Michael Biehl und Theresa Brüheim - 27. August 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kolonialismus-Debatte

Mission – gestern, heute und morgen


Evangelisches Missionswerk in Deutschland (EMW)

Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW), in dem sich Missionswerke, Kirchen, Vereine und Verbände zusammengeschlossen haben, fördert das Engagement für Mission und Ökumene in den deutschen Kirchen und der Öffentlichkeit. Theresa Brüheim spricht mit Michael Biehl, Referatsleiter beim EMW, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Mission.

 

Theresa Brüheim: Herr Biehl, Sie leiten beim EMW die Referate für theologische Ausbildung und Grundsatzarbeit. Was umfasst Ihre Arbeit?
Michael Biehl: In der Grundsatzarbeit beschäftigen wir uns mit ökumenischer Mission und mit Fragen von Entwicklung, Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – immer im Dialog mit Partnerkirchen und -organisationen im globalen Süden, den Werken und Kirchen, die Mitglieder im EMW sind. Wir beobachten, welche Themen in den Regionen und Kontexten der Welt aktuell sind. Welche Stimmen gibt es dort dazu? Wie verhält sich das zu den Diskussionen, die wir hier führen? Und wie können wir im weltweiten und ökumenischen theologischen Gespräch und in der praktischen Arbeit weiterkommen?

 

Das ist die Grundsatzarbeit. Wie sieht es mit dem Arbeitsgebiet der theologischen Ausbildung aus? Wie kann man sich das bei einem Missionswerk vorstellen?
Theologische Ausbildung ist eine zentrale Aufgabenstellung. Bildung ist weltweit eines der Megathemen – im Sinne von Aufklärung oder als Ressource für Entwicklung, was auch die „Sustainable Development Goals“ aufgreifen. Konkret fördern wir die Arbeit in der theologischen Ausbildung von Einrichtungen im globalen Süden, z. B. durch Stipendien, der Förderung von Bibliotheken, Investitionen in Infrastruktur oder durch gemeinsame Programme. In der letzten Zeit vertiefen wir im internationalen ökumenischen Dialog besonders die Themen Ökotheologie, Ökogerechtigkeit, Folgen des Klimawandels aus christlicher Perspektive. Das soll Kirchen dabei unterstützen, sich intensiver damit zu beschäftigen und sich konkret zu engagieren.

 

Sie leiten eines von mehreren Referaten des EMW. Wie fügt sich Ihre Arbeit in den Gesamtauftrag ein?
Das EMW ist eine Gemeinschaft von Kirchen und Missionswerken. Sein Auftrag ist die gegenseitige Unterstützung und Beratung bei Fragen, die sich aus der Mission in Deutschland und anderswo, der Ökumene und der weltweiten Partnerschaft ergeben. Das geschieht z. B. in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Lutherischen Weltbund oder der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen, aber auch mit anderen Richtungen des Christentums wie der Pfingst- oder evangelikalen Bewegung. Es geht immer darum, die Anliegen von Mission und Ökumene wachzuhalten, Fragen zu schärfen, sie zu diskutieren und in den Diskurs der Zivilgesellschaften nicht nur in Deutschland einzubringen. Deshalb arbeiten wir auch mit regionalen ökumenischen Organisationen, z. B. der Allafrikanischen oder der Asiatischen Kirchenkonferenz.

 

Aufgabe des EMW ist die Förderung des Engagements für Mission. Was ist Mission heute überhaupt? Und wie gestaltet sich diese?
Das Verständnis von Mission in der Gemeinschaft des EMW ist ein ganzheitliches. Aus und mit dem christlichen Glauben wollen wir auch zur Weiterentwicklung der Gesellschaften beitragen. Mit der bekannten Trias Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung des konziliaren Prozesses sind Werte genannt, für die Kirchen weltweit in ihrer Mission einstehen wollen. Das konkretisiert sich in einer ganzen Bandbreite von Tätigkeiten, wie Verkündigung und Lehre, diakonischer Hilfe, Unterstützung von theologischen Ausbildungseinrichtungen, interreligiösem Dialog. Vieles, was Kirchen in diesem Kontext tun, kann als Beitrag für die Transformation von Gesellschaften hin zu gerechten, partizipatorischen und nachhaltigen Gemeinschaften verstanden werden. In diesem Sinne setzt sich Mission auch für die „Sustainable Development Goals“ ein. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat 2012 die Missionserklärung „Gemeinsam auf dem Weg des Lebens“ veröffentlicht. Der Titel zeigt an, was ökumenische Mission heute ist. Durch unsere Arbeit soll transparent werden, woher wir kommen, was uns motiviert und wofür wir stehen. Darüber laden wir in den Dialog ein: Was bedeutet es, heute an Gott zu glauben, oder eben nicht? Das geschieht auch im interreligiösen Dialog, der Teil unserer Mission ist. Nicht, um andere zu überzeugen, sondern um herauszufinden, was sind die Glaubensauffassungen des Gegenübers, was trägt sie, was macht ihren Glauben stark, wofür steht sie. Aber auch um gemeinsam aufzuarbeiten, wo es in der Vergangenheit Zerwürfnisse gab, welche Konflikte es gibt und wofür wir uns gemeinsam einsetzen können.

