„Die politische Bedeutung der Kultur wurde signifikant gestärkt“

Monika Grütters im Gespräch

Ein weiteres Großthema Ihrer Amtszeit war das Museum des 20. Jahrhunderts, das nun auf dem Kulturforum entsteht. Ihnen wird vorgeworfen, den sich lang hinschleppenden Entscheidungsprozess fast eigenmächtig entschieden zu haben.
Dieses Museum verteidige ich mit aller Leidenschaft. Denn das 20. Jahrhundert ist für die deutsche Geschichte von entscheidender Bedeutung, und die Brüche jener Zeit zeigen sich gerade auch in der Kunst. Die Neue Nationalgalerie besitzt eine der weltweit wichtigsten Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts, doch sie kann nicht mal ein Viertel ihrer Sammlung präsentieren. Wir haben also eine Bringschuld gegenüber der Bevölkerung, diese Kunst öffentlich zugänglich zu machen. Ein Erweiterungs- oder Neubau war ja bereits in der Diskussion. Die Entscheidung für den Standort auf dem Kulturforum habe nicht ich allein gefällt, sie war das Ergebnis einer sehr intensiven Debatte mit Experten und einer Wettbewerbsjury. Für den spektakulären Bau von Herzog & de Meuron ist es mir schließlich gelungen, die finanziellen Mittel zu beschaffen – ich freue mich schon sehr darauf, wenn die „Scheune“, wie sich der Berliner Volksmund den Bau zu eigen machen versucht, eröffnet wird.

 

Heftig umstritten war das von Ihnen initiierte Kulturgutschutzgesetz. Der Kunsthandel leistete erbitterte Gegenwehr: Das Gesetz gefährde die Existenzgrundlage von Händlern und Galeristen. Diese Kritik habe sie besonders getroffen, sagen Sie. Was war Ihr Anteil an diesem Konflikt?
Es war das erste Gesetz, an dem ich nicht aus Parlamentsperspektive mitgewirkt habe, sondern als Teil der Regierung. Und tatsächlich ist rückblickend dabei nicht alles optimal gelaufen. So haben wir z. B. einen politisch noch nicht hinreichend geprüften Gesetzesentwurf zu frühzeitig in die Abstimmung gegeben, der dann plötzlich in der öffentlichen Diskussion war und für Unruhe gesorgt hat.

 

Aber das Ergebnis und das Anliegen des Kulturgutschutzgesetzes verteidige ich nach wie vor ganz entschieden: Dass eine große Kulturnation wie Deutschland sich 35 Jahre lang einer internationalen Kulturgutschutzkonvention nicht anschließt, fand und finde ich beschämend. Das Kulturgutschutzgesetz stellt darüber hinaus eine zentrale Frage, mit der wir uns als Kulturnation fortwährend auseinandersetzen müssen: Welche Kulturgüter sind so wichtig für die Identität unserer Gesellschaft, dass sie in unserem Land bleiben sollen? Es geht einfach nicht, dass jedes Kulturgut völlig ungeregelt als Ware das Land verlassen kann. Und es geht auch nicht, dass Kulturgüter völlig unklarer Provenienz einfach so hereinkommen. Wir haben das Gesetz dann nach intensiver Beratung mit allen Beteiligten – auch der Kunsthandel war von Anfang an einbezogen – mit großer Mehrheit im Bundestag verabschiedet. Bis auf die FDP haben alle Parteien das Anliegen mitgetragen. Mein Eindruck bisher ist, dass dieses Gesetz sich in der Praxis bewährt hat und fast alle damit gut leben können. Aktuell läuft eine Evaluation des Gesetzes, die Ergebnisse werden bald vorliegen.

 

Seit anderthalb Jahren beeinträchtigt die Pandemie das Kulturgeschehen. Künstler und Kulturschaffende gehören zu den besonders Betroffenen. Sie haben dazu beigetragen, dass insgesamt 4,5 Milliarden Euro für die Unterstützung der Kunst- und Kulturbranche zur Verfügung gestellt wurden. Hat die Pandemie Rolle und Aufgabe der BKM neu definiert?
Tatsächlich ist es gelungen, für die Kultur mit dem Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR im Unterschied zu den anderen Ressorts ein eigenes Coronahilfsprogramm aufzulegen. Später kam dann noch der Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen hinzu. Für alle anderen Branchen gab es die Hilfsangebote des Arbeits- und Sozialministeriums oder des Wirtschaftsministeriums. NEUSTART KULTUR ist auch eine politische Form der Anerkennung: für die gesellschaftliche Bedeutung der Kultur, für die hohe Belastung, die die Kultur- und Kreativszene wegen der Corona-Pandemie zu tragen hat – und schließlich für die unkonventionelle Lebens- und Arbeitsweise vieler Künstlerinnen und Künstler. Ich hoffe, dass sich diese neue Anerkennung der Politik für die Kultur in die Zukunft transportieren lässt.

