Die Zerstörung, der Raub und der illegale Handel mit Kulturgut – Eine Einführung

Besitz von Raubkunst muss gesellschaftlich und rechtlich geächtet werden

Wer die St. Marienkirche in Kamenz betritt, denkt, in einem katholischen und nicht in einem protestantischen Kirchenraum zu sein. Die Kirche wurde im 15. Jahrhundert aus einheimischem Granit erbaut und im Jahr 1480 fertig gestellt. Ihre Besonderheit ist die mittelalterliche Ausstattung mit zwei gotischen Schnitzaltären, dem Sakramentshaus mit meisterhafter Schmiedearbeit, einem kunstvollen Taufstein, einer Kreuzigungsgruppe aus dem 15. Jahrhundert sowie einer Kanzel des Meisters Andreas Dreßler aus dem Jahr 1564. Diese Kirche wurde vom sogenannten Bildersturm während der Reformation verschont und ist damit ein Kleinod unter den protestantischen Kirchen in Deutschland.

 

Was hat dies mit Kulturgut aus dem vorderasiatischen Raum zu tun? Mit der Zerstörung von Kulturgut? Mit dem Raub von Kulturgut? Es hat zuerst damit zu tun, dass es sich bei der Zerstörung von Kulturgut um nichts Neues handelt. Es sind nicht erst die Taliban, die Truppen des »Islamischen Staats«, von Boko Haram oder anderen, die Kulturgüter zerstören. Europäische Kriege, Bürger- und Religionskriege, waren auch Kriege, in denen Kulturgut systematisch zerstört, geraubt oder verkauft wurde. Das rechtfertigt die Zerstörung heute im Nahen Osten nicht im Geringsten, zeigt aber die Kontinuität des Problems.

 

Die Zerstörung, der Raub und der illegale Handel mit Kulturgut aus dem vorderasiatischen Raum stehen derzeit im Mittelpunkt des Interesses. In Videos verbreitet der »Islamische Staat« wie bedeutsame Stätten im Irak und in Syrien zerstört werden. Eher still und ohne Bilder verlaufen die alltäglichen Zerstörungen durch Raubgrabungen und die illegale Ausfuhr des antiken Kulturguts aus diesen Gebieten. Doch der Raub und die Ausfuhr sind die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist der unersättliche Kunstmarkt in Europa, den USA und zunehmend auch in den Golfstaaten sowie in Südostasien, besonders China. Ohne diese illegalen Kunstmärkte, ohne die Käufer von archäologischem Kulturgut aus zweifelhafter Quelle würde das ganze Geschäft nicht funktionieren. Insofern ist es, wie so oft im richtigen Leben, dass, wer die Raubgräber im Irak, in Syrien, in Ägypten oder anderen Staaten verurteilt, ebenso auch jene in den Blick nehmen sollte, die den illegalen Antikenhandel erst möglich machen.

 

Ebenso wie die Zerstörung von Kulturgut kein neues Phänomen ist, sind es Raubgrabungen auch nicht. Viele Schätze, die in unseren Museen zu bewundern sind, sind auf recht zweifelhafte Weise »erworben« worden bzw. entstammen Grabungen, die heute als Raubgrabungen bezeichnet werden. Der eurozentristische Blick auf den vorderen Orient, der rechtliche Status jener Staaten als Kolonial- oder Mandatsgebiet schufen ein Bewusstsein, dass archäologische Schätze in Europa besser aufgehoben seien als in jenen Ländern. Und ohne Zweifel profitierte die europäische, so auch die deutsche Orientwissenschaft von jenen Fundstücken, die heute in den Museen zu sehen sind, die erschlossen und in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet werden. Die Wissenschaft heute ist international vernetzt und arbeitet an einem neuen Blick auf die antiken Stätten im vorderen Orient sowie den heutigen Staaten dort. Es geht ihr auch um die Stärkung der dortigen Wissenschaft, um Ausbildung, um Weitergabe von wissenschaftlicher und technischer Expertise und nicht zuletzt um jene Menschen vor Ort, die sich für die Stärkung des Bewusstseins für die Bedeutung jener Regionen und der Artefakte für die Menschheitsgeschichte einsetzen. Das ist eine fundamentale Veränderung in der Betrachtung von Artefakten anderer Kulturen, die sich hoffentlich einmal auch im geplanten Humboldtforum in Berlin durchsetzen wird.

