Zurück in die Zukunft?

Wie lebt es sich in der Post-Corona-City?: Ausblick auf die Stadt nach der Krise

Die Architektur heute ist fest im Griff der Pandemie. Die Zunahmen der Single-Haushalte in Deutschland und das Ende des sozialen Wohnungsbaus trieben Architekten und Bauherren – und die ganze Gesellschaft – um. Baugruppen haben sich als neue, erfreuliche Form von Bauherrenschaft für moderne Wohnformen etabliert. Die Wiederentdeckung von Holz als tragendem Baumaterial auch für städtische Bauaufgaben und die Renaissance des modularen Bauens sind Trends, die Städte in Zukunft stärker prägen werden. Dem Ziel, Niedrig-, Null- oder sogar Plus-Energiehäuser zu bauen, kommen Entwerfer näher. Licht, Luft und Sonne – dieser Schlachtruf der Moderne wird heute auf angenehmes Tageslicht und gute Raumluft bezogen. Neue Entwürfe verwischen die Grenzen zwischen Gebäude und Landschaft. Dächer und Fassaden selbst können Vegetation tragen und mit „grünen Haaren“ Kühle, Habitat und Feinstaubfilterung in Städten befördern.

 

„Grüne“ Gebäude müssen nicht „grün“ aussehen, um eine gute Umwelt-Performance zu haben. Nutzungsneutralität von Grundrissen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für langlebige Gebäude. Platzsparend zu wohnen ist nur sinnvoll, es kann angesichts des Bedürfnisses nach Abstand in Städten auch hygienisch geboten sein. Angesichts knapper Mittel und Ressourcen sind kostengünstiges Bauen und das Recycling von Bauteilen Gebote der Stunde. Würde der massenhafte Einsatz von intelligenten Baustoffen und -komponenten die Probleme vergrößern oder lösen helfen? Liegt im autochtonen Bauen, das aus dem örtlichen Klima und Material schöpft, ein Schatz, den es zu heben gilt, oder ist das eine romantische Vorstellung? Natur gilt mehreren Ansätzen der Post-Corona-Architektur als Vorbild: Manche ergreifen die Flucht aus der Dichte der Stadt aufs Land. Verschwendung und Müll kennt der natürliche Kreislauf nicht. Ließe sich auch in der Architektur ein Weg von der Wiege bis zur nächsten Wiege finden? Sind Verzicht und Subsistenz gangbare Wege für das Wohnen in der Stadt im Tiny House oder mit Selbstversorger-Garten auf dem Dach oder hinter dem Haus?

 

Krankheit und Architektur

 

Als vor hundert Jahren die Moderne in der Architektur ihren weltweiten Siegeszug begann, gehörten Krankenhäuser und Sanatorien zu ihren überzeugendsten Bautypen. Denn hier zeigte sich, dass die streng geometrischen Gebäude mit ihren Glasfassaden für üppiges Tageslicht, weißen Räumen und breiten Dachterrassen zum Kampf gegen die Tuberkulose taugten. Sie wurden konzipiert, um Genesung zu fördern, die Architektur war selbst Teil der Heilung, ein medizinisches Instrument. Die schnelle Verbreitung der modernen Architektur war auch eine Folge der Angst vor Krankheiten. Weiße Wände, kahle Böden und saubere Metallarmaturen standen für Sauberkeit und Hygiene. Auch nachdem der Tuberkulose-Impfstoff die Pandemie zum Ende brachte, blieb der Zusammenhang zwischen Moderne, die als „Krankenhausarchitektur“ erblühte, und Gesundheit und Hygiene bestehen.

 

Im Gegensatz zur luftigen Leere der Moderne wird der für die Corona-Quarantäne benötigte Raum defensiv gestaltet. Klebebänder und Plexiglaswände unterteilen die Welt in kleine Zonen, weite Räume werden vermieden. Durch die Quarantäne haben Bewohner die Grenzen ihrer Wohnungen genauer kennengelernt. Akustische Privatsphäre ist wichtiger geworden, wenn die Familie den ganzen Tag in einer Wohnung zusammenlebt. Das Loft-Living hat seinen romantischen Touch eingebüßt – wegen des Mangels an Privatsphäre und Möglichkeiten, in einen anderen Raum zu ziehen.

 

Wenn Bars, Cafés und Geschäfte keinen Ausweg bieten, werden die Grenzen des eigenen Zuhauses umso spürbarer. Es gibt nur noch privaten oder öffentlichen Raum, aber kein Zwischenprodukt. Die Quarantäne macht uns zu Entdeckern des Vertrauten. Für die Stadtbewohner des 21. Jahrhunderts bilden Kopfhörer, Smartphone, Laptop und Ladekabel das Existenzmaximum.

 

Die kollektive Erfahrung, monatelang im Haus zu bleiben, beeinflusst die Zukunft der Architektur. Nicht die saubere, weiße Glätte der Moderne, sondern ein Versteck, das voller Erinnerungen an den Rest der Welt ist, dient als Raum für den sozialen Winterschlaf.

 

Anstatt die hygienische Moderne zu reproduzieren, zieht die „1,5-Meter-Gesellschaft“ improvisierte Linien und Barrieren.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Ulf Meyer
Ulf Meyer ist Architekturjournalist und Autor des Buches „Cities of the Pacific Century“.
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