Der Maler als Volksheld

Das Rembrandt-Denkmal von Louis Royer in Amsterdam

Im 19. Jahrhundert münden alle historischen Erzählungen in die eine des Nationalismus. Dies betrifft vor allem die Geschichte des Denkmalkultes. Dürer, Rubens, Rembrandt oder Michelangelo avancieren dabei zu Garanten nationaler Identität. Nicht nur, dass kritische Kataloge ihrer Werke entstehen, Straßen und Plätze werden nach ihnen benannt, und es entstehen Denkmäler an jenen Orten, in denen sie geboren oder gewirkt haben. Denkmäler sind der prominenteste Teil dieser nationalen Erinnerungskultur. Künstler werden zu Heroen stilisiert und versprechen im 19. Jahrhundert in einer zunehmend anonymer werdenden Moderne Identität und Identifikation.

 

In besonderer Weise betrifft dies auch Rembrandt, denn als sich nach kriegerischer Auseinandersetzung im Jahre 1831 Belgien vom Königreich der Niederlande trennte, war man in den nördlichen Niederlanden auf der Suche nach einem Künstler, der es mit Rubens aufnehmen konnte, den man dem Süden und Antwerpen überlassen musste. Mit Rembrandt wurde man fündig und der mit ihm verbundene Kult verweist uns auf das goldene Zeitalter der holländischen Kultur. Der 1606 in Leiden geborene Künstler ist ein nationaler Mythos. Seiner Kunst kam für das niederländische Nationalbewusstsein eine herausragende Stellung zu, und das neu entstehende Rijksmuseum wird zu einer Art Kathedrale, die Rembrandts Schützenstück „Die Nachtwache“ wie einen Altar des Vaterlandes inszeniert. Mögen seine Werke auch zu allen Zeiten Künstler zur Nachahmung angeregt haben, hat er von nun an die Aufgabe, die holländischen Tugenden, ja den Charakter des niederländischen Volkes zu verkörpern.

 

War der Leidener in der Kunstliteratur auch schon zuvor über Vergleiche mit Peter Paul Rubens charakterisiert worden, tritt im Unterschied zum Flamen von nun an immer stärker sein volkstümlicher Charakter in Erscheinung. Und wurden in den frühen Biografien seine einfachen Umgangsformen kritisch bewertet, werden sie nun zum Ausweis seiner Rechtschaffenheit. Er redet niemandem nach dem Mund und seine realistische Kunst ist Zeichen seiner Unabhängigkeit. Rembrandt verkörpert den niederländischen Nationalcharakter, der sich durch Ehrlichkeit und Direktheit auszeichnet. So zumindest sahen es die Niederländer des 19. Jahrhunderts, als sie den flämischen Bildhauer Louis Royer beauftragten, ein Denkmal für den großen Maler zu entwerfen.

 

Das von Royer entworfene Rembrandtstandbild aus dem Jahre 1852 ist ein treffendes Beispiel für die hier skizzierte Funktion des Denkmals, nationale Identität zu stiften. Es antwortet auf das nur zwölf Jahre früher entstandene Rubensdenkmal von Willem Geefs in Antwerpen, das einen Hofmann zeigt, der im eleganten Kontrapost dasteht und souverän über den Groenplaats blickt. Zurückgeschlagener Mantel, Degen und eleganter Hut weisen Rubens als Edelmann aus, dessen Lässigkeit an einen idealen Höfling gemahnt. Wenn man demgegenüber das Rembrandtdenkmal ins Auge fasst, sticht die unterschiedliche Konzeption zu Rubens sofort hervor, sah sich Royer doch mit der Aufgabe konfrontiert, die Andersartigkeit des Holländers gegenüber dem Flamen herauszustellen. Dessen Weltgewandtheit war nur schwer zu überbieten, vielsprachig und mit den Humanisten seiner Zeit bekannt, verfasste der in Siegen geborene Rubens Texte in italienischer und lateinischer Sprache. Im Gegensatz dazu sind von Rembrandt gerade einmal sieben Briefe auf Niederländisch überliefert, die ihn als höflichen Mann, aber keinesfalls als bedeutenden Humanisten ausweisen. So wird sich Royer gefragt haben, wie ein Denkmal für Rembrandt auszusehen hat, welches es mit jenem von Geefs aufnehmen konnte.

 

Dem Bildhauer war es darum zu tun, aus Schwächen Stärken zu machen, was wir bereits bei der Wahl des Standortes beobachten können. Ursprünglich wurde der „Rembrandtplein“ als Parkplatz für Pferdefuhrwagen genutzt, später befand sich dort ein Buttermarkt. Blickt man auf diese prosaische Vorgeschichte zurück, wird schon durch die Verwendungszwecke eine gewisse Volkstümlichkeit deutlich. Dies macht auch der Umstand deutlich, dass die bereits 1852 aufgestellte Bronzeskulptur von nun an die Identität des Ortes definieren sollte, den man 1876 schließlich in „Rembrandtplein“ umbenannte. Interessant ist zudem die Beiläufigkeit, die in der Inszenierung zum Ausdruck kommt.