 

Vergangenheit ist ein gutes Stichwort. Deutschland hatte vergleichsweise früh, ab 1914, keine Kolonien mehr. Wie arbeiteten die Missionswerke danach?
Die Geschichte der Gesellschaften, die sich in Deutschland gegründet haben, um in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Pazifik Missionsarbeit zu leisten – ist älter als die deutsche Kolonialgeschichte. Doch sie haben in Regionen gearbeitet, die zu Kolonien gemacht wurden und viele betrachteten ihre Arbeit als einen Beitrag zur Zivilisierung der kolonisierten Völker. Das Ende des »deutschen« Kolonialismus als staatliches und wirtschaftliches Unternehmen hat die Mission unterschiedlich betroffen. Die Kolonien wurden von den Siegerstaaten übernommen, das sollte nicht vergessen werden. Die Arbeit der deutschen Missionsgesellschaften hat sich verändert, weil sie nach dem Krieg ihre „Missionsgebiete“ verloren hatten. Sie waren jedoch weiterhin in engem Kontakt zur internationalen Missionsgemeinschaft, die teilweise stellvertretend die Arbeit übernommen hat. Trotz des Völkerkrieges war man in dieser internationalen Aufgabe verbunden und die verstand man als Beitrag zur Versöhnung. Die internationale Kooperation war nun ein starker Impuls

für die Ökumene.

 

Wie sah das nach dem Zweiten Weltkrieg aus? In dieser internationalen Gemeinschaft gab es große Brüche …
Nach der berühmten Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh haben sich die Ökumenische Bewegung und ein Internationaler Missionsrat herausgebildet, in dem die Missionsgesellschaften über ihren Deutschen Evangelischen Missionsrat vertreten waren. Kontakte hat es durch den Zweiten Weltkrieg hindurch gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine neue Weltordnung aufgestellt. Dazu gehörten auch Veränderungen wie z. B., dass China eine moderne Nation wurde und alle Missionare ausgewiesen hat, und auch in anderen Gebieten waren ausländische Missionare unerwünscht. Aus der Missionsarbeit waren jedoch eigenständige Kirchen hervorgegangen. In der Zeit der Unabhängigkeitsbewegungen und der Nationenbildung spielten diese Kirchen oft eine wichtige Rolle. Durch die Stärkung dieser einheimischen kirchlichen Gemeinschaften und der weltweiten ökumenischen Bewegung veränderten sich die Aufgaben von Mission, z. B. durch die Partnerschaft mit den neu entstandenen Kirchen.

 

Verwerfungen gab es auch in den 1970er Jahren. Die Dritte-Welt-Bewegung diskutierte heftig, inwieweit Mission und Entwicklungshilfe miteinander vereinbar sind. Welche Implikationen hatte diese Debatte auf die Missionswerke und ganz konkret auf das EMW?
Die Dritte-Welt-Bewegung war eine Bewegung, die stark von Kirchen mitgetragen wurde. Viele Engagierte in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit waren intensiv mit diesen Fragen beschäftigt, gerade wegen ihrer Beziehungen zu Kirchen in der sogenannten Dritten Welt. Die These der kirchlichen Dritten-Welt-Bewegung, war, dass das damalige Entwicklungsverständnis viel zu technologisch und ökonomisch orientiert war, und daher Entwicklungshilfe zu kurz griff. Stattdessen ging es auch um Gerechtigkeit, Kooperation, Frieden und Versöhnung – gerade auch nach den Unabhängigkeitskriegen. Oder dass die kritische Aufarbeitung des früheren kolonialen Rahmens von Mission Teil der Entwicklungsdebatten wurde. Die kirchliche Entwicklungsbewegung hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich das Entwicklungsverständnis hin zu einem ganzheitlichen entwickelte, das auch Fragen von Gerechtigkeit, von kultureller und religiöser Entwicklung, von Frieden und Versöhnung, interreligiösem Dialog und Ökologie umfasst. Das prägt das Entwicklungsverständnis, was die Missionswerke heute mit ihren Partnern teilen. Ich sehe nicht, wie man das auseinanderdividieren kann, ganz im Gegenteil, es sind doch weitgehend geteilte Grundlagen für eine Entwicklungszusammenarbeit, die heute auch viel stärker religiöse Gemeinschaften einbezieht.

