Vom Rand auf die Bühne

Literarisches Bloggen in Deutschland

Wenn Sie wissen wollen, wie wichtig literarische Blogs für die deutsche Verlagsbranche geworden sind, schauen Sie sich die diesjährige Ausgabe des Deutschen Buchpreises an, der jährlich kurz vor der Frankfurter Buchmesse verliehen wird: Erstmals gibt es unter den sieben Jurymitgliedern einen Blogger, der über die Vergabe des renommierten Preises mitentscheidet. Die Präsenz von Uwe Kalkowski, der sich mit seinem „Kaffeehaussitzer“-Blog einen Namen gemacht hat, ist nur ein Zeichen von vielen, dass Blogger mittlerweile als etablierte Multiplikatoren anerkannt sind.

 

„Als ich 2010 bei Bastei Lübbe mit der Online-PR anfing, war ich allein. Sieben Jahre später war das Team auf sechs Personen angewachsen, und die Bedeutung der Blogger-Relations als eine Komponente des Online-Marketings ist enorm gestiegen“, sagt Tina Pfeifer, die bei Bastei Lübbe 2016 die „LitBlog Convention“ für Blogger initiierte. „Im Laufe der Jahre hatte ich das Gefühl, dass wir eine spezielle Veranstaltung nur für Blogger brauchen, bei der sie die Möglichkeit haben, verschiedene Verlage und ihre Autoren kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen“, so Tina Pfeifer, die mittlerweile in der Kommunikationsabteilung der Frankfurter Buchmesse arbeitet. Heute ist die Convention, die in den Räumlichkeiten der Bastei Lübbe AG in Köln stattfindet, nur eine von vielen Brancheninitiativen, die den Stellenwert der Buchblogosphäre in Deutschland widerspiegeln. Sie bringt jährlich eine Gruppe von Verlegern zusammen, die Workshops für Buchblogger, Booktuber und andere Influencer veranstaltet.

 

Beteiligung an hochkarätigen Brancheninitiativen
Im Jahr 2013 startete die Stiftung des Börsenvereins die Initiative „5 lesen 20“ mit einer Gruppe von fünf literarischen Bloggern, die über die Longlist des Deutschen Buchpreises diskutieren. „Wir wollten Wege der Kommunikation nutzen, die wir bisher nicht genutzt hatten. Wir sind natürlich daran interessiert, die Leserinnen und Leser dort zu treffen, wo sie sind. Und dazu gehören heutzutage auch Blogs“, erklärt Gunvor Schmidt vom Börsenverein. Die Idee hinter dem Format ist, dass Blogger über ihre eigenen Kanäle und die Facebook-Seite des Börsenvereins ihre Meinung über die Longlist mit ihrem Publikum teilen. Seit 2015 als „Buchpreisblogger“ bekannt, spiegelt die diesjährige Gruppe wider, wie sich die Gemeinschaft der Influencer entwickelt hat: Neben drei regulären Blogs sind mit „Bücherwunder“ eine Booktuberin und mit @literarischernerd erstmals ein Bookstagrammer an Bord.

 

Frank Krings, PR-Manager der Frankfurter Buchmesse unter anderem mit Schwerpunkt Social Media und Blogger-Beziehungen, erinnert sich daran, dass „wir 2013 zum ersten Mal eine konkrete Nachfrage von ausstellenden Verlagen nach der Anwesenheit von Buchbloggern auf der Messe hatten“. Jetzt organisieren zahlreiche Verlage an ihren Ständen eine Reihe von speziellen Blogger-Events. Und die Messe selbst hat im vergangenen Jahr den Deutschen Buchblog Award unterstützt, den der bereits erwähnte „Kaffeehaussitzer“ gewonnen hat. Wegen der wachsenden Bedeutung von YouTube als Buchpromotionsplattform ist für den 14. Oktober zum zweiten Mal ein eigenes Booktuber-Event auf der Buchmesse geplant.

 

Die zunehmende Bedeutung von Buchbloggern und Influencern für die PR & Marketing-Abteilungen in den Verlagen verwundert nicht. Denn warum sollten Buchverlage, die wie andere Unternehmen ein Produkt verkaufen, nicht auch die Macht der digitalen Meinungsmacher für Kaufempfehlungen nutzen? Und: Die Vielfalt und Reichweite der Blogs garantiert, dass jeder Verlag den richtigen Kanal findet, um mit seiner Zielgruppe zu kommunizieren.