 

Auch die Zusammenarbeit der BKM mit den Kulturverbänden ist durch die Pandemie sehr viel enger geworden. Weil bei der Umsetzung von NEUSTART KULTUR alles sehr schnell gehen musste und unser Haus das mit 400 Mitarbeitern niemals allein geschafft hätte, brauchen wir die Kulturverbände als Kooperationspartner. Dieser Schulterschluss mit den einzelnen Kulturverbänden, die die Bedürfnisse und Besonderheiten der jeweiligen Bereiche sehr gut kennen, funktioniert hervorragend. Auf dieses Vertrauensverhältnis zwischen der Politik und der Zivilgesellschaft kann man für die Zukunft aufbauen.

 

Die Frage nach einem eigenständigen Kulturministerium haben Sie immer verneint – vor einem halben Jahr dann aber konnten Sie dem Gedanken an ein eigenständiges Kulturressort doch etwas abgewinnen. Was hat den Sinneswandel bewirkt?
Das war eine Reaktion auf eine Äußerung Robert Habecks in Politik & Kultur, der meinte, man könne Kultur und ein anderes Ressort zusammenpacken. Das halte ich für die allerschlechteste Idee. Wenn schon weg vom Kanzleramt – dann ein eigenes Haus für die Kultur. Ich persönlich bin allerdings sehr gut gefahren mit der Ansiedlung hier bei der Kanzlerin. Dadurch ist man in der Hierarchie der Wahrnehmung sehr weit oben. Bei jeder Generaldebatte z. B. um den Haushalt ist das Kanzleramt zuerst dran, und damit auch die Kultur. Aber eines kann ich nach acht Jahren Amtszeit auch sagen: Der enorme Anstieg des Etats und des Aufgabenvolumens ist in der bisherigen Organisationsstruktur nicht mehr zu bewältigen. Ich bin als Staatsministerin allein mit einem Leitenden Beamten. Durch diesen Flaschenhals müssen alle relevanten Vorgänge gehen. Das ist so nicht mehr zu bewältigen. Ich plädiere deshalb dafür, dass dieses Amt auf Ministerrang angehoben wird und zwei Staatssekretäre und den notwendigen Unterbau bekommt. Gleichzeitig sollte BKM dort bleiben, wo es ist. Ich kann nur jedem empfehlen, sich nicht ohne Not aus der Obhut des Kanzleramtes zu verabschieden – die tut dem Ressort gut und verschafft Sichtbarkeit. Jedenfalls bei einer guten und großzügigen Kanzlerin. Angela Merkel ist einerseits selbst kulturaffin, und sie hat mir andererseits an keinem einzigen Tag in meine Geschäfte hineingeredet. Sie hat keinerlei Vorgaben gemacht, sondern mir große Freiheiten gelassen und viel Vertrauen entgegengebracht. Dafür bin ich sehr dankbar.

 

Welche unerledigten oder sich neu formierenden Aufgaben sehen Sie für die künftige Bundeskulturpolitik?
Vor allem die soziale Absicherung der Künstlerinnen und Künstler muss krisenfest gemacht werden. Da besteht dringender Handlungsbedarf. Eine der wichtigsten Lehren aus der Pandemie ist: Man muss an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung heran. Viele Kreative sind Soloselbständige, da ist die Gefahr der Altersarmut fast vorprogrammiert. Man muss die Lebensumstände der Künstlerinnen und Künstler ernst nehmen und sozialpolitische Antworten darauf finden. Das kann aber die BKM allein nicht schaffen. Es ist, ähnlich wie beim Thema Künstlersozialversicherung, eine Aufgabe für die gesamte Regierung. Eine zweite wichtige Herausforderung bleibt die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Trotz Pandemie haben sich fünf Ministerinnen und Minister aus Bund und Ländern siebenmal getroffen, um die Vorschläge des Wissenschaftsrats in ein gutes Konzept zu bringen. Ich appelliere mit aller Energie an meine Nachfolge: Ihr müsst das jetzt umsetzen – alles, ohne Abstriche.

 

Was machen Sie nach dem Ausscheiden aus dem Amt? Sie sind Bundestagsabgeordnete – Ihr natürlicher Platz wäre der Kulturausschuss – aber Ex-Minister halten sich von den Ausschüssen fern, in denen Fragen Ihres Ressorts verhandelt werden. Privatisieren Sie, oder werden wir Monika Grütters demnächst an herausgehobenen Positionen des Kunst- und Kulturbetriebs erleben, wo Sie ja nun gut vernetzt sind?
Man privatisiert natürlich nicht, wenn man ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag bekommen hat. Allein das ist ein Fulltime-Job. Neben der Kultur war mein zweites Standbein immer Bildung, Wissenschaft und Forschung, so dass ich in diesem Ausschuss mitarbeiten und sicher mehr machen werde als „business as usual“. Aber ich lasse jetzt auch mal ein wenig mehr „Leben“ auf mich zu kommen. Natürlich wünsche ich mir, dass mein Wissen und meine Verankerung in der Kultur weiter gefragt und als wertvoll angesehen werden.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Monika Grütters und Hans Jessen
Monika Grütters ist Staatsministerin für Kultur und Medien bei der Bundeskanzlerin. Hans Jessen ist freier Publizist.
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