Butter statt Kanonen

Der deutsche Film im Ersten Weltkrieg

Erst die Berichte über die Erfolge der feindlichen Filmpropaganda führen dazu, dass die militärische Führung ihre Haltung zum Kino änderte. Am 30. Januar 1917 wurde das finanziell gut ausgestattete Bild- und Filmamt (Bufa) gegründet, das die „amtlich militärische Berichterstattung“ im In- und Ausland, die Einrichtung von Feldkinos, Entsendung von Kameraleuten, Zuteilung von Filmmaterial und die Zensur koordinieren sollte. Beabsichtigt wurde damit eine Verbesserung der psychologischen Kriegsführung und eine positivere Außendarstellung Deutschlands. Unter dem Titel „Die Mobilmachung des Bildes“ resümierte die Vossische Zeitung am 28. April 1917 diese Entwicklung: „Man hat in Deutschland lange geglaubt, diesen Krieg allein mit der Stärke des Schwertes und der Reinheit der Sache entscheiden zu können. Erst ganz allmählich setzte sich die Einsicht durch, daß in diesem Kampf auf Leben und Tod alle Waffen, auch die geistigen und moralischen, gebraucht werden müssen, und erst nach zwei Kriegsjahren begannen die ersten amtlichen Versuche, die wichtigsten dieser Waffen, Bild und Film, in den Kreis der Kriegsführung zu ziehen.“

 

Die Frage nach der Massenwirksamkeit von Filmpropaganda beschäftigte nicht nur die Mitarbeiter des Bufa. In der Fachzeitung „Der Film“ vom 29. Dezember 1917 stellte ein Kritiker fest, dass ein erfolgreicher Propagandafilm einem „Wolf im Schafskleide“ gleichen müsse; das Publikum müsse emotional gepackt werden und dürfe die Propagandaabsichten nicht erkennen. Statt nicht-fiktionaler Filme seien deshalb „Tendenzdramen“ vonnöten. Ähnliche Überlegungen stellte auch das Bufa selbst an: Eine geheime Denkschrift mit dem Titel „Der Propagandafilm und seine Bedingungen, Ziele und Wege“ forderte im Oktober 1917, dass Propagandafilme besonders „latente Instinkte“ und solche „günstigen Momente“ ansprechen müssten, die „noch im Unterbewußtsein der Zuschauer schlummern“.

 

Das Bufa erreichte seine Ziele nicht, weil zwischen den psychologischen Erkenntnissen seiner Mitarbeiter und den technisch-ästhetischen Möglichkeiten der Umsetzung zu große Widersprüche klafften. Zumindest in den größeren Städten, in denen das Publikum zwischen verschiedenen Programmen wählen konnte, erwiesen sich die großenteils nicht-fiktionalen militärischen Filme als ausgesprochen unattraktiv. Da das Bufa nicht selbst über Kinos verfügte, verschwanden seine Filme recht bald aus dem Programm. In einer Zeit, in der der Krieg und seine Folgen auch das Leben der Zivilbevölkerung unmittelbar beherrschten, wollte man im Kino lieber über Lubitsch lachen, als sich belehren zu lassen.

 

Angesichts der mangelnden Popularität der Bufa-Filme einerseits und der weiter steigenden Unzufriedenheit mit der militärischen Lage und Lebensmittelknappheit an der Front wie in Deutschland andererseits gingen Staat und Militär einen Schritt weiter: Am 18. Dezember 1917 wurde die Universum-Film AG (Ufa) gegründet und mit erheblichem Kapital ausgestattet, ohne dass die Öffentlichkeit vom militärischen und regierungsamtlichen Hintergrund der Angelegenheit erfuhr. Die Ufa kaufte Produktions-, Verleih- und Kinobetriebe auf und schuf so den ersten vertikal in allen Bereichen der Filmwirtschaft aktiven, kommerziell ausgerichteten Konzern.

 

Was die zur Ufa gehörenden Firmen 1918 und die dort angestellten Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler produzierten, passte allerdings kaum ins Kalkül des Militärs: Die Spielfilme waren allenfalls als abendliche Ablenkung vom Kriegsalltag und als Narkotikum mit zeitlich begrenzter Wirkung geeignet.

 

Die Leitung der Ufa zielte 1917/18 auf die Etablierung ihres Unternehmens auf dem umkämpften Unterhaltungsmarkt und war damit ihrer Zeit voraus. In der Vorstellung ihrer Finanziers sollte die Ufa als Botschafterin der deutschen Kultur das Ausland beeindrucken, ohne ihre Regierungsnähe erkennen zu lassen. Vor Kriegsende verschlang der riesige Konzern aber nur Unmengen von Geld. Wie im Fall des Bufa wurden die propagandistischen Aktivitäten der Ufa und mit ihr die Aktivitäten der staatlich gelenkten deutschen Filmpropaganda insgesamt von zeitgenössischen Beobachtern meist als Misserfolg gewertet. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die Ufa 1917/18 zugleich das Fundament für eine Zukunft des deutschen Filmschaffens nach dem Krieg legte, deren prominentester Vertreter Ernst Lubitsch wurde. Die Ufa-Filme wurden zum Aushängeschild der weltoffenen Weimarer Kultur und Lubitschs Filme bildeten die Vorhut. Den gesellschaftlichen Außenseitern und ihrer Sehnsucht nach Teilhabe gehörte seine Sympathie, die alten Autoritäten holte er vom Sockel und machte rebellische Frauen zu Stars.

Philipp Stiasny
Philipp Stiasny ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Filmmuseum Potsdam und an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
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