arbeiten. Mein kuratorisches Verständnis basiert auf dem sokratischen Hebammengedanken – also zu helfen, etwas das Licht der Welt erblicken zu lassen.

 

Inwieweit sind Sie Botschafterin der deutschen Kultur in Italien?
Weder bin ich Diplomatin noch habe ich einen dezidiert politischen Auftrag, dass ich von einigen dennoch so wahrgenommen werde, ehrt mich. Natürlich wird die Villa Massimo als ein großes Schaufenster dessen gesehen, was in Deutschland momentan in der Kultur produziert und rezipiert wird. Interessant ist, dass man als Stipendiat hier nicht unbedingt deutscher Staatsbürger sein muss. Das bedeutet, man kann auch den Rom-Preis erhalten, wenn man eine gewisse Anzahl von Jahren in Deutschland gelebt hat und eine große Wirkung auf das deutsche Kulturleben hatte. In diesem Jahr haben wir z. B. Rom-Preisträger, die keine deutschen Staatsbürger sind, aber seit Langem in Deutschland leben, wie der Schweizer Komponist Stefan Keller oder die türkische Installations- und Konzeptkünstlerin Esra Ersen. Ich sehe meine Aufgabe aber auch darin, das, was in Italien an großartigem kulturellen Erbe und an zeitgenössischer Produktion stattfindet, für die Künstler in der Residenz zu öffnen. Die Rom-Preisträgerinnen und -Preisträger sollen nicht nur geben, sondern ich wünsche mir für sie die Möglichkeit, selbst etwas mitzunehmen – z. B. Inspiration, Ideen, Kontakte, Netzwerke.

 

Die Villa Massimo vergibt zwei verschiedene Stipendien: das der Villa Massimo und das der Casa Baldi. Wodurch zeichnen diese sich aus? Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Das Stipendium der Villa Massimo wird jährlich an neun Personen oder Künstlergruppierungen vergeben. In der Casa Baldi vergeben wir jährlich zwölf Stipendien. Die sind kürzer, nämlich auf drei Monate beschränkt. Während man in der Villa Massimo für zehn Monate, also ein ganzes akademisches Jahr, verweilt. Darüber hinaus ist der Kontext gänzlich unterschiedlich. Die Villa Massimo liegt zwar nicht im historischen Herzen Roms, ursprünglich vor den Toren der Stadt. Aber heute ist sie mit etwa zwanzig Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof sehr zentral gelegen. Das bunte, schnelle Leben Roms liegt vor der Haustür. Die Casa Baldi hingegen liegt in Olevano Romano, das ist eine Autostunde im Südosten Roms. Eine wunderbare kleine Gebirgsstadt, die seit mehreren hundert Jahren Anzugspunkt insbesondere von Landschaftsmalern aus aller Welt ist. Aber sie liegt weit entfernt vom pulsierenden kulturellen Leben einer Großstadt.

 

Wie wählen Sie die Stipendiatinnen und Stipendiaten aus?
Man bewirbt sich für beide Stipendien. Die Bewerbungen werden von den Kulturministerien der Länder entgegengenommen. Dort erfolgt eine erste Sichtung der Stipendien. Für beide Stipendien gibt es vier Sparten, in deren Rahmen man sich bewerben kann: Architektur, Literatur, Komposition oder bildende Kunst. Jede Sparte hat eine eigene Fachjury, die alle drei Jahre neu benannt wird. Diese Jurys bilden Fachleute aus den jeweiligen Disziplinen. Jede einzelne Fachjury muss sehr, sehr viel Arbeit absolvieren: Sie müssen z. B. Hunderte Stunden neuer Musik anhören oder Hunderte Romane lesen, bevor sie sich zum Jurytreffen zusammenfinden. Die Jurymitglieder, die ich kenne, tun es mit großer Gründlichkeit und Leidenschaft.

 

Wie viele Bewerbungen gehen pro Jahrgang circa ein?
Das ist abhängig von den Sparten. Am beliebtesten ist das Stipendium bei bildenden Künstlern. Das mag auch daran liegen, dass das Haus ursprünglich für bildende Künstler gebaut wurde. In der Endauswahl bleiben immer etwa 150 Bewerbungen übrig. Die Schriftsteller und Komponisten bleiben in der Regel jeweils um die 100 Bewerberinnen und Bewerber. Bei den Architekten erhalten wir relativ wenige Bewerbungen – zwischen zehn und 15. Da ist noch Luft nach oben. Als Architektin oder Architekt hat man am ehesten ein großes Büro und eine Reihe von Angestellten, die man anleiten muss. Da können es sich nur wenige erlauben, für zehn Monate nach Rom zu gehen und sich dem schöpferischen Müßiggang zu widmen.

 

Der Rom-Preis gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstler im Ausland. Wie kommt diese Bedeutung zustande?
Die Villa Massimo folgt einer historischen Tradition: die Grand Tour. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert und hatte im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Bis heute hat sie nicht an Aktualität verloren, auch wenn diese sich sehr verändert hat. Gemeint ist damit, das Reisen und Besuchen der antiken römischen und griechischen Schätze, das zur Ausbildung eines Künstlers gehörte. Deswegen hat sich bereits 1666 im Auftrag des französischen Königs in Rom die Villa Medici gegründet. Diesem Modell sind im Laufe der Jahre 38 Staaten gefolgt, die jeweils eine Möglichkeit für Künstler eingerichtet haben, vor Ort sowohl die antike Geschichte als auch die Renaissance zu studieren und selbst zu produzieren. Der Austausch zwischen den 38 Kulturakademien untereinander und mit den römischen Kulturschaffenden ist extrem rege. Daher ist man in Rom nie am falschen Platz. Hier trifft sich die kulturelle Elite.

