Lernen aus dem Corona-Shutdown

Wie wappnen sich Bibliotheken für kommende Herausforderungen?

Die Coronapandemie hat in mehreren Wellen zu teils drastischen Einschränkungen für den einzelnen Bürger, aber auch für Kultur- und Bildungseinrichtungen geführt. Diese haben bereits während des ersten Shutdowns im Frühjahr 2020 sehr schnell mit der Umstellung und Neuentwicklung von (digitalen) Angeboten und Prozessen auf die Krise reagiert. Auch die Bibliotheken waren herausgefordert. Im Rahmen des Projektes „Die Krise als Innovationschance – Der Umgang der Öffentlichen Bibliotheken in Baden-Württemberg mit der Corona-Krise“ wurden an der Hochschule der Medien in Stuttgart Herausforderungen, Reaktionen, aber auch Erfahrungen dieser Einrichtungen untersucht.

 

Zum einen wurden die Veränderungen in den Serviceportfolios der Bibliotheken und deren Kommunikation gegenüber den Kundinnen und Kunden untersucht. Zum anderen wurden ausführliche qualitative Interviews mit besonders innovativen Bibliotheken geführt, bei denen insbesondere die während des Shutdowns erlebten internen organisatorischen Veränderungen in den Blick genommen wurden. Es zeigte sich, dass gerade die angestoßenen internen Veränderungsprozesse eine Chance sind, um zukünftige Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Die aus dem Bibliotheksbereich gewonnenen Erkenntnisse sind aber nicht nur für diese Branche von Relevanz, sondern können auch als wertvolle Impulse für den Kultur- und Bildungsbereich wie auch die öffentliche Verwaltung insgesamt dienen.

 

Die Auswertung der Daten zeigt deutlich, dass es in den untersuchten Bibliotheken positive Auswirkungen der coronabedingten Ausnahmesituation gibt. Das Durchleben der Krise führte zu einem erhöhten Selbstwirksamkeitserleben in den Einrichtungen, welches das Gefühl, gut auf kommende Herausforderungen vorbereitet zu sein, verstärkt. Zudem werden positive Effekte auf Teamzusammenhalt und Teamgeist festgestellt, die bei der Bewältigung zukünftiger Herausforderungen von Vorteil sein werden.

 

Gemeinsam ist den befragten Bibliotheken, dass sie sich schnell auf neue und auch unsichere Wege eingelassen haben. Die Konfrontation mit den Restriktionen der Pandemie erzwang die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Dabei wurden neue Vorgehensweisen in der täglichen Arbeit ausprobiert. Insbesondere das schnelle Umsetzen von Ideen und deren kontinuierliche Iteration hat sich dabei als Erfolgsrezept herausgestellt. Diesen veränderten Ansatz bei der Planung und Umsetzung beschrieb eine der Bibliotheksleitungen folgendermaßen: „Wir sind in den Bibliotheken eigentlich gewohnt, dass wir Dinge sehr gründlich planen, organisieren, nachdenken und nochmals bei jemandem nachfragen, erst einmal ein schriftliches Konzept verfassen. Aber so haben wir in Coronazeiten nicht gearbeitet, sondern: Wie können wir es machen? Okay, wir probieren es aus!“

 

Aus den Interviews lassen sich verschiedene in der Krise bewährte Ansätze herausarbeiten, die bei der Bewältigung der gegenwärtigen und mittelfristigen Herausforderungen helfen können:

 

  • Selbstbewusstsein aus der Krise mitnehmen:
    Eine positive Würdigung der bewältigten Herausforderungen während der Covid-Wellen hilft, Energie und Mut für zukünftige Herausforderungen zu gewinnen.
  • Neue Dinge ausprobieren:
    Ausgetretene Wege zu verlassen bedarf Mut, wird aber meistens belohnt. Hier kann die Ausnahmesituation als Chance genutzt werden, sich auf Neues einzulassen.
  • Schlechte Planbarkeit und Unsicherheit akzeptieren und flexibel bleiben:
    Die Krise erfordert ein auf Sicht fahren. Dies muss – auch in Zukunft– akzeptiert werden, um nicht in Bewegungslosigkeit zu erstarren. Oder wie es eine Bibliotheksleitung formulierte: „Es ist nicht mehr der Anspruch da, dass man alles so ausführlich vorher diskutieren und besprechen und vorher ankündigen muss, sondern man hat sich in der Coronazeit ein bisschen daran gewöhnt, dass man die Dinge heute so gemacht hat und morgen macht man sie ganz anders. Da liegt einfach eine Notiz auf dem Einlog-Bildschirm und dann ist es jetzt eben so.“
  • Die Sicht der Kundinnen und Kunden nutzen:
    Bei der Neuentwicklung und iterativen Weiterentwicklung von Ideen bewährt es sich, die Sicht der Kunden strukturiert und regelmäßig zu integrieren. Dies bedeutet auch, regelmäßig und gezielt Rückmeldungen und Feedback einzuholen.
  • Neue Kommunikationskanäle zu Kundinnen und Kunden etablieren:
    Auch die externe Kommunikation wurde durch die Krise herausgefordert. Hier wurden zum Teil neue zielgruppenadäquate Lösungen entwickelt – von persönlichen Briefen an Seniorinnen und Senioren bis zu Instagram-Auftritten und digitalen Veranstaltungsformaten –, die auch weiterhin einen Mehrwert bieten.
  • Gemeinsam weiterdenken:
    Neue Ideen brauchen Kreativität in der Entstehung und in der Umsetzung. Hier hilft es, gemeinsam nachzudenken und sich gegenseitig zu befruchten. Dabei lohnt es sich ganz besonders, sich über bestehende Arbeitsgebiete, Zuständigkeits- und Institutionsgrenzen hinweg auszutauschen. Bewusst crossfunktionale Teams zu bilden und das kollegiale Lernen auf allen Kanälen weiterzuentwickeln, sind hier erfolgversprechende Ansätze.
  • Führungsverantwortung abgeben:
    Die Selbstorganisation von (Teil-)Teams führt zu mehr Eigenverantwortung und Commitment und entlastet gleichzeitig die Führungskräfte.
  • Digitale Fortbildungsformate nutzen:
    Digitale Weiterbildungsangebote – nicht nur aus dem eigenen Fachbereich – können niederschwelliger als Präsenzangebote genutzt werden und machen Personalentwicklung in der Breite möglich.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Tobias Seidl & Cornelia Vonhof
Tobias Seidl ist Professor für Schlüssel- und Selbstkompetenzen an der Hochschule der Medien Stuttgart. Cornelia Vonhof ist Professorin für Public Management an der Hochschule der Medien in Stuttgart.
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