„Die wichtigen Käufer von illegalem Kulturgut heute sind private Sammler.“

Die wichtigen Käufer von illegalem Kulturgut heute sind private Sammler. Nach dem Zusammenbruch des sogenannten neuen Markts, dem Platzen der Immobilienblase sind Kunstwerke ein beliebtes Anlageobjekt. Archäologisches Kulturgut, das aus der Natur der Sache heraus ein abgeschlossenes Sammelgebiet darstellt, das zumindest legal nicht beliebig vermehrbar ist, ist besonders wertvoll und bietet sich zur Geldanlage geradezu an. Oft aber ist es nicht Geldgier, die den obsessiven Sammler treibt, sondern die tiefe Lust ein einmaliges Stück Weltkultur zu besitzen. Die Befriedigung dieser Lust ist nicht verwerflich, solange sichergestellt ist, dass die Sammlerstücke nicht aus illegalen Quellen stammen.

Ein wichtiger Adressat für einen veränderten Umgang mit archäologischem Kulturgut müssen daher die privaten Sammler sein und dabei geht es nicht so sehr um rechtliche Regelungen, sondern vielmehr um die gesellschaftliche Ächtung der kriminellen Auswüchse. Archäologisches Kulturgut aus unklaren Quellen wird in großem Stil illegal auch nach Deutschland eingeführt. Ähnlich dem Rauschgifthandel handelt es sich um einen florierenden Markt, der im Dunkeln stattfindet. Illegal eingeführte Objekte werden »gewaschen«, ihnen wird ein legales Antlitz verliehen. Viele Provenienznachweise lassen daher Fragen offen und müssen dem redlichen Sammler Anlass zum Nachfragen, zum Nachbohren geben.

„Solange aber Sammler (…) illegal erworbene archäologische Kulturgüter präsentieren können, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden, wird es schwer werden, den verbrecherischen Sumpf trocken zu legen.“

Solange aber Sammler nach wie vor stolz ihren Freunden und Gästen illegal erworbene archäologische Kulturgüter präsentieren können, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden, wird es schwer werden, den verbrecherischen Sumpf trocken zu legen. Wenn aber die Zurschaustellung von archäologischem Kulturgut ähnlich anrüchig wäre, wie der offene Besitz von Rauschgift, wäre schon vieles gewonnen oder wer mag bei einer Party schon gerne offen eine Schüssel mit »Koks« auf den Tisch stellen.

 

In Deutschland wird derzeit die EU-Richtlinie zum Kulturgutschutz in nationales Recht umgesetzt. Hierzu ist Deutschland als EU-Mitgliedstaat verpflichtet. Die Frist läuft bis zum Frühjahr nächsten Jahres. Das geltende Kulturgutschutzgesetz, das im Übrigen vor sechzig Jahren in Kraft trat, muss daher novelliert werden. In diesem Zusammenhang soll auch die UNESCO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970, die von Deutschland erst nach peinlichen 37 Jahren im Jahr 2007 ratifiziert wurde, organisch in das deutsche Kulturgutschutzgesetz eingefügt werden. Die Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz ist eine gute Gelegenheit, um den Umgang mit der Einfuhr und dem Handel mit Kulturgut zu reflektieren. Es ist ein Weckruf für den vertrauenswürdigen Kunsthandel, seine Seriosität unter Beweis zu stellen und sich von illegalen Machenschaften deutlich zu distanzieren. Es ist eine Chance für eine gesellschaftliche Debatte um Kulturgut, unsere Sicht auf andere Länder und unseren Respekt vor anderen Kulturen. Es ist unsere Verpflichtung, das Erbe der Menschheit zu schützen, zu pflegen und zu bewahren.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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