Der Erste Weltkrieg – durch die moderne Technik ein Krieg der fernen und verzerrten Wahrnehmungen, des Hörens und Riechens, der Luftaufnahmen, Gasmasken und Schützengrabenfernwinkelrohre – füllt die Zerstörung der Formen auf brutale Weise mit Leben. Was aber auch heißt: Selbst das Grausamste passt noch in die Form eines Gedichts. August Stramm, der mit 41 Jahren 1915 in Russland fallen sollte, schickte von November 1914 an seine Gedichte an die expressionistische Zeitschrift „Der Sturm“: „Die Erde blutet unterm Helmkopf / Sterne fallen / Der Weltraum tastet. / Schauder brausen / Wirbeln / Einsamkeiten. / Nebel / Weinen / Ferne / Deinen Blick.“ Wilfred Owen, der eine Woche vor Kriegsende getötet werden wird, verfasste 1917 das bekannteste englische Kriegsgedicht, „Dulce et Decorum est“: „Gas! GAS! Quick, boys! – – An ecstasy of fumbling, / Fitting the clumsy helmets just in time; / But someone still was yelling out and stumbling / And floundering like a man in fire or lime. – – / Dim, through the misty panes and thick green light / As under a green sea, I saw him drowning.“ („Gas! GAS! Schnell, Jungs! – eine ekstatische Fummelei, / Um die plumpen Helme rechtzeitig aufzusetzen. / Aber jemand schrie da noch und taumelte / Und zappelte wie ein von Feuer oder Ätzkalk Verbrannter. / Undeutlich, durch die beschlagene Scheibe und trübes grünes Licht / Wie in einem grünen Meer, sah ich ihn ertrinken.“)
Die Ästhetik der Moderne ist eine Gratwanderung zwischen Kunstautonomie und Propagandakunst, Sprachkrieg und Kriegssprache, Provokation und Terror. Im Ersten Weltkrieg und durch die von ihm ausgelösten Revolutionen und Umwertungen aller tradierten Systeme und Werte wird deutlich, dass es keine Kunst geben kann, die in einem doppelten Sinn rein ästhetisch ist: unschuldig und unabhängig. Marinettis futuristische Partei wurde 1919 Teil von Benito Mussolinis faschistischer. Ernst Jünger, der 1920 seine bearbeiteten Weltkriegstagebücher unter dem Titel „In Stahlgewittern“ veröffentlichte, schloss sich der rechts stehenden Reichswehr an und begeisterte sich zugleich für die Dada-Kunst von Kurt Schwitters. 1929 wird er in dem Gedankensplitter-Buch „Das abenteuerliche Herz“ seine Idee von Literatur beschreiben: „Wer zu lesen versteht, wittert aus mancher Seite Prosa, daß sie in der Handschrift einem von weggemähten Worten bedeckten Schlachtfelde geglichen haben muß. Gedruckt erinnert sie an eine von Schüssen durchsiebte Scheibe, die man so überklebt hat, dass uns die Treffer, die ins Zentrum schlugen, noch sichtbar sind“.
Der Erste Weltkrieg allerdings wurde während seiner Dauer immer weniger künstlerisch gestaltbar. Er war in einem bis dahin nicht vorstellbaren Maß grausam und lang, brachte für viele Schriftsteller den Tod und war doch, wenn sie nicht an der Front eingeteilt waren, sondern oft monatelang in der Stellung warteten, auch langweilig und literarisch trivial. 1917 verteidigte sich Kafka in einem Streit mit seinem Vater, „das Abnormale sei nicht das schlechteste, denn normal sei z. B. der Weltkrieg“. – Robert Musil schrieb im Sommer 1915 vielleicht den abgründigsten Satz dieses so unmenschlich alltäglichen Krieges in sein Tagebuch: „Ende Juli. Eine Fliege stirbt: Weltkrieg.“
1936 deutete Walter Benjamin den Ersten Weltkrieg als das geschichtliche Ereignis, das dem Erzählen zunächst ein Ende gesetzt hatte: „Hatte man nicht bei Kriegsende bemerkt, dass die Leute verstummt aus dem Felde kamen? nicht reicher – ärmer an mitteilbarer Erfahrung. Eine Generation, die noch mit Pferdebahnen zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken und unter ihnen, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige, gebrechliche Menschenkörper.“