 

Anders als Rubens in Antwerpen steht der Künstler auf keinem hohen, sondern einem flachen Sockel, und ist auf den Platz als konkretem Ort bezogen, ohne ihn dominieren zu wollen. Die Botschaft ist eindeutig. Hier wird keine feudale Welt entworfen, die autoritärer Gesten bedarf, sondern Rembrandt ist Gleicher unter Gleichen. Der holländische Maler ist seinen Mitmenschen nahe. So zeigt ihn die Bronze-skulptur in observierender Haltung. Er beobachtet, aber er gehört auch zu uns, den Menschen auf dem Platz. Ja mehr noch, er blickt nicht abschätzig, sondern mit aufrichtigem Interesse. Sein linker Fuß ragt über die Plinthe hinaus in den Raum des Betrachters. Er wird zum Künstler des holländischen Volkes stilisiert, der Umgang mit den einfachen Leuten pflegt. Rembrandt ist kein Höfling, sondern Mitmensch, er schaut nicht von oben herab, sondern hört uns zu.

 

Royers Interesse gilt dem Beobachter Rembrandt, der sich von seiner Umgebung ein Bild zu machen versucht und dem Volk „aufs Maul schaut“. Dabei besticht die Skulptur insgesamt durch ihren bürgerlichen Patriotismus. Rembrandt blickt verständnisvoll auf „seinen“ Platz und „seine“ Amsterdamer Mitbürger. Hier findet er die Themen und Motive seiner Bilder. Er muss nur ins „volle Menschenleben“ greifen. Die Skulptur zeigt uns einen Künstler, der sein Volk darstellt, ohne es idealisieren zu wollen. Und er kann dies nur leisten, weil er ein Teil von ihm ist. Er ist nahe genug am Geschehen, um alles realistisch beurteilen zu können und doch weit genug entfernt, um seine Objektivität nicht zu verlieren.

 

Wie auch immer man die Qualität der Skulptur beurteilen will, in konzeptioneller Hinsicht weiß sie durchaus zu überzeugen. Mag Rembrandt auch nie über Leiden und Amsterdam hinausgekommen sein und mögen ihm Hofkünstlertum und diplomatische Tätigkeiten verwehrt gewesen sein, so ist dies kein Nachteil mehr. Denn aus dieser vermeintlichen Schwäche wird in der Skulptur eine Stärke, wenn sie uns einen dem Volk verbundenen Maler vorstellt. Die Niederlande bezeichnen nicht nur seine Herkunft, sondern auch den Gegenstand und das Bemühen seiner Kunst: Heimat als Bestimmung – dies ist die eigentliche Botschaft des Rembrandt-Monuments.

 

Royers Denkmal hält für den aufmerksamen Betrachter in formaler Hinsicht auch insofern eine interessante Legitimation bereit, als der Bildhauer für seine Entwurfsskizze die um 1647 entstandene Vorzeichnung Rembrandts für dessen Radierung von Jan Six nutzt. Der Leidener Künstler hat für das radierte Bildnis des späteren Amsterdamer Bürgermeisters ein elegantes Haltungsmotiv entworfen. In seiner Zeichnung fungiert der vorgestreckte Fuß als Spiel-, der weiter hinten stehende als Standbein. Royer orientiert sich an diesem Entwurf, obwohl er den Oberkörper wendet und das Spiel der Hände mit dem Mantel leicht verändert. Mit dieser formalen Übernahme und dem historisierenden Rückgriff legitimiert der Bildhauer die Gegenwart über die Vergangenheit, indem er die Form seiner Skulptur durch das Zitat quasi authentifizieren lässt. Royer bedient sich historischer Legitimation: Der Gegenwart wird Rembrandt als Vorbild empfohlen, dessen Leistung projektiv über dessen eigene Zeit in die Moderne hinausragt.

 

Die großformatige Skulptur ist ein aufschlussreiches Beispiel für die Konstruktion des Nationalen als einer Synthese von idealisierendem Wunschdenken und historischer Herleitung. Sie erzählt vom protestantischen Ernst der Niederländer, aber auch von ihrer Bürgerlichkeit und ihrem Pflichtbewusstsein. Luther und Rembrandt, Rubens und Michelangelo blicken heldenhaft in die Zukunft und vermitteln Kultur als nationales Erbe. Heute dürfen wir über den Ernst solcher nationalen Heroisierungen auch ein wenig schmunzeln, denn in solchen Denkmälern kommt nicht nur das historisch Tatsächliche, sondern auch das Selbst- und Wunschbild der neu entstehenden Staaten zum Ausdruck. Hier werden Tugenden beschworen und Ansprüche formuliert, denen sich jeder Italiener, Belgier, Niederländer und Deutscher zu stellen hat. Nationaldenkmäler erscheinen heute ambivalent. Und deshalb können wir auch entspannt mit ihnen umgehen, weil wir ihre Rhetorik längst durchschaut haben und ihr Pathos nicht mehr verfängt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Jürgen Müller
Jürgen Müller hat den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der TU Dresden inne. Seine Forschungsgebiete betreffen die Kunst der Frühen Neuzeit, den Film und die Fotografie.
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