Arbeiten am Theater kann vieles sein: Passion und Aufopferung, aber auch Beständigkeit und Sicherheit. Wie sich die dauerhaft Beschäftigten an ausgewählten deutschen Stadttheatern mit ihren Arbeitsbedingungen zurechtfinden, ob sie Diskriminierung erleben und inwieweit dieser Arbeitsplatz für sie mehr als nur Broterwerb darstellt, hat die vergleichende Untersuchung „Passion als Beruf“ unter Leitung von Annette Zimmer, Politikwissenschaftlerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, erforscht.
Einblicke in die Arbeitswelt deutscher Theaterschaffender liefert eine Vollerhebung mittels Fragebogen, der von 826 Mitarbeitenden der Theater Dortmund, Görlitz-Zittau, Halle, Krefeld Mönchengladbach, Münster und Rostock beantwortet wurde. Die Auswertung liefert fundierte Erkenntnisse zu vorherrschenden Arbeitsbedingungen wie Einkommen oder Wochenarbeitszeit, beleuchtet aber auch die emotionalen Bindungen zum jeweiligen Theater und dem Beruf. Dabei stehen die Beschäftigten in einem Spannungsfeld zwischen der organisatorischen Einbindung der Stadttheater in die Kommunen – zum Teil direkt in die kommunale Verwaltung eingegliedert wie in Dortmund und Münster –, deren Finanzierungswillen sowie dem Verlangen nach künstlerisch-ästhetischer Entfaltung und Freiheit. Die folgenden Ergebnisse sind lediglich ein kleiner Teil der generierten Erkenntnisse des Forschungsprojekts, das im Rahmen des DFG-Forschungsverbundes „Krisengefüge der Künste“ unter Leitung von Christopher Balme, Theaterwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, durchgeführt wurde. Detailliertere Ergebnisse der Befragung sowie weitere Analysen kommunaler wie länderspezifischer Kontextfaktoren geben weiterführende Einblicke in institutionelle, politische und arbeitswissenschaftliche Herausforderungen deutscher Stadttheater.
Die Ergebnisse der Befragung „Passion als Beruf?“ verdeutlichen, dass die Mitarbeitenden von Stadttheatern, gemessen an Einkommen und Arbeitsbelastung, keineswegs zur Elite der Kreativwirtschaft gehören. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und in Anbetracht des hohen Ausbildungsniveaus sind die Verdienste an Stadttheatern niedrig und die Arbeitsbedingungen zumindest zum Teil prekär. So geben in den untersuchten Stadttheatern 53 Prozent der dauerhaft Beschäftigten an, ein monatliches Nettoeinkommen von unter 2.000 Euro zu generieren. Trotz dessen liegt der Anteil derer, die einer Teilzeitbeschäftigung mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von bis zu 30 Wochenstunden nachgehen, lediglich bei 14 Prozent. Als Sparte, die unter besonders prekären Arbeitsbedingungen zu leiden hat, kann die Gruppe der Tänzerinnen und Tänzer ausgemacht werden. In dieser gibt nur ein Viertel an, mehr als 2.000 Euro im Monat zu verdienen. Als Kontrast hierzu treten in der Befragung die Orchestermusikerinnen und -musiker hervor, welche durch starke Tarifverträge überdurchschnittlich häufig hohe Gehälter beziehen und durch eine Entfristung ihrer Verträge lange Beschäftigungsdauern aufweisen. Obgleich Tänzerinnen und Schauspieler zumeist eine vergleichsweise kurze Beschäftigungsdauer angeben, ist diese insgesamt an den Stadttheatern im Durchschnitt entgegen den Erwartungen recht hoch. Spartenübergreifend gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, mindestens zehn Jahre am entsprechenden Theater beschäftigt zu sein. Dieses Ergebnis verdeutlicht eine Abkehr vom Sinnbild der Theaterschaffenden als „fahrendem Volk“. Es impliziert darüber hinaus eine enge Verbundenheit zur Tätigkeit und zum Haus.
