NEUSTART KULTUR: Die Zukunftsprogramme der Kulturförderfonds

Wie werden Kulturschaffende jetzt unterstützt?

Deutscher Literaturfonds

 

Das große Interesse an Autorenlesungen ist ein für den deutschsprachigen Raum eigentümliches Phänomen. Nirgends sonst auf der Welt wird das Besondere der Buchrezeption – die soziale Isolation des Lesers, seine Selbstbestimmung des Lesetempos und der Lesedauer – in vergleichbarem Umfang aufgehoben und durch Lesungen oder moderierte Autorengespräche in soziokulturelle Räume überführt. Diese Räume verschwanden schlagartig in Folge der Maßnahmen, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie von der Politik beschlossen und durchgesetzt wurden. Mit ihnen verloren auch viele Autoren eine wichtige Einkommensquelle.

 

Das Kuratorium und die Mitgliedsverbände des Deutschen Literaturfonds – unter ihnen der PEN, der Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller und der Freie Deutsche Autorenverband – haben daher beschlossen, die von der Bundesregierung bereitgestellten Fördermittel im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR vor allem für ein Strukturförderungsprogramm zur Wiederaufnahme literarischer Veranstaltungen einzusetzen. Das damit verfolgte Ziel war es, „Tausende literarische Begegnungen“ zu initiieren und Autoren wieder die Möglichkeit zu verschaffen, durch Lesungen einen Teil ihres Lebensunterhalts zu verdienen.

 

Das Programm zielte in die Breite des Landes, auch in den ländlichen Raum, und es richtete sich unmittelbar an alle Institutionen und Veranstalter, bei denen Autoren zu Wort kommen können und auf Publikum stoßen: an Bibliotheken und Buchhandlungen, Literaturhäuser und Literaturbüros – insbesondere jene in den kleineren Städten, Kulturhäusern, Lesereihen und Lesebühnen, Museen und Theater, auch literarische Programme an Schulen und Hochschulen.

 

Für deutschsprachige Bühnenautoren, für die sich durch den Ausfall von oder Besucherbeschränkungen bei Vorstellungen in einer im schlechtesten Sinne besonders dramatischen Situation befinden, wurde ein eigenes Förderprogramm aufgelegt. Darüber hinaus konnten Bibliotheken Anträge zur Finanzierung digitaler interaktiver Programme für Kinder und Jugendliche stellen.

 

Die Resonanz war überwältigend. Schon Anfang Oktober war das bereitgestellte Budget von fünf Millionen Euro ausgeschöpft. Aktuell ist eine Bewerbung daher nicht mehr möglich. Insgesamt erreichten den Literaturfonds 647 Anträge.

 

Über drei Millionen Euro wurden bereits bewilligt. Die durchschnittlichen Antragssummen betragen in den Modulen „Tausende literarische (Wieder-)Begegnungen mit Autorinnen und Autoren“ und „Digitales interaktives Programm für Kinder und Jugendliche“ etwa 10.000 Euro. Von allen Bundesländern wurden die meisten Mittel aus Berlin beantragt: mehr als eine Million Euro bei nur 35 Anträgen. Die meisten Anträge hingegen kamen aus den Flächenländern Nordrhein-Westfalen (82) und Bayern (77) mit Antragsvolumina von rund 520.000 bzw. 950.000 Euro.

 

Insgesamt zeigt sich, dass von der Lesung in der Gemeindebücherei bis hin zum Literaturfestival in der Großstadt alle denkbaren Veranstaltungsformate von dem Förderprogramm NEUSTART KULTUR profitieren.

 

Gunther Nickel ist Lektor und stell-vertretender Geschäftsführer des Deutschen Literaturfonds. Astghik Saribekyan und Lukas Sarvari betreuen im Deutschen Literaturfonds das Sonderprogramm NEUSTART KULTUR

 

 

Fonds Darstellende Künste

 

Mit #TakeThat hat der Fonds Darstellende Künste im Zusammenhang mit NEUSTART KULTUR – das Zukunftsprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) – umfangreiche Maßnahmen zusammengestellt, die frei produzierende Einzelkünstlerinnen und -künstler aller Sparten sowie Produktionsorte und Festivals der Freien Szene in dieser herausfordernden Zeit unterstützen. Unser Ziel ist es, abgestimmt auf unterschiedliche Arbeitsweisen und -bedingungen, die Freien Darstellenden Künste in ihrer Vielfalt zu stärken und mit gezielten Förderprogrammen die Fortführung künstlerischer Praxis unter pandemiebedingt neuen Produktionsgegebenheiten zu ermöglichen. Hierbei legte der Fonds besonderen Wert auf die Einbeziehung der Expertisen von Mitgliedsverbänden und weiteren Akteuren der Freien Darstellenden Künste, immer unter dem Aspekt, schnelle Hilfe zu ermöglichen. Für die Umsetzung stehen dem Fonds bis zu 65 Millionen Euro ergänzende Mittel aus dem Maßnahmenpaket für den Kultur- und Medienbereich der BKM zur Verfügung.

 

#TakeThat umfasst insgesamt 11 neue Programme, die in mehreren Antragsfristen ausgeschrieben werden.

 

Das Förderprogramm #TakeAction, das sechs genrespezifische Einzelprogramme beinhaltet, stellt das künstlerische Produzieren und Arbeiten unter Pandemiebedingungen in den Mittelpunkt und befördert Produktionszeiträume.