 

Was verstehen Sie heute unter postkolonialem Arbeiten?
Darunter kann man zunächst historisch das Arbeiten in der Zeit nach den Kolonialreichen verstehen. Das beinhaltet zurückzublicken: Was waren die Anfänge der Mission? Wie ist mit der Kritik, dass es sich dabei um eine Unterdrückung bzw. Ausbeutung gehandelt habe, umzugehen? Welche Machtverhältnisse herrschten? Welche Kulturverständnisse gab es? Die Missionswerke und Kirchen, die wir vertreten, haben sich schon früh an die Aufarbeitung dieser Geschichte gemacht. Dazu gibt es viele Studien und die Diskussion darüber ist integraler Bestandteil unserer Partnerschaften. Das führt zu einem zweiten Verständnis von postkolonial – nämlich als eine Diskursform. Es gibt doch weiterhin imperiale und ökonomische Abhängigkeitsstrukturen. Religionen spielen weltweit eine große Rolle. Damit müssen sich Kirchen in allen Ländern auseinandersetzen. Was sind die wahren Machtverhältnisse in der Welt? Wo sind heute noch Unterschiede zwischen Kulturen leitend, z. B. in der Form von Rassismus? Welche Machtabhängigkeiten gibt es in kirchlichen Beziehungen und worauf beruhen diese? Und was bedeutet das für Mission? Das sind einige Fragen der postkolonialen Diskurse.

 

Wie in vielen Arbeitsbereichen bahnt sich bei der Mission ein Generationswechsel an. Was macht diesen aus? Wie unterscheiden sich die Generationen voneinander?
Viele Kirchen – nicht nur im Norden, sondern auch im Süden – machen die Erfahrung, dass die Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation schwierig ist. Während z. B. früher Missionare die Experten für Nachrichten aus der weiten Welt waren, kann heute jeder Mensch mit jedem Menschen kommunizieren. Und gerade die jüngere Generation nutzt das und hat viel mehr Möglichkeiten, selbst die Erfahrung zu machen, in einer fremden Kultur zu leben. Viele dieser engagierten jungen Erwachsenen gründen eher eigene Netzwerke, als sich bestehenden Organisationen anzuschließen. Der Wille, sich in Organisationen einbinden zu lassen, hat offensichtlich nachgelassen, aber das gilt nicht nur für Kirchen oder Missionswerke. Der Generationswechsel kommt mit solchen qualitativen Veränderungen, die große Herausforderungen darstellen. Mit ihm verändert sich auch das Bild von Mission. So stellt die kommende Generation kritische Fragen für ihre Zukunft, auch der älteren Generation: „Was habt ihr gemacht? Wo steht ihr? Was für eine Welt hinterlasst ihr uns?“ Das sind Fragen, die in den missionarischen und ökumenischen Netzwerken eine große Rolle spielen.

 

Sprechen wir über die Zukunft von Mission. Wird es Mission im klassischen Sinn weitergeben?
Ja, in dem Sinne, wie ich es hier skizziert habe. Viele Menschen assoziieren mit Mission ja gerade, was sie nicht ist. Um einmal dagegenzuhalten: Identifiziert die Gesellschaft die Frage nach ihrer eigenen kolonialen Vergangenheit nicht einfach mit Mission? Was ist mit politischen und gesellschaftlichen Debatten darüber, dass Deutschland der Nachfolgestaat einer kolonialen Nation ist? Haben wir eine klare politische Haltung dazu? Merken wir nicht als Gesellschaft, dass wir z. B. mit der Restitutionsdebatte von einem Teil unserer Vergangenheit eingeholt werden, die wir für einige Jahrzehnte meinten vergessen zu können? In der Mission und Ökumene sind diese Fragen durch die Zusammenarbeit mit Menschen in den Ländern, die von dieser Geschichte geprägt sind, immer lebendig geblieben. Mission kann ein gutes Beispiel dafür sein, wie man koloniale Vergangenheit aufarbeiten kann, wenn man ehrlich miteinander ist und sich kritische Rückfragen nicht erspart. Mission heute ist ein Angebot aus dem Glauben heraus, Dinge in den Dialog zu bringen und auch andere Gesichtspunkte stark zu machen als die, die in politischen Debatten eine Rolle spielen. Dabei lassen wir uns von der Vision von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung inspirieren, wobei der Dialog mit Menschen anderen Glaubens eine wichtige Rolle einnimmt. Und: Brauchen wir in Zeiten, in denen Religionen in den gesellschaftlichen und politischen Arenen eine solch wichtige Rolle spielen, nicht mehr religiöse Expertise? Daher würde ich sogar sagen, dass die transnationalen Netzwerke von Kirchen- und Missionsorganisationen in einer

globalisierten Gesellschaft umso wichtiger geworden sind.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interwiev ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.


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