Mission – gestern, heute und morgen

Evangelisches Missionswerk in Deutschland (EMW)

 

Wie sah das nach dem Zweiten Weltkrieg aus? In dieser internationalen Gemeinschaft gab es große Brüche …
Nach der berühmten Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh haben sich die Ökumenische Bewegung und ein Internationaler Missionsrat herausgebildet, in dem die Missionsgesellschaften über ihren Deutschen Evangelischen Missionsrat vertreten waren. Kontakte hat es durch den Zweiten Weltkrieg hindurch gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue Weltordnung aufgestellt. Dazu gehörten auch Veränderungen wie z. B., dass China eine moderne Nation wurde und alle Missionare ausgewiesen hat, und auch in anderen Gebieten waren ausländische Missionare unerwünscht. Aus der Missionsarbeit waren jedoch eigenständige Kirchen hervorgegangen. In der Zeit der Unabhängigkeitsbewegungen und der Nationenbildung spielten diese Kirchen oft eine wichtige Rolle. Durch die Stärkung dieser einheimischen kirchlichen Gemeinschaften und der weltweiten ökumenischen Bewegung veränderten sich die Aufgaben von Mission, z. B. durch die Partnerschaft mit den neu entstandenen Kirchen.

 

Verwerfungen gab es auch in den 1970er Jahren. Die Dritte-Welt-Bewegung diskutierte heftig, inwieweit Mission und Entwicklungshilfe miteinander vereinbar sind. Welche Implikationen hatte diese Debatte auf die Missionswerke und ganz konkret auf das EMW?
Die Dritte-Welt-Bewegung war eine Bewegung, die stark von Kirchen mitgetragen wurde. Viele Engagierte in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit waren intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, gerade wegen ihrer Beziehungen zu Kirchen in der sogenannten Dritten Welt. Die These der kirchlichen Dritten-Welt-Bewegung, war, dass das damalige Entwicklungsverständnis viel zu technologisch und ökonomisch orientiert war, und daher Entwicklungshilfe zu kurz griff. Stattdessen ging es auch um Gerechtigkeit, Kooperation, Frieden und Versöhnung – gerade auch nach den Unabhängigkeitskriegen. Oder dass die kritische Aufarbeitung des früheren kolonialen Rahmens von Mission Teil der Entwicklungsdebatten wurde. Die kirchliche Entwicklungsbewegung hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich das Entwicklungsverständnis hin zu einem ganzheitlichen entwickelte, das auch Fragen von Gerechtigkeit, von kultureller und religiöser Entwicklung, von Frieden und Versöhnung, interreligiösem Dialog und Ökologie umfasst. Das prägt das Entwicklungsverständnis, was die Missionswerke heute mit ihren Partnern teilen. Ich sehe nicht, wie man das auseinanderdividieren kann, ganz im Gegenteil, es sind doch weitgehend geteilte Grundlagen für eine Entwicklungszusammenarbeit, die heute auch viel stärker religiöse Gemeinschaften einbezieht.

 

Was verstehen Sie heute unter postkolonialem Arbeiten?
Darunter kann man zunächst historisch das Arbeiten in der Zeit nach den Kolonialreichen verstehen. Das beinhaltet zurückzublicken: Was waren die Anfänge der Mission? Wie ist mit der Kritik, dass es sich dabei um eine Unterdrückung bzw. Ausbeutung gehandelt habe, umzugehen? Welche Machtverhältnisse herrschten? Welche Kulturverständnisse gab es? Die Missionswerke und Kirchen, die wir vertreten, haben sich schon früh an die Aufarbeitung dieser Geschichte gemacht. Dazu gibt es viele Studien und die Diskussion darüber ist integraler Bestandteil unserer Partnerschaften. Das führt zu einem zweiten Verständnis von postkolonial – nämlich als eine Diskursform. Es gibt doch weiterhin imperiale und ökonomische Abhängigkeitsstrukturen. Religionen spielen weltweit eine große Rolle. Damit müssen sich Kirchen in allen Ländern auseinandersetzen. Was sind die wahren Machtverhältnisse in der Welt? Wo sind heute noch Unterschiede zwischen Kulturen leitend, z. B. in der Form von Rassismus? Welche Machtabhängigkeiten gibt es in kirchlichen Beziehungen und worauf beruhen diese? Und was bedeutet das für Mission? Das sind einige Fragen der postkolonialen Diskurse.