 

Doch Buchblogger ist nicht gleich Buchblogger: „Auf der einen Seite gibt es feuilletonistische Literaturblogger, deren analytischer Ansatz dem der Literaturkritik in den Printmedien ähnelt. Dann gibt es das, was ich Fan-getriebene Blogs nennen würde: Das sind Genre-Blogger, oft jüngere Autoren im Alter zwischen 18 bis 25, die sich z. B. auf Fantasy oder Romance konzentrieren“, so Krings. Während sich einige Blogger streng auf bestimmte Genres wie Science-Fiction oder Young Adult Fiction konzentrieren, verfolgen andere einen allgemeineren Ansatz von Neuerscheinungen bis hin zu klassischer Literatur oder Literatur aus bestimmten Ländern und Regionen.

 

Professionelle Blogger-Publisher-Beziehungen
Die Kooperationen zwischen Verlagen und Bloggern beschränken sich keineswegs darauf, den Bloggern Rezensionsexemplare zur Verfügung zu stellen. Denn die Verlage sind sich des Potenzials von Bloggern als Multiplikatoren bewusst geworden, die einen direkten Weg zum Publikum darstellen. Es geht auch nicht nur um eine besonders hohe Reichweite, sondern darum, die richtigen Menschen mit den richtigen Inhalten zu erreichen. Für den Kinder- und Jugendbuchverlag Carlsen beispielsweise sind Blogger-Kooperationen in Online-Marketing-Kampagnen wichtige Bestandteile, um Inhalte und Botschaften online direkt bei Influencern zu platzieren. Rezensionen in Blogs sind jedoch kein Ersatz für herkömmliche Buchrezensionen in den Feuilletons der Printmedien, auch wenn es dort immer weniger Raum für Kunst- und Kulturberichterstattung gibt. Blogs, getrieben von persönlichen Leidenschaften, und Literaturkritik, wie sie in klassischen Medien stattfindet, sind unterschiedliche Annäherungen an Literatur. Die Diskussion darüber, dass Blogger einmal Literaturkritiker ersetzen, ist daher überflüssig.

 

Blogger, die sich vernetzen
Was bringt die Zukunft den Buchbloggern in Deutschland? Zweifellos haben sie sich so professionalisiert, dass sie heute ein fester Bestandteil der Verlagsbranche sind und neben Journalisten eine eigene Rolle spielen. Blogger sind sich den Erwartungen der Verlage sehr bewusst und reflektieren ihre Rolle in der Branche auch kritisch. So schreibt Ilja Regiers in seinem osteuropäischen Literatur-Blog „Muromez“, in einem Beitrag nach einer stressigen Frankfurter Buchmesse 2016, dass er in erster Linie ein „Leser sein will, der bloggt“ statt ein „Blogger, der liest“.

 

Auch die Online-Buchgemeinschaft ist sich ihrer eigenen Vielfalt in Ton und Thema sehr bewusst und nimmt sie an. In einem Podcast mit der diesjährigen „Buchpreisblogger“-Gruppe ist die Botschaft klar: Wir stehen für viele verschiedene Möglichkeiten, Literatur den Menschen vorzustellen. Und es ist egal, ob dies auf Instagram, einem Blog oder auf YouTube passiert, oder ob es anspruchsvolle zeitgenössische und klassische Literatur oder Liebesgeschichten sind. Denn alles hat seinen Platz und sein Publikum. Letztlich ist dies der entscheidende Beitrag der Buchblogger in Deutschland: Bücher einzuführen und zu empfehlen, die über jedes Urteil über „hohe“ und »niedrige« Kunst hinausgehen. Und in einem Land, in dem Literaturkritiker traditionell eine strenge Unterscheidung zwischen „lesenswert“ und „nicht lesenswert“ treffen, ist dies sicherlich eine sehr wertvolle Sache.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.

Barbara Geier
Barbara Geier ist als selbständige Redakteurin, Übersetzerin und Kommunkationsberaterin tätig.
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