Wie gestalten wir die Vergangenheit heute?

Denkmäler als Orte der Teilhabe und Macht

 

Warum es möglich war, dass diese Symbole Jahrzehnte überdauerten, ist eine Frage, die der bitteren Geschichte von anhaltender Kontrolle, Unterwerfung und gezielter Manipulation Rechnung trägt, die in den normativen Modi der öffentlichen Geschichte, Kunst und des Städtebaus verankert sind.

 

Obwohl sich dieser Moment erdbebengleich anfühlt, lassen sich die Erschütterungen dieser Denkmalsstürze mindestens ein Jahrzehnt, wenn nicht noch weiter, zu den vielen lokalen Aktionen wie „Take ’Em Down“ in den USA und der #RhodesMustFall-Kampagne in Südafrika zurückverfolgen. Wir müssen uns ins Gedächtnis rufen, dass die Denkmaldebatte nicht neu ist. Jedes Mal, wenn man eine Schlagzeile liest, die einen Denkmalssturz verkündet, gehen ihr Jahre der Organisation, der Träume und des Widerstands von Aktivistinnen und Künstlern voraus, die oft nicht genügend gewürdigt und nur lückenhaft dokumentiert werden. Erinnerungsarbeiterinnen und -arbeiter haben über Ländergrenzen hinweg die Aufmerksamkeit auf die beschämenden Verbindungen zwischen Symbolen und Systemen gelenkt.

 

Früher dachte man, Denkmäler seien dauerhaft, universal, unberührbar und über uns erhaben. Statuen wirkten zeitlos, trotz der Tatsache, dass sie errichtet werden, fallen und sich über die Jahre hinweg verändern. Als Machtsymbole stehen sie oft stellvertretend für die Geschichte und verdrängen komplexere Narrative, unversöhnliches Streben und hintergründige Ansprüche auf Landschaften. In Wirklichkeit ist kein Monument von Dauer – es bedarf der Pflege und einer bestimmten Gesinnung für den Erhalt.

 

Die alte Sicht auf Denkmäler wurde von einer aufstrebenden Generation von Künstlerinnen und Aktivisten umgekrempelt. Sie unterliefen die obligatorische Ehrerbietung und verstanden Monumente als Orte des Kampfes. Für sie ist die Geschichte nicht unverrückbar, sondern formbar, kollektiv und nicht festgeschrieben. Eine freiere Welt, von der wir wissen, dass sie möglich ist, ist nicht mehr aufzuhalten. Es hat keinen Zweck, an Denkmälern festzuhalten, die auf einen Status quo zurückblicken, der den strukturellen Rassismus bestärkt.

 

Während eines Großteils des letzten Jahrzehnts hat Monument Lab eine forschende und vermittelnde Rolle gespielt. Wir kultivieren und ermöglichen einen kritischen Diskurs über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Denkmälern zwischen Künstlerinnen, Aktivisten, Studierenden sowie Kommunalverwaltungen und Landesregierungen, Museen und Kultureinrichtungen. Durch Ausstellungen und öffentliche Projekte haben wir Hunderttausende Menschen persönlich und Millionen Menschen online dazu angeregt, Denkmäler von heute neu zu denken.

 

Monument Lab ist ein sozial engagiertes Kunstprojekt in Form eines Bürger-ateliers, das gemeinschaftliche Ansätze zur Wiederentdeckung und Neuinterpretation der Geschichte erprobt. Das Leitmotiv besteht darin, das Erbe der Vergangenheit zu hinterfragen – die Geschichten, die auf ewig Bestand zu haben scheinen, aber tatsächlich nicht festgeschrieben sind. Dadurch werden neue Narrative zutage gefördert, die vergessen, ignoriert oder unterdrückt wurden.

 

Als Mitbegründer wurde ich von meiner jahrelangen Forschung in Deutschland inspiriert. Über die Jahre hat mich der von künstlerischer und historischer Forschung angeregte Dialog mit Kolleginnen und Kollegin in Deutschland und darüber hinaus inspiriert. Das ist einer der Gründe, warum sich Monument Lab über die Partnerschaft mit dem Goethe-Institut und der Bundeszentrale für politische Bildung im Projekt „Gestaltung der Vergangenheit“ freut, einem Projekt, das für den länderübergreifenden Austausch, die Zusammenarbeit und den Dialog zwischen Künstlerinnen und Aktivisten steht, die neue Wege in der Erinnerungskultur gehen wollen.

 

Mit einer Reihe engagierter Ausstellungen, Programme und Publikationen zeigt „Gestaltung der Vergangenheit“ innovative Modelle auf, mit denen wir im öffentlichen Raum der Vergangenheit gedenken und die Demokratie stärken können. Das Projekt stellt die Arbeit der Stipendiatinnen und Stipendiaten des Monument Lab vor, einer Gruppe unabhängiger Erinnerungsarbeiterinnen und -arbeiter aus ganz Nordamerika und Deutschland , die andauerndes Unrecht im Denkmalbau thematisieren und neue kreative Ansätze an die Kunst im öffentlichen Raum und die Geschichte in ihren eigenen Städten herantragen.

 

In diesem Sommer, der von Aufarbeitung und Reflexion geprägt war, haben wir am Monument Lab versucht, aus den jüngsten Schlüsselereignissen der Erinnerungskultur zu lernen und gleichzeitig Kraft und eine klare Vision aus unserer jahrelangen Arbeit zu gewinnen.

 

Nichts in der Kunst im öffentlichen Raum ist von Dauer, und es gibt keine neutralen öffentlichen Orte. Stattdessen können wir gemeinsam daran arbeiten, Symbole und Rechtssysteme miteinander zu verbinden, um unsere Geschichte umfassender aufzuarbeiten und gleichzeitig die nächste Generation von Monumenten aus der Taufe zu heben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

 


 

Mehr unter: monumentlab.com

 

GESTALTUNG DER   VERGANGENHEIT
Im Sommer 2019 lud das Goethe-Institut eine Gruppe nordamerikanischer Künstlerinnen und Aktivisten zu einer Recherchereise nach Berlin ein, um erinnerungskulturellen Fragen im öffentlichen Raum nachzuspüren und mit lokalen Akteuren zu diskutieren.
Aus diesen Begegnungen entstand in Kooperation mit dem Künstlerkollektiv Monument Lab Philadelphia und der Bundeszentrale für politische Bildung das Projekt „Gestaltung der Vergangenheit“, das aktuelle Diskurse im Umgang mit Denkmälern und Vergangenheitsnarrativen beleuchtet. Am 8.-9. Oktober diskutieren führende Stimmen Erinnerungskultur im globalen Kontext unter goethe.de/shapingthepast

Paul M. Farber
Paul M. Farber ist künstlerischer Leiter und Mitbegründer des Monument Lab.
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