Gesprächskanäle stärken

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Über Menschenrechte zu sprechen, bedeutet immer auch, über Geschichte zu sprechen. Es bedeutet immer auch, über richtig und falsch zu sprechen. Die Erkenntnis der Menschenrechte ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften. Allein aufgrund des Menschseins hat jeder Mensch Menschenrechte.

 

Diese Erkenntnis findet sich in der modernen Verfassungsgeschichte weltweit. Für die Entwicklung unserer Menschenrechte waren die Amerikanische und Französische Revolution maßgeblich: „All men are created equal, they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness“, heißt es bereits in der amerikanischen „Declaration of Independence“ von 1776. Dieses naturrechtliche Verständnis findet sich auch in der französischen „Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen“ von 1789, wenn es heißt: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits“. Das Revolutionäre: Menschenrechte sind nicht an Bedingungen geknüpft. Sie müssen nicht verliehen werden. Sie sind für alle gleich und unveräußerlich. Sie sind unteilbar. Deshalb fordert das deutsche Grundgesetz von 1949 auch nicht: „Die Würde des Menschen darf nicht angetastet werden“, sondern stellt fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

 

Jeder, der Menschenrechte anrührt, verletzt sie. Zu Menschenrechten kann man daher auch keine Meinung haben. Entweder man achtet sie und liegt richtig oder man verletzt sie und liegt falsch. Es gibt keine Menschenrechte light.

 

Die Unveräußerlichkeit von Menschenrechten setzt gleichzeitig deren universelle Anwendbarkeit voraus. Menschenrechte sind für die Menschen auf der ganzen Welt Wegweiser und Orientierungspunkt im Kampf um ein menschenwürdiges Leben. Sie sind aus dem Bewusstsein der Menschen nicht mehr wegzudenken. Das haben wir in 70 Jahren bereits erreicht.
Ein Bewusstsein allein für das Konzept der Menschenrechte reicht allerdings nicht aus. Denn nur wer die Menschenrechte kennt und verinnerlicht, kann diese verteidigen und weiterentwickeln. Ohne konkretes Wissen über die Kraft von Menschenrechten bleiben Menschenrechte nur eine Formel von leeren Versprechungen.

 

Eine Vorreiterrolle kommt hier den Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu, Menschenrechte zur Grundlage jeder Politik zu machen. Die jüngeren Entwicklungen machen jedoch den Einsatz für die Menschenrechte nicht gerade einfacher. China strebt mit einem Sozialkreditsystem und staatlichen Umerziehungscamps nach vollständiger Kontrolle seiner Bürger. Ein russischer Präsident verdeutlicht mit den Kriegen in Syrien und der Ukraine, dass er Menschenrechte nur als Spielwiese internationaler Machtdemonstration begreift. Wir haben in den Vereinigten Staaten mit Donald Trump einen Präsidenten, der lieber die eigene ökonomische Drohkulisse potenziert als multilateral für gemeinsame Ideale zu kämpfen.

 

In dieser Zeit der Erosion von Werten müssen wir Gesprächskanäle stärken, statt diese zu kappen. Wir brauchen mehr statt weniger Diplomatie, um internationale Konflikte nachhaltig zu lösen. Mit einem deutschen Sitz im kommenden UN-Sicherheitsrat erwächst dafür neue Verantwortung. Eine Verantwortung, die wir aus der Mitte des Deutschen Bundestages, insbesondere im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, kritisch begleiten müssen. Klar ist: Ein deutscher Sitz kann nur ein weiterer für Europa sein. Denn Europa muss gerade bei Menschenrechten mit einer Stimme sprechen und früh auf Konflikte aufmerksam machen. Wir dürfen humanitäre Krisen nicht aus den Augen verlieren, sondern müssen zur Lösung dieser beitragen. Wenn die Verlässlichkeit von internationalen Regeln und die Fähigkeit für multilaterale Lösungen infrage stehen, muss Europa bereit sein, die liberale Weltordnung zu verteidigen.

 

Es kommt auf unseren eigenen Wertekompass in Europa an, uns diesen Entwicklungen gemeinsam entgegenzustellen, sowie uns immer wieder zu vergewissern und zu hinterfragen, wie wir Menschenrechte in neue Zeiten übersetzen und an neue Herausforderungen anpassen können. Wir müssen für uns begreifen: Der Kampf für die Menschenrechte, für Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ist der Kampf von uns allen, der Kampf für universelle, europäische Werte. Ein Kampf für die Annäherung und die Anschlussfähigkeit in einer vernetzten Welt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2018.

Gyde Jensen
Gyde Jensen, MdB ist Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag.
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