Heimatschmuck und Bildersturz

Zur Kitschwerdung des Denkmals

Zu einem gewissen Zeitpunkt der Geschichte wird das Denkmal zum Kitsch“, diagnostiziert Gillo Dorfles 1968 und sieht darin ein untrügliches Zeichen für den ästhetischen und ethischen Verfall der modernen Gesellschaft. Der „Kitschmensch“, wie ihn Hermann Broch wenige Jahre zuvor beschrieben hatte, ist ein Konsument des schlechten Geschmacks, zu wahrem Kunstgenuss nicht in der Lage. Archetypus: Adolf Hitler.

 

Werke des Kitschs zeichnen sich dadurch aus, dass sie über simple Schlüsselreize oberflächliche Emotionen auslösen wollen. Es kann sich bei ihnen um (Alltags-)Gegenstände handeln, denen ein unangemessener ritueller Wert beigemessen wird, oder auch um Werke der Hochkunst, die reproduziert und in unpassende Medien und Kontexte übertragen werden, deren Größe verändert wird oder die verniedlicht werden. Kitsch bedeutet Popularisierung: Elitäre Hochkunst wird zum Konsumgut, das sich Jedermann und Jedefrau emotional und habituell aneignen kann. Kitsch ist offen für Ironisierungen, für Formen des spielerischen Gebrauchs und des Humors. Das Denkmal ist es gemeinhin nicht. Der Idee nach verbindet es den Genius einer Person mit dem Ort ihrer Geburt oder ihres Wirkens, um ein kollektives Gedächtnis zu prägen. Es ist monumental, dominiert Plätze des öffentlichen Lebens und verlangt von all jenen, die es betrachten, Ehrfurcht und Respekt. Pathos und Geschichtsbezug sollen nationale oder religiöse Gruppenidentitäten bestätigen. Wie kann es also geschehen, dass etwas derart Heroisches und Feierliches kitschig und infolgedessen sogar komisch wirken kann?

 

Aufschlussreich ist die offene Verhöhnung der wilhelminischen „Denkmälerflut“, nach Monika Arndt 1984 um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Kunst- und Gesellschaftskritik fließen zusammen, wenn Beliebigkeit, Phrasenhaftigkeit und Geschmacklosigkeit der neuen Statuen angeprangert werden, die Berlins Straßen und Plätze bevölkerten. Mit scharfem Witz werden diese Vorgänge in einer Sondernummer des SPD-Parteiorgans „Vorwärts“, 1904, unter dem Titel „Hau-mich-aus! Zentralorgan für Denkmalweihen und Heimatschmuck“ kommentiert. Die Karikatur auf dem Cover stellt ein „Universal-Denkmal“ vor, dem dreimal täglich der Kopf ausgewechselt werden kann. Aberwitzige Größendimensionen, eine extreme Untersicht und stark affektierte Gesten betonen die Lächerlichkeit der Statue, der gerade der Kopf des Herzogs von Arenberg, einem Freund Wilhelms II., aufgesetzt wird. Die Schriftzüge des Titels sind aus verrenkten Beinen zusammengesetzt, eine Anspielung auf die oft artifiziellen Standmotive der Denkmäler, die immer wieder Anlass für Spott boten. Im Hintergrund betätigt ein eifriger Redner unermüdlich eine Drehorgel, auf dessen Deckel der Reichsadler mit geschwellter Brust thront, während Assistenten die Köpfe weiterer Vertrauter des Kaisers vorbeitragen. Unverkennbar parodiert das Blatt die heroische, aber einfallslose Formsprache der öffentlichen Monumente, und zugleich macht die Karikatur den Patriotismus und forcierten Personenkult des jungen Kaiserreichs lächerlich. Dies findet im Inneren der kleinen Festzeitung Fortsetzung, wenn etwa in einem „Denkmals-Markt“ Tauschgesuche – Schiller gegen Wilhelm den Großen – oder Denkmal-Leih-angebote – für den Fürstenbesuch – inseriert werden.