 

Wie in vielen Arbeitsbereichen bahnt sich bei der Mission ein Generationswechsel an. Was macht diesen aus? Wie unterscheiden sich die Generationen voneinander?
Viele Kirchen – nicht nur im Norden, sondern auch im Süden – machen die Erfahrung, dass die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation schwierig ist. Während z. B. früher Missionare die Experten für Nachrichten aus der weiten Welt waren, kann heute jeder Mensch mit jedem Menschen kommunizieren. Und gerade die jüngere Generation nutzt das und hat viel mehr Möglichkeiten, selbst die Erfahrung zu machen, in einer fremden Kultur zu leben. Viele dieser engagierten jungen Erwachsenen gründen eher eigene Netzwerke, als sich bestehenden Organisationen anzuschließen. Der Wille, sich in Organisationen einbinden zu lassen, hat offensichtlich nachgelassen, aber das gilt nicht nur für Kirchen oder Missionswerke. Der Generationswechsel kommt mit solchen qualitativen Veränderungen, die große Herausforderungen darstellen. Mit ihm verändert sich auch das Bild von Mission. So stellt die kommende Generation kritische Fragen für ihre Zukunft, auch der älteren Generation: „Was habt ihr gemacht? Wo steht ihr? Was für eine Welt hinterlasst ihr uns?“ Das sind Fragen, die in den missionarischen und ökumenischen Netzwerken eine große Rolle spielen.

 

Sprechen wir über die Zukunft von Mission. Wird es Mission im klassischen Sinn weitergeben?
Ja, in dem Sinne, wie ich es hier skizziert habe. Viele Menschen assoziieren mit Mission ja gerade, was sie nicht ist. Um einmal dagegenzuhalten: Identifiziert die Gesellschaft die Frage nach ihrer eigenen kolonialen Vergangenheit nicht einfach mit Mission? Was ist mit politischen und gesellschaftlichen Debatten darüber, dass Deutschland der Nachfolgestaat einer kolonialen Nation ist? Haben wir eine klare politische Haltung dazu? Merken wir nicht als Gesellschaft, dass wir z. B. mit der Restitutionsdebatte von einem Teil unserer Vergangenheit eingeholt werden, die wir für einige Jahrzehnte meinten vergessen zu können? In der Mission und Ökumene sind diese Fragen durch die Zusammenarbeit mit Menschen in den Ländern, die von dieser Geschichte geprägt sind, immer lebendig geblieben. Mission kann ein gutes Beispiel dafür sein, wie man koloniale Vergangenheit aufarbeiten kann, wenn man ehrlich miteinander ist und sich kritische Rückfragen nicht erspart. Mission heute ist ein Angebot aus dem Glauben heraus, Dinge in den Dialog zu bringen und auch andere Gesichtspunkte stark zu machen als die, die in politischen Debatten eine Rolle spielen. Dabei lassen wir uns von der Vision von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung inspirieren, wobei der Dialog mit Menschen anderen Glaubens eine wichtige Rolle einnimmt. Und: Brauchen wir in Zeiten, in denen Religionen in den gesellschaftlichen und politischen Arenen eine solch wichtige Rolle spielen, nicht mehr religiöse Expertise? Daher würde ich sogar sagen, dass die transnationalen Netzwerke von Kirchen- und Missionsorganisationen in einer

globalisierten Gesellschaft umso wichtiger geworden sind.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interwiev ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

Michael Biehl und Theresa Brüheim
Michael Biehl leitet die Referate Grundsatzfragen und Theologische Ausbildung des Evangelischen Missionswerkes in Deutschland. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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