Ein breiter Blumenstrauß an Aufgaben

Theresa Brüheim im Gespräch mit Bernd Fabritius, dem Präsidenten des Bundes der Vertriebenen

Theresa Brüheim: Herr Fabritius, was ist der Bund der Vertriebenen? Wie versteht er sich selbst?
Bernd Fabritius: Der Bund der Vertriebenen (BdV) ist der Dachverband der Verbände der Deutschen, die zum Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem damaligen Osten Deutschlands sowie aus ihren Heimat- und Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa vertrieben wurden oder in den vielen Jahrzehnten danach bis heute von dort ausgesiedelt sind. Das ist etwa das Sudetenland, Ostpreußen oder Schlesien, aber genauso auch Siebenbürgen und das Banat, überall, wo Deutsche traditionell gelebt haben oder leben. Alle diese Menschen haben im BdV einen Vertreter.

 

Was ist die Aufgabe des BdV heute?
Der BdV hat einen breiten Blumenstrauß an Aufgaben. Er will natürlich die Erinnerungen an das Vertreibungsunrecht wachhalten, um zu mahnen, damit so etwas nicht nochmal passiert. Er will einen Erinnerungstransfer befördern, damit das, was geschehen ist, auch von den nachkommenden Generationen in Kenntnis gehalten wird. Er will die Kultur der Deutschen aus den Heimatgebieten schützen, da diese Kultur Teil des gesamtdeutschen kulturellen Erbes ist. Er will Interessenvertreter sein für die Menschen, die ihre Heimat durch die ethnischen Säuberungen nach dem Zweiten Weltkrieg verloren haben. Er will eine Brückenfunktion wahrnehmen zu den Menschen, die in den Heimatgebieten bis heute weiter wohnen können.

 

Sie sprechen bereits die Zielgruppen des BdV an. Sind das „nur“ deutsche Heimatvertriebene, Aussiedler und ihre Nachkommen? Oder richtet sich die Arbeit des BdV auch an deutschsprachige Minderheiten in den ehemaligen Gebieten sowie die dort heute lebende nicht deutschsprachige Bevölkerung?
Der BdV richtet sich selbstverständlich auch an die Heimatverbliebenen. Ich kann ein ganz konkretes Beispiel anführen: Ich selbst bin Siebenbürger Sachse. Die meisten Siebenbürger Sachsen haben nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat durch einen stetigen Vertreibungsdruck verloren. Sie sind ausgewandert und leben heute in Deutschland. Es sind aber etwa 30.000 Landsleute in Siebenbürgen, auch im Banat verblieben. Sie haben dort die Wende erlebt und konnten danach dort weiter wohnen bleiben. Sie können auch heute dort ihre eigene Identität pflegen. Es sind unsere Brüder und Schwestern in einem grenzüberschreitenden Verständnis. Die deutschen Minderheiten sind also auch Zielgruppe des BdV.
Die dort wohnenden nichtdeutschen Bewohner, also die Mehrheitsgesellschaft, ist nicht direkt Zielgruppe. Sie ist aber als Wohnumfeld ein Faktor, den wir im Auge haben. Dabei setzen wir auf enge Zusammenarbeit. Wir können und wollen unsere Landsleute in den Herkunftsgebieten nicht isoliert betrachten. Sie sind dort als Minderheit Teil eines zusammengesetzten Staates, Volkes, und in diesem wollen wir sie bestärken.

 

Inwiefern adressieren Sie auch die allgemeine Öffentlichkeit?
Selbstverständlich wollen wir auch die allgemeine Öffentlichkeit adressieren. Erstens, weil natürlich das Vertreibungsschicksal Teil der gesamtdeutschen kollektiven Biografie ist. Deswegen war es z. B. sehr wichtig, einen Gedenktag für die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung zu schaffen, damit im nationalen Bewusstsein auch dieser Teil der deutschen Biografie, der sehr lang in einem Erinnerungsschatten stand, eben aus diesem heraustritt. Zweitens weil wir die Lehren der Vergangenheit – auch die aus dem Vertreibungsunrecht – in die Gegenwart tragen wollen und müssen.

 

Versteht der BdV sich gemäß dessen als moderner Akteur der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP)? Inwiefern kann Versöhnung als Aufgabe der AKBP gesehen werden?
Natürlich verstehen sich der BdV und insbesondere die Minderheiten in den Herkunftsgebieten, in den alten Heimatgebieten, als AKBP-Träger, ganz einfach weil die Minderheiten Brückenbauer sind. Sie bewahren das kulturelle Erbe und sie stärken dadurch die bilateralen Beziehungen. Sie fördern einen interkulturellen Dialog, indem sie zwischen ihrer Heimat und Deutschland vermitteln. Dabei ist die deutsche Sprache ein wichtiges Bindeglied und ein identitätsstiftendes Merkmal. Ein moderner AKBP-Akteur sind wir auch, da wir auf eine proeuropäische Herangehensweise setzen, auf ein gutes Miteinander und gegenseitiges Verständnis. Darüber hinaus bringen der BdV und insbesondere die Menschen, die durch den BdV vertreten sind, ihre Erfahrung in die aktuelle Gesellschaftsthematik ein. Flucht und Vertreibung in der heutigen Welt, diese unglaubliche humanitäre Krise: Gerade der BdV und die Menschen, die Vertreibung selbst erlebt haben, aber in Deutschland schon lange bestens integriert sind, können einen Beitrag dazu leisten, Empathie zu entwickeln für die Menschen, die heute ein im Trauma-Empfinden ähnliches Schicksal erleiden. Sie sehen also, es ist ein breites Feld der Wirkung, die man mit auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik gerade auch über die deutschen Minderheiten vor Ort erreichen kann.

 

Herr Fabritius, was wünschen Sie sich für die Zukunft des Verbandes?
Ich wünsche mir für die Zukunft des Verbandes, dass die deutsche Gesellschaft den Arbeitsinhalt des BdV, seine tatsächliche Ausrichtung so wahrnimmt, wie diese seit vielen Jahren erfolgt. Der BdV wird in der öffentlichen Wahrnehmung, vielleicht aus Erfahrungen der weiten Vergangenheit, oft nicht realistisch gesehen. Man meint oft, dass der BdV rückwärtsgewandt sei oder dass er einer gutnachbarschaftlichen europäischen Ausrichtung entgegenstünde. Das ist grundfalsch. Genau das Gegenteil ist richtig. Ich würde es mir wünschen, dass die Gesellschaft bereit ist, die eigenen Opfer der Kriegszeit und der Nachkommen heute mit der gleichen Empathie anzunehmen, wie das zum Glück mit den Opfern heutiger Flucht und Vertreibung geschieht.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Bernd Fabritius, MdB & Theresa Brüheim
Bernd Fabritius, MdB ist Vorsitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur
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