Forschung für den Kulturgutschutz

Interdisziplinäres Verbundprojekt zum illegalen Handel mit Kulturgütern in Deutschland

Es sind propagandistisch inszenierte Zerstörungsorgien terroristischer Extremisten, die seit einigen Monaten die Welt in Atem halten. Eine sehr viel größere Bedrohung für das materielle Kulturerbe der Menschheit gerade in den politisch instabilen Ländern des Nahen Ostens stellen jedoch die kontinuierlichen Plünderungen von Museen und archäologischen Stätten dar, die Objekte für den illegalen Handel mit Kulturgütern beschaffen sollen. Schmuck, Statuetten, Rollsiegel, mit Keilschrift beschriebene Tontafeln, Relieffragmente – all das lässt sich vergleichsweise leicht außer Landes schmuggeln und mit hohen Gewinnspannen veräußern. Im Irak ist diese schleichende Auslöschung des reichen archäologischen Kulturerbes schon seit mehr als zwei Jahrzehnten zu beobachten. Aber auch Länder wie Syrien, Jemen, Libyen, Ägypten, China oder Mexiko klagen seit Langem über den kriminellen Ausverkauf ihres kulturellen Erbes.

Gewinne aus dem illegalen Handel mit Kulturgütern gehören zu den höchsten der organisierten Kriminalität

Internationale Organisationen vermuten, dass Gewinne aus dem illegalen Handel mit Kulturgütern zu den höchsten im Bereich der organisierten Kriminalität gehören, unmittelbar nach dem Waffen- und Drogenhandel. Seit etwa einem Jahr verdichten sich außerdem die Hinweise darauf, dass auch terroristische Gruppierungen im Irak und Syrien am Verkauf geplünderter archäologischer Kulturgüter verdienen. Die Vorstellung, dass der Handel mit Antiken die unbeschreiblichen Gräuel an Kindern, Frauen und alten Menschen mitfinanziert, hat nicht nur die internationale Staatengemeinschaft, sondern auch Politik, Medien und viele Sammler wachgerüttelt.

 

Wer effektiv gegen den illegalen Handel mit Kulturgütern vorgehen und präventive Maßnahmen ergreifen will, muss zunächst verstehen, wie dieser Handel funktioniert. Darin liegt derzeit auch auf internationaler Ebene die größte Herausforderung. Denn obgleich klar ist, dass Raubgrabungen, Plünderungen und Schmuggel etwa mit archäologischen Kulturgütern aus dem Irak und Syrien in großem Stil erfolgen, verfügt derzeit tatsächlich niemand über belastbare Zahlen oder harte Fakten im Hinblick auf die Akteure des illegalen Handels, ihre Netzwerke oder ihren modus operandi. Kriminologisch betrachtet ist der illegale Handel mit Kulturgütern damit ein Dunkelfeld, das es im Sinne von Kriminalitätsbekämpfung und -prävention systematisch aufzuhellen gilt. Diese systematische Aufklärungsarbeit kann nur im Rahmen von interdisziplinären Forschungsprojekten erfolgen, in denen sich das praktische Wissen und die Erfahrung etwa der Ermittlungsbehörden mit den wissenschaftlichen Kompetenzen von Expertinnen und Experten aus verschiedenen einschlägigen Disziplinen verbinden.

Das Internet ist ein zunehmend bedeutsames Instrument des illegalen Warenverkehrs

Interdisziplinäre Dunkelfeldforschung wird in Deutschland bereits seit Längerem erfolgreich im Kampf gegen organisierte Kriminalität in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt. Der illegale Handel mit Kulturgütern war jedoch bislang niemals Gegenstand der Dunkelfeldforschung. Ein vom Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin geführter Forschungsverbund wird diese wissenschaftliche Lücke nun schließen. Finanziert aus Mitteln, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen seines Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ zur Verfügung stellt, wird das Projekt ILLICID („Illegaler Handel mit Kulturgütern in Deutschland. Verfahren zur Erhellung des Dunkelfeldes als Grundlage für Kriminalitätsbekämpfung und -prävention am Beispiel antiker Kulturgüter“) in den kommenden drei Jahren den Handel mit archäologischen Objekten insbesondere aus dem östlichen Mittelmeerraum unter die Lupe nehmen, da diese Region aufgrund der in ihr vorherrschenden Sicherheitslage besonders stark von Raubgrabungen, Plünderungen und illegalem Handel betroffen ist.

 

Gemeinsam mit Sozialwissenschaftlern von GESIS – Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, Mannheim, und IT-Experten des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie, Darmstadt, werden Ägyptologen, Assyriologen sowie Archäologen das Objektaufkommen, die Angebotsformen sowie die Handelsorte in diesem Bereich des Dunkelfeldes systematisch analysieren. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei auch dem Internet als zunehmend bedeutsamem Instrument des illegalen Warenverkehrs. Flankiert werden diese Untersuchungen durch eine wissenschaftlich konzipierte Befragung von Personen, die privat oder als Vertreter von Institutionen im Bereich des Kulturguthandels aktiv sind.

 

Zu den Zielen von ILLICID gehört nicht nur ein besseres Verständnis des illegalen Handels mit Kulturgütern in Deutschland, sondern auch die Entwicklung von effektiven Methoden und Instrumenten der Dunkelfeldforschung in diesem Bereich. Darüber hinaus soll ein Strategiepapier mit Handlungsempfehlungen für die Bekämpfung dieser Form der organisierten Kriminalität erarbeitet werden.
Unterstützt wird die Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch renommierte assoziierte Partner wie das Bundeskriminalamt, das Auswärtige Amt, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, die UNESCO sowie der Internationale Museumsrat ICOM.

Markus Hilgert
Markus Hilgert ist Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.
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