 

Das Gebäude der Villa Massimo hat der Berliner Unternehmer und Kunstmäzen Eduard Arnhold von 1910 bis 1913 erbauen lassen. Wer war Eduard Arnhold? Wie kam er auf die Idee zur Villa Massimo?
Eduard Arnhold war ein Berliner Unternehmer und ein Freund der Künste. Unter den Künstlern seiner Zeit war er unglaublich gut vernetzt. Er war auch ein großer Sammler. Er hat unter anderem die bedeutendste Sammlung von französischen Impressionisten seiner Zeit in Deutschland zusammengestellt. Dabei sprechen wir von einer Periode, in der sich andere Kunstsammler und Fachleute noch fragten, was dieses bunte Gepunkte und Gestrichele wohl sollte. Arnhold ist ohne direkte Nachfolger geblieben. Er hatte eine große Neigung für Italien, denn er ist viel nach Rom gereist. Er hat aber auch Institutionen wie die Villa Romana in Florenz gefördert.
Zu dieser Zeit hatten bereits viele andere Staaten kulturelle Dependancen in Rom, Deutschland war aber noch ohne Vertretung. Einige deutsche Künstler hatten den preußischen König angeschrieben und gebeten, eine solche Aufenthaltsmöglichkeit in Rom einzurichten. Das ist ungehört geblieben, sodass sich Arnhold entschlossen hat, dem deutschen Staat und den deutschen Künstlern unter die Arme zu greifen. Er hat das Anwesen der Familie Massimo erworben und den Schweizer Architekten Maximilian Zürcher eingeladen, hier sowohl eine große Villa als auch zehn Ateliers zu bauen und einzurichten. Diese Anlage hat er dem deutschen Staat, damals in Person des preußischen Königs, geschenkt – mit der Auflage, dass sie Künstlern gewidmet und denen ein Aufenthalt in Rom gewährt werden sollte. Arnhold ist in Berlin lange Zeit vergessen gewesen. Wir versuchen die Geschichte dieses Hauses lebendig zu halten. Insbesondere auch, weil der Philanthropismus Arnholds sicherlich auch in seiner jüdischen Kultur und Religion begründet war. Die Villa Massimo ist umgeben von der zweitgrößten Jüdischen Gemeinde Roms. Wir bemühen uns, diesen Brückenschlag zu den Menschen, die um uns leben und arbeiten, zu vollziehen. Einige Stipendiatinnen und Stipendiaten setzen sich mit diesem Erbe auseinander, z. B. Sonja Alhäuser. Sie hat zwei große koschere Essen in Zusammenarbeit mit der Kuratorin Micol Di Veroli organisiert.

 

Während des Ersten Weltkrieges musste die Villa Massimo schließen. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie als Offizierskasino der Luftwaffe der Wehrmacht genutzt, später wurde sie von den Alliierten beschlagnahmt. Inwieweit wurde dieser Teil der Geschichte des Hauses aufgearbeitet?
Wir arbeiten eng mit dem Deutschen Historischen Institut, der Bibliotheca Hertziana und dem Deutschen Archäologischen Institut zusammen. Im vergangenen Jahr wurden auch zwei Forschungsstipendien vergeben, die sich mit der Geschichte der Villa Massimo im 20. Jahrhundert auseinandersetzen. Die beiden Dissertationen werden vermutlich im nächsten Jahr abgeschlossen und veröffentlicht. Wir versuchen unseren Stipendiatinnen und Stipendiaten einen Einblick in die Geschichte des Hauses zu geben, und das nicht nur aus unserer eigenen Kraft, sondern auch durch Einladung von verschiedener Expertinnen und Experten.

 

Es gibt 38 internationale Kulturinstitutionen in Rom – so viele wie in keiner anderen Stadt. Welche Position nimmt dabei die deutsche ein?
Die Akademien sind sehr unterschiedlich ausgerichtet. Die Amerikaner und Schweizer laden beispielsweise auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein. Dann gibt es Akademien, die haben einen Künstler im Jahr zu Gast. Andere haben wesentlich kürzere Rhythmen. Die Villa Massimo ist sehr beliebt im römischen Kulturleben. Das liegt daran, dass mein Vorgänger eine ganze Reihe von Veranstaltungen organisiert hat, die das Haus geöffnet haben. Es wurde auch eine Programmnische der elektronischen Musik etabliert, die besonders bei der jungen römischen Kulturszene sehr populär ist. Der ehemalige Stipendiat Carsten Nicolai, der sich Alva Noto nennt, kuratiert jedes Jahr ein Event, zu dem die römische Jugend am liebsten zu Tausenden kommen würde. Wir mussten es aber auf 1.200 Eintritte beschränken – und die sind in der kostenlosen Online-Registrierung nach zwei Minuten ausgebucht. Gemeinsam mit der amerikanischen Akademie laden wir regelmäßig zu Vernetzungstreffen ein. Einmal im Monat besprechen wir gemeinsame Strategien und berichten von anstehenden Projekten, um Synergien herstellen zu können. Wir versuchen, der zentrale Knoten in diesem Netzwerk zu sein.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2019-01/2020.


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