 

Damit Produktionsorte und Festivals der Freien Szene zukunftsorientierte Konzepte entwickeln können, um den Kunst- und Spielbetrieb aufrechtzuerhalten und somit den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen, wurde die Strukturprojektförderung #TakePlace entwickelt.
#TakeNote fördert den Wissens­transfer und Kooperationsvorhaben in den Freien Darstellenden Künsten und richtet sich an Festivals und Produktionsorte sowie Kulturhäuser und gemeinnützige Vereine.
#TakePart ermöglicht Vorhaben zur Publikumsbindung. Sowohl Künstlerinnen und Künstler als auch Produktionsorte und Festivals der Freien Darstellenden Künste können Modellvorhaben zur Neuausrichtung in Bezug auf das Publikum einreichen.

 

Weitergeführt und ausgebaut wurde das #TakeCare-Programm, das eine produktionsunabhängige stipendienartige Förderung von Recherchevorhaben beinhaltet. In der zweiten Antragsrunde, die am 1. September endete, wurden 445 Vorhaben für eine Förderung ausgewählt und rund 2,1 Millionen Euro für entsprechende Vorhaben in allen Bundesländern vergeben.

 

Ergänzt wird #TakeCare um die Maßnahme #TakeCareResidenzen, welche ergebnisoffene künstlerische Recherchen in Verbindung mit (Online-)Residenzen in einem von rund 40 über das gesamte Bundesgebiet verteilten Produktionsorten fördert.

 

Der Fonds würde gerne mit #Take That noch stärker das Ziel verfolgen, dass freies Produzieren von Kunst mehr Planungssicherheit und damit die Aktiven der freien Theaterlandschaft mehr Sicherheit erfahren können. Hierfür wäre es wichtig, den engen Projektzeitraum von NEUSTART KULTUR deutlich auszuweiten. Damit es auch längerfristig heißt: Die Kunst ist BACK FOR GOOD!

 

Holger Bergmann ist Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste

 

 

Deutscher Übersetzerfonds

 

Auch die Übersetzerszene wird von NEUSTART KULTUR adressiert. Von Monika Grütters aufgefordert, Vorschläge für „alternative, auch digitale Angebote“ zu machen, hat der Deutsche Übersetzerfonds sein Förderportfolio umfänglich erweitert. Die Zuwendungen in Höhe von insgesamt 5 Millionen Euro gehen dabei in unterschiedliche Richtungen.

 

Zum einen in den Ausbau des bestehenden Stipendienangebots um mindestens 160 Stipendien bis Ende 2021. Dabei werden erstmals auch die hier lebenden Übersetzerinnen und Übersetzer deutschsprachiger Literatur in andere Sprachen berücksichtigt. Das neue Programm „extensiv initiativ“ aktiviert Übersetzer als Initiatoren neuer Übersetzungsprojekte und bezieht die Verlage als Partner mit ein. Gefördert werden beide Seiten: die Übersetzerin bzw. der Übersetzer durch ein Stipendium und der Verlag durch die Bezuschussung der Übersetzungskosten und die damit einhergehende Erleichterung der verlegerischen Kalkulation. Ziel der Förderung ist ein starker Impuls für die lebendige Vermittlung der Literaturen der Welt im deutschsprachigen Raum. Was offensichtlich funktioniert: 95 Anträge aus allen Genres inklusive Kinder- und Jugendbuch, Lyrik, Essay, Graphic Novel und Theater gingen unlängst zur ersten von drei Ausschreibungen ein.

 

Ein mit 1,5 Millionen Euro ausgestatteter Projektfonds unterstützt neue Angebote von Kultureinrichtungen und Initiativen der freien Szene, die sich dem literarischen Übersetzen und seinen Protagonisten widmen. Förderziele sind die Etablierung, Sichtbarmachung und Vermittlung von literarischer Übersetzung im kulturellen Leben wie auch auf dem Feld der kulturellen Bildung, und damit einhergehend: die projektbezogene Vergabe von Aufträgen an Akteure im Bereich Literaturübersetzung sowie der Aufbau von digitaler Infrastruktur. Das Antragsvolumen der ersten von drei Ausschreibungsrunden summiert sich auf mehr als eine Million Euro; darunter viele Initiativen mit stark digitalen Komponenten. Diese stehen auch im Mittelpunkt der Projekte in Eigenregie des Deutschen Übersetzerfonds: eine bis Ende 2021 aufzubauende Onlineplattform wird innovative Formen der Sicherung und Vermittlung übersetzerischen Wissens entwickeln. Gestärkt werden zudem die Aktivitäten des TOLEDO-Programms, das neue Veranstaltungsformate erprobt und die internationale Vernetzung voranbringt. Zu dieser digitalen „Ausweitung der Übersetzerzone“ gehören unter anderem die Erprobung von „social translating“ und die Gründung einer virtuellen „Republik der Übersetzer·innen“.

 

Unsere erste Zwischenbilanz fällt sehr erfreulich aus: Für die erheblich gestiegene Nachfrage nach individueller Förderung stehen Mittel bereit. Viele innovative Projekte werden realisiert werden können. Die Resonanz stimmt; erste Förderentscheidungen treffen die Mitte November tagenden Jurys.

 

Jürgen Jakob Becker ist Geschäftsführer des Deutschen Übersetzerfonds

 

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