Einander besser verstehen lernen

Der gemeinsame Weg von Europa und Afrika

Als der Bundestag vor Kurzem den 19. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (kurz AKBP; Drucksache 18/7888) diskutierte, waren sich alle Fraktionen über die Bedeutung dieses Politikfeldes einig. Unverzichtbar sei diese Säule deutscher Außenpolitik und »keine Schönwetterpolitik«, so Frank-Walter Steinmeier. AKBP sei »wertegeleitete Außenpolitik auf individueller Ebene«, meinte Claudia Roth. Und wenn »die Diplomatie versagt, kann die Kultur Brücken bauen«, versicherte Diether Dehm. Soweit so gut, aber wie funktioniert das in Afrika?

 

Die Bundesregierung hat im Jahr 2015 für das Goethe-Institut und seine Projekte wie Deutschkurse, Kunst-Events und Kulturgutschutz, für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), für die Auslandsschulen, für die Deutsche Welle und für die berufliche Qualifizierung von Flüchtlingen 1,7 Milliarden Euro ausgegeben. Das ist gut investiertes deutsches Steuergeld – auch in Afrika.

 

Ein ganz besonders sinnvolles Projekt in Afrika war die Unterstützung der Rettung und Aufbewahrung wertvoller alter Handschriften aus Timbuktu während des Konfliktes in Mali 2012. Das wurde Ende September 2016 noch einmal deutlich, als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den Islamisten Al Mahdi wegen Zerstörung von UNESCO-Weltkulturerbestätten zu neun Jahren Gefängnis verurteilte.
Wichtig für Afrika sind auch die Radiosendungen der Deutschen Welle, gerade auch die drei in den lokalen Sprachen Kisuaheli, Amharisch und Haussa.

 

Zu erwähnen sind auch die African Institutes of Mathematical Sciences, die inzwischen ein Netzwerk in mehreren Ländern Afrikas bilden – angefangen in Südafrika über den Senegal, Ghana, Kamerun, Tansania bis nach Ruanda. Hier wird mathematische Physik auf höchstem Niveau gelehrt, die jungen Frauen und Männer kommen aus allen Regionen Afrikas und machen eine ganz eigene intellektuelle Gemeinschaftserfahrung an den verschiedenen, schön gelegenen Orten. Zurück geht die Ini­tiative auf den südafrikanischen Direktor des Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo in Kanada, Neil Turok. Seit Beginn trägt sie den Untertitel „Next Einstein Initiative“, der nächste Einstein kommt aus Afrika. Ich befürworte seit Langem, dass sich die Bundesregierung hier noch stärker engagiert als nur mit der Unterstützung einzelner Professuren an den verschiedenen Instituten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung zusammen mit der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem DAAD. Es liegt im deutschen Interesse, dass Albert Einstein als der bekannteste Deutsche nach Adolf Hitler den jungen Afrikanerinnen und Afrikanern nicht zuerst als Princeton-Professor und Amerikaner bekannt wird.

 

Viele von uns fühlen sich peinlich berührt, wenn unsere Partner in Afrika heute die „Wohltaten“, den Fleiß und die Pünktlichkeit der Deutschen rühmen. Natürlich wird in den ehemals deutschen Kolonialgebieten die Zeit von 1885 bis 1914 oft verklärt, auch weil die Geschichten der Groß- und Urgroßeltern meist etwas netter in Erinnerung bleiben, als sie wirklich waren. Aber warum müssen wir immer unsere politisch korrekten Einschätzungen von heute für die Erinnerung Anderer als verbindlich erklären und können sie nicht als etwas Eigenständiges stehen lassen? Daraus ließe sich für die Zukunft mehr machen, weil es gerade in diesen Ländern immer noch ein besonderes Interesse an Deutschland gibt. Die deutsche Sprache und die deutschen Schulen in Togo, Kamerun, Tansania oder Namibia noch stärker zu fördern, könnte für beide Seiten von Nutzen sein.
Aber das alles ist nur eine Seite, „high end“ der AKBP, so wie wir sie aus europäischer Perspektive verstehen, vermitteln und wie sie für die erfolgreiche Integration in die wissenschaftlich-technische Welt von heute auch unverzichtbar ist.

 

Wenn wir aber fragen, was ist eigentlich afrikanische Kultur, was hat sie ausgemacht, was bedeutet sie den Menschen heute, welche Werte sind dadurch geprägt worden oder wie ist diese Kultur durch Lokalreligionen, Klima und Ethnizität beeinflusst worden, dann ist da ein großes Schweigen. Afrika ist anders. Und das hat genau damit zu tun. Beide Seiten meinen, einander zu verstehen, weil man Englisch oder Französisch spricht und im selben Projekt an derselben Sache arbeitet. Wer macht sich aber von uns die Mühe, eine der lokalen Sprachen zu lernen? Aber noch viel gravierender: Wir Deutschen wissen fast nichts von der Rolle der „Alten“ in den Dörfern und Familien, ja sogar in den Staatsinstitutionen. Wir wissen nichts über die Bedeutung der Rituale und Fetische, der Masken und Tänze. Jede Art von Tradition, Sitte und Gebräuchen – zumal wenn sich damit der Glaube an für uns obskure Zauberei oder die Wirkung von Substanzen, die wir nicht kennen und erforscht haben, verbindet – wird von uns hinterfragt oder als längst vergangene Kulturexotik von oben herab wahrgenommen.

 

Wir müssten endlich damit beginnen, erst einmal die Anderen in ihrem Anderssein verstehen lernen zu wollen! Auch dafür bräuchten wir „AKBP für uns selbst“. Ohne diese Anstrengung wird weder Entwicklungs- noch Wirtschafts- oder Außenpolitik in Afrika erfolgreich sein. Ich plädiere für einen erweiterten Begriff der AKBP, der das alles umfasst und dafür Programme entwickelt. Hierbei wären wir die Lernenden und Empfangenen. Das ist Teil einer echten Partnerschaft, denn der Weg, den Europa und Afrika noch gemeinsam zu gehen haben, wird lang sein.

Günter Nooke
Günter Nooke ist Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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