Der mit dem Seziermesser

Zum 20. Todestag des iranischen Drehbuchautors und Regisseurs Sohrab Shahid Saless

 

Salessʼ zwei iranische Filme haben ihrerseits enormen Einfluss auf den prä- und postrevolutionären Film im Land: Die Darstellung gesellschaftlicher Zustände anhand „einfacher“ Sujets und das Erzählen aus der Perspektive von Kindern finden sich etwa bei Abbas Kiarostami, Amir Naderi und Jafar Panahi.

 

Mit beiden Arbeiten eckt Saless aber auch bei der Schah-Regierung an. Als er von der Berlinale heimkehrt und einen Film über ein Waisenhaus realisieren will, wird der Dreh schnell gestoppt. Saless entscheidet, wieder nach Westberlin zu reisen – diesmal als Exilant. Rupert Neudeck hilft ihm, so schreibt der Journalist und Gründer von „Cap Anamur“ einmal in einem Leserbrief, Kontakt mit einer Produktionsfirma aufzunehmen und sie von Salessʼ Talent zu überzeugen. So kann Saless drei Filme in Berlin drehen – etwa „In der Fremde“ (1975), der im „Gastarbeiter“-Milieu spielt.

 

Erfolg im Abseits

 

So „glatt“ sein Start aussieht – Saless hat es, solange er in Deutschland arbeitet, schwer, macht es seinem Umfeld aber auch nicht leicht. So fühlt er sich als linker Intellektueller vom Geheimdienst des Schahs verfolgt. Zu seiner Unzufriedenheit trägt auch bei, dass er seine Aufenthaltsgenehmigung anfangs immer wieder verlängern muss, bis sie entfristet wird. Hinzu kommen seine Beharrlichkeit und seine „schweren“ Stoffe, die für Produzenten und öffentlich-rechtliche Anstalten nicht attraktiv erscheinen, wenn man davon ausgeht, dass sie vorrangig den Massengeschmack erreichen wollen.

 

Da beeindruckt, dass es Saless trotz seiner kompromisslosen Art fertigbringt, 14 Filme in der Bundesrepublik fertigzustellen. Drei Beispiele: „Die langen Ferien der Lotte H. Eisner“ (1979), ein Interview mit der gleichnamigen Filmhistorikerin über ihre Arbeit als Filmkritikerin, ihre Flucht aus Nazi-Deutschland und das Leben als Emigrantin in Paris; „A. P. Čechov. Ein Leben“ (1981), die in Kooperation mit dem Tschechow-Experten Peter Urban entstandene, weltweit erste Dokumentation über den russischen Dichter überhaupt; „Hans – Ein Junge in Deutschland“ (1985), eine Verfilmung nach Hans Fricks Roman „Die blaue Stunde“ über den einsamen, lebensgefährlichen Alltag eines halbjüdischen Jugendlichen in Frankfurt am Main während des Zweiten Weltkrieges.

 

Viele von Salessʼ Arbeiten werden prämiert. Seine Verfilmung von Thomas Valentins Roman „Grabbes letzter Sommer“ (1980) über den Vormärz-Dichter erhält 1981 den Grimme-Preis in Gold für das beste Drehbuch, den besten männlichen Schauspieler und die beste Regie. Saless wird zusätzlich mit dem Sonderpreis des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen geehrt. 1984 wird er zudem in die Akademie der Künste in Westberlin, Sektion Film- und Medienkunst aufgenommen.

 

Doch der Quotendruck bei den Öffentlich-Rechtlichen und das Aufkommen privater Fernsehsender engen Salessʼ Möglichkeiten ein. So zieht er 1984 in die ČSSR, wo er bereits zwei ARD-Filme realisiert hat, heiratet und macht für das slowakische Fernsehen einen Dokumentarfilm über Kinder im sowjetisch dominierten Afghanistan. „List z Kábul“, zu Deutsch „Ein Brief aus Kabul“, wird jedoch zensiert und daraufhin von Saless zurückgezogen. Er erkrankt in dieser Zeit an Krebs und muss die Regie für die ZDF-Verfilmung von Ludwig Felsʼ Roman „Ein Unding der Liebe“ an einen anderen abgeben.

 

1991 kehrt Saless in das wiedervereinigte Deutschland zurück und dreht einen letzten Film: „Rosen für Afrika“. Weitere Projekte kommen nicht voran, was teils an der veränderten Fernsehlandschaft, teils an Salessʼ kompromissloser Haltung liegt. Für ihn, für den die Filmarbeit das Leben bedeutet, hat das besonders extreme Folgen: Alkoholprobleme, Existenzsorgen und die nach wie vor bestehende Angst vor Verfolgung wirken sich auf seine ohnehin fragile Konstitution aus.

 

Als Saless 1994 mit dem Großen Preis der Stiftung des Verlags der Autoren für sein „Gesamtwerk“ geehrt wird, scheint seine Zeit in Deutschland vorbei. Er emigriert in die USA. Die Hoffnung, in Kalifornien Filme zu machen, erfüllt sich indes nicht. 1997 bleibt er nach einer Werkschau in Chicago wohnen und stirbt ein Jahr später mit nur 54 Jahren in seinem Appartement. Allein.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 4/18 erschienen.

Behrang Samsami
Behrang Samsami ist promovierter Germanist, freier Journalist und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag. Gemeinsam mit Bert Schmidt, dem langjährigen Regieassistenten von Sohrab Shahid Saless, arbeitet er an einem Buch über das Leben und Werk des Filmemachers.
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