 

Kitsch und „abgeschmackte Theatralität“ der neuen „Wadenhelden“ prangerte bereits zwei Jahre zuvor ein Spottgedicht im „Simplicissimus“ an, in dem sich „die Kunst“ von den Erzeugnissen der Berliner Bildhauer abzugrenzen sucht. Offenbar hatte sich die Affizierungsleistung des Denkmals überlebt. Alles Heroische war infolge der Überproduktion und formalen Eintönigkeit schal geworden, das Pathos verfing nicht mehr. Mehr denn je lösen heute die steinernen oder bronzenen Kolosse altehrwürdiger Männer im öffentlichen Raum – Frauen haben diese Art der Würdigung seltener erfahren – Befremden aus. Sie sind übergriffig, wirken kitschig und deplatziert. Damit bieten sie eine perfekte Zielscheibe für Satire und Karikatur. Die politisch gewünschte Personenverehrung heutiger Tage stellt dies vor große Probleme: Wie einer Person huldigen, ohne lächerlich zu erscheinen? Wie mit den materiellen Hinterlassenschaften vergangener Personenkulte umgehen, denen man keinen Respekt mehr zollen will?

 

Eine Antwort hält das Andenken bereit. Als miniaturisiertes und massenhaft reproduziertes Denkmal handelt es sich bei ihm um das Kitschprodukt schlechthin: Wie viele Freiheitsstatuen mag es aktuell wohl auf der Welt geben? Der Vorteil derartigen Nippes: Er ist offen für emotionale Aneignung und symbolische Wertzuschreibung. Sein Besitzer entscheidet selbst, ob es das Souvenir als Ausdruck des Respekts ausstellt, einer komisch-kritischen Kontextualisierung unterzieht oder es beim nächsten Sperrmüll entsorgt. Mit Kitsch nach allen Regeln der Kunst operiert auch der Bildhauer Ottmar Hörl. Indem er bekannte Denkmäler verkleinert, monochrom einfärbt und vervielfältigt, verkitscht und verfremdet er sie zugleich. Da die kleinen Denkmal-Armeen anlassbezogen auf- und wieder abgebaut werden, geht mit ihnen kein dauerhafter Eingriff in den öffentlichen Raum einher. Das Konzept verfängt: Ob Luther, Brecht oder Beethoven – in Jubeljahren sind die bunten Denkmäler gefragt. Sie sind lustig, ohne kritisch zu sein.

 

„Hau-mich-aus!“ propagiert hingegen eine weit weniger harmlose Umgangsweise mit dem wilhelminischen Denkmalkult, dessen Prinzip uns aktuell die Black-Lives-Matter-Bewegung wieder vor Augen führt: Im Heftinneren erblicken wir das Denkmal zu Ehren des Proletariats, das Bismarck von seinem Sockel gestürzt hat. Klassen- statt Personenkult ist das Motto dieser neuen Bildpolitik, die auch eine neue Bildpoetik fordert. Der Sockel ist zurückgenommen, anstelle von exaltierten Gesten hat der Mann seine Hände in die Taschen gesteckt. Am wichtigsten aber: die ungezwungene Beinstellung, von der Bildunterschrift als „deutsch“ ausgewiesen. Die als verkitscht wahrgenommene Formsprache ist überwunden und ein neues Pathos entsteht – das uns heute nicht minder kitschig erscheint.

 

Eine noch radikalere Lösung des Denkmalkitsch-Problems in Bezug auf die Moderne bringt wiederum Gillo Dorfles ins Spiel: „Es genügt eine Ladung Dynamit, um die dem jeweiligen Diktator errichtete Statue oder auch einen pompösen Sportpalast in die Luft zu sprengen. Deswegen hoffen und wünschen wir, daß in einer nicht allzu fernen Zukunft auch nicht ein einziges der Denkmäler unserer Epoche, die von unserem (…) schlechten Geschmack Zeugnis ablegt, stehen bleiben möge.“

 

Den von Dorfles herbeigesehnten Bildersturm hat es zu allen Zeiten gegeben. Nur handelt es sich bei ihm meist um einen politischen Akt. Der Bildersturm aus ästhetischen Motiven verdankt sich einer Verknüpfung von Ästhetik und Ethik. Kitsch und Geschmacksverirrungen erscheinen folglich als Symptome einer verrohten Gesellschaft, die, weil sie das Wahre und Schöne nicht erkennen kann, anfällig für Faschismus ist.

 

Wir heute müssen uns fragen, wie viel Denkmalkitsch wir ertragen können; aber auch, wie viel wir ertragen müssen, weil auch der Kitsch Teil unserer Erinnerungskultur ist, deren Verlust schwerer wiegt als das Missfallen einer misslungenen Pose auf einem Sockel.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Lea Hagedorn
Lea Hagedorn ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im kunsthistorischen Teilprojekt des SFB 1285 „Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“.
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