Vorerst geschlossen

Uns fehlt das Publikum im Saal – das menschliche Gefühl, das Miteinander

Sollte der Lockdown aufgehoben werden – wie kurzfristig könnten Sie ein Programm auf die Beine stellen? Wären Sie bereit für den Neustart?

Ja. Wir überarbeiten permanent unser Hygienekonzept. Wie viele Musikerinnen und Musiker dürfen auf der Bühne sein? Welchen Abstand müssen sie haben? Darf gesungen werden? Wie werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getestet? Wie gelingt Publikumsverkehr? All das diskutieren wir kontinuierlich. Das Ziel muss immer sein: Wenn wir öffnen dürfen, wollen wir auch wirklich öffnen können. Aktuell peilen wir Mitte April an, nach Ostern. Darauf arbeiten wir hin.

 

Jetzt ist auch in diesem Jahr die Jubiläums-Saison dran unter dem Motto: „Alles bleibt anders“ … Was bedeutet das?

„Alles bleibt anders“ lautete das Motto für das Jubiläum. Zum damaligen Zeitpunkt war es nicht auf Corona bezogen. Jetzt aber passt es natürlich perfekt. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass eine Jubiläums-Saison auch ein Blick nach vorne sein sollte. Wir feiern nicht nur 200 Jahre Rückblick, sondern bleiben in Bewegung. Nun konnten wir viele Kompositionsauftragswerke nicht spielen. Die holen wir 2021/2022 nach und verlängern die Jubiläums-Saison. Wir möchten vielen Musikerinnen, Komponisten, Ensembles die Chance geben, ihre Werke, die sie für das Jubiläum geplant haben, auch aufzuführen.

 

Online sprechen Sie davon, auch die bewegte Geschichte des Hauses zu inszenieren, sprich: Bomben, Feuer, Wiederaufbau etc. Werden Sie auch die Corona-Pandemie durch eine Inszenierung aufgreifen?

Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Digital ja, daran arbeiten wir gerade. Mehr kann ich noch nicht verraten. In unserer 200-jährigen Geschichte wird das Jahr der Pandemie aber eine ganz besondere Rolle spielen. Alles bleibt anders. Wir hoffen z. B., dass wir im Mai den Freischütz gemeinsam mit arte aufnehmen können, haben außerdem ein Open Air und eine Gala organisiert. Florian Illies wird einen Text zur 200-jährigen Geschichte vorlesen. Wir haben viel vor und hoffen, dass das auch alles stattfinden kann. Die Krise wird dabei definitiv sichtbar werden – auch digital soll man sehen, was passiert ist in dieser Zeit.

 

Ende des Sommers 2019 ist bekannt geworden, dass Ihr Vertrag bis 2024 verlängert wird. Als dann die Pandemie so heftig einschlug – gab es Momente, in denen Sie diesen Schritt bereut haben?

Nein, ganz ehrlich – daran habe nie gedacht. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit zehn Jahren an Bord. Vielmehr habe ich Dankbarkeit empfunden, dass ich das Haus und das Orchester durch all die gemeinsamen Jahre so gut kenne und nun durch die Krise hindurchsteuern kann. Ein persönlicher Neuanfang in der Krise wäre viel schwieriger gewesen, weil man die Bedingungen eines fremden Hauses nicht kennt. So aber konnten wir schnell handeln. Eine Task-Force bilden, aus Orchester, Personalrat, Leitung. So ist uns auch schnell der Umstieg ins Digitale geglückt. Bei all der Unruhe in Bezug auf die Finanzen bleibe ich als langjähriger Intendant vielleicht auch gelassener. Die Vertragsverlängerung hat mich insofern eher positiv beeinflusst.

 

Was hat das Konzerthaus in Corona-Zeiten finanziell getragen – sind es die Abonnenten?

Ja, auf jeden Fall. Die Abonnenten hatten ja schon ihr Abonnement bezahlt. Fast 90 Prozent haben ihr Abo in Gutscheine umgewandelt und wollten ihr Geld nicht zurück haben. Das war eine riesige Hilfe. Aber auch das Land Berlin hat uns unheimlich unterstützt und unsere Schulden, die wir im letzten Jahr gemacht haben, ausgeglichen. Das hat Entlastung geschaffen. Ansonsten wären wir mit einem riesigen Rucksack losmarschiert, hätten sparen müssen und Dinge nicht umsetzen können. Jetzt aber können wir nach der Krise quasi bei null starten, ohne Millionen-Minus im Rücken.

 

Herr Nordmann, wenn Sie sich einen idealen weiteren Verlauf wünschen könnten. Wie ginge es weiter mit dem Konzerthaus Berlin?

Ich wünsche mir, dass wir unser Stammpublikum halten. Dass das Vertrauen in große Veranstaltungen und den großen Musiksaal nicht verloren geht. Die Lust auf klassische Musik soll die Angst, in einen Saal zurückzukehren, überwinden. Ich wünsche mir gleichzeitig, dass wir durch die neuen digitalen Formate auch ein neues Publikum gefunden haben. Und dass sie auf analoge Konzerte Lust machen. Unser Haus ist kein Elfenbeinturm für ein paar wenige. Wir stehen für jeden offen und bieten viele spannende Konzertformate. Ich wünsche mir außerdem sehr, dass wir in der Kultur weiterhin Brücken bilden – auch zwischen Staaten. Das betrifft insbesondere das Touring. Tourneen haben durch ihren Umwelteinfluss einen negativen Touch bekommen. Gleichzeitig ist der Austausch zwischen Kulturnationen unglaublich wichtig. Trotzdem befürworte ich aber natürlich, dass man hier runterfahren und die Umwelt im Blick behalten muss. Wir müssen vernünftig mit unseren Ressourcen umgehen.
Und zum Schluss wünsche ich mir, dass nach Corona kein Verdrängungswettbewerb entsteht, à la „nur der Stärkere gewinnt“. Die kulturelle Vielfalt in Deutschland ist großartig, in vielen Orten gibt es Konzerthäuser, Opern, Theater. Wir dürfen nicht den Fehler machen, bei der Kultur als Erstes zu sparen. Es darf nicht passieren, dass am Ende nur noch Konzerthäuser in drei großen deutschen Städten stehen und unter Tourismusfaktoren abgerechnet wird. Vielfalt muss aus dem Wunsch heraus erhalten bleiben, dass Bildung und Kultur wichtig sind.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2021.

Sebastian Nordmann & Sandra Winzer
Sebastian Nordmann ist Intendant am Konzerthaus Berlin. Sandra Winzer ist ARD-Journalistin beim Hessischen Rundfunk.
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