Dieser Eindruck verfestigt sich mit Blick auf die empfundene Identifikation mit dem Arbeitsplatz. Trotz der steigenden Konkurrenz durch die stetig wachsende Freie Szene schätzen die Beschäftigten ihre Tätigkeit und ihr Arbeitsumfeld am Stadttheater. Arbeiten am Theater ist „Passion als Beruf“. Fast jeder Dritte (28%) ist mit der Arbeit am Theater sehr zufrieden und fast jeder Zweite (49%) eher zufrieden. Hierbei werden die Sinnhaftigkeit der Theaterarbeit und der eigene Beitrag für das Theater sowie die Beteiligung an künstlerischen Produktionen ganz besonders hervorgehoben. Die Identifikation der Beschäftigten – künstlerisches wie nichtkünstlerisches Personal – mit ihrer Arbeit ist sehr ausgeprägt. 38 Prozent der Befragten identifizieren sich in sehr hohem Maße und 47 Prozent in hohem Maße mit der Arbeit an ihrem Stadttheater. Aus Sicht der Beschäftigten zeichnet sich die Arbeit am Theater also vor allem auch durch den persönlichen Bezug zur Arbeitsstelle und der Tätigkeit aus.
Theater sind hinsichtlich ihrer Personalstruktur stark gegenderte Organisationen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, z. B. Verwaltungs-/Spartendirektorin, waren im Untersuchungszeitraum kaum Frauen auf der Leitungsebene der untersuchten Theater (Intendanz, Geschäftsführung, Spartenleitung) vertreten. Demgegenüber dominierten sie im administrativen Bereich sowie bei den Vermittlungstätigkeiten, z. B. Theaterpädagogik. Werkstätten und insbesondere die technischen Bereiche, z. B. Beleuchtung, Ton sind überwiegend männlich geprägt. Der Gender-Pay-Gap ist auch am Theater deutlich sichtbar. Zum Teil liegt dies daran, dass Frauen dort eher in flexiblen Arbeitsverhältnissen wie Teilzeit tätig sind. Doch auch bei gleicher Arbeitszeit und Tätigkeit verdienen Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger. Ferner zeigt sich, dass Frauen im künstlerischen Bereich trotz geringerer Einkommen als ihre Kollegen ein höheres Arbeitspensum, gemessen an der Arbeitszeit, absolvieren. Hinzu kommt, dass die Hausarbeit und die Betreuung der Kinder auch bei den Theaterschaffenden eher Sache der Frauen ist. So geben in unserer Befragung knapp ein Drittel der Männer an, dass der Partner oder die Partnerin hauptsächlich die Kinderbetreuung übernehme, während dies bei nur drei Prozent der Mitarbeiterinnen der Fall ist. Angesichts der starken Belastung fühlen sich Frauen am Theater häufiger als ihre männlichen Kollegen diskriminiert sowie benachteiligt. Im Besonderen trifft dies für den künstlerischen Bereich zu. Theater sind daher noch weit davon entfernt, gendergerechte Organisationen zu sein. Dies zeigt sich nicht nur an der Besetzung von Leitungspositionen im künstlerischen Bereich, sondern ebenfalls an den eingeschränkten Karrieremöglichkeiten und Aufstiegschancen von Frauen am Theater. Abseits dieser geschlechtsspezifischen Differenzen ist das Ausmaß an erlebter Diskriminierung und Belästigung insgesamt als vergleichsweise gering zu beschreiben. So geben zwar 8 Prozent der Beschäftigten an, bereits Opfer sexueller Belästigung geworden zu sein, doch fällt dieser Wert weitaus geringer aus als andere Untersuchungen aus dem Theaterbereich es nahelegen.
Insgesamt hat die Untersuchung gezeigt, dass deutsche Stadttheater in der Wahrnehmung ihrer Beschäftigten einen von Internationalität und Teamgeist geprägten Arbeitsplatz darstellen. Die Mitarbeitenden sind stolz auf ihre Arbeit und deren Einfluss auf die Gesellschaft, heben aber gleichzeitig prekäre Vergütungssysteme sowie starke Konflikte hervor. Es wird deutlich, dass die Institution Stadttheater zwar einerseits gefestigte Strukturen wie lange Beschäftigungsdauern schafft, die Einkommenssituation im Vergleich zur Gesamtwirtschaft aber dennoch unterdurchschnittlich ist. Die Einschätzung, dass eine Beschäftigung in der deutschen Stadttheaterlandschaft mit Passion für den Beruf einhergeht, trifft weitestgehend zu.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.