Die Einen mögen Himbeermarmelade, die Anderen überhaupt nicht, dafür aber Erdbeeren, die Dritten Orangenmarmelade aus England, wo zwar keine Orangen wachsen, aber Leute, die Marmeladenkönner sind. Die Vierten lieben nur Honig.
Jedem das Seine auf das Frühstücksbrötchen, lautet die Antwort – will sagen, in Geschmackssachen möge jeder für sich entscheiden, was er bevorzugt, und wir betonen noch einmal: „für sich“. Kritisch würde es allerdings, wenn einer seine Vorliebe triumphieren lässt, indem er sagt, die oder der sei eben einfach das Beste. Ja, es gibt verschieden gute Erdbeermarmeladen, aber es gibt eben keine, die per se besser ist als eine aus Himbeeren.
Offensichtlich liebt es der Mensch, nicht nur zwischen gut und schlecht zu unterscheiden, sondern erst recht zwischen gut und gut, und das so lange, bis eines das Bessere ist, wenn nicht gleich das Beste.
Von den Turnieren im Mittelalter bis zur Fußballweltmeisterschaft wurden mit begeisterten Nicht-Mitspielern Wettbewerbe inszeniert, die dem Bedürfnis nach Sieg und Triumph auch in Friedenszeiten Rechnung tragen.
Schön und gut. Zwei Tore sind besser als eins, und 8,70 Meter ist weiter als 8,60 Meter, das ist objektiv konstatierbar, davon lebt der Sport.
Aber die Kunst? Gewiss, auch sie bemüht sich um Qualität, auch sie kennt Regeln – z. B. Versfüße, die nicht stolpern sollten –, aber sie kennt keine Vorschriften, die zu berücksichtigen wären, im Gegenteil, sie machte sich immer schon ein Vergnügen daraus, Übliches zu durchbrechen und Erwartungen hinter sich zu lassen. Kunst ist die Wiedergabe der Welt aus individueller Sicht, d. h. jedes Kunstwerk ist eigen. Natürlich kann man zwei Gedichte miteinander vergleichen, aber letztlich sind sie, wenn sie spürbar gelungen sind, unvergleichlich. Das charakterisiert den Kern von Kunst: Jedes Kunstwerk, das dieses Wort verdient, ist einzigartig. So wie der Mensch, wie du und ich.
Und wer sagt, dass es überhaupt ein Kunstwerk ist? Jemand, der eine Mischung von Individualität und Kenntnis der Materie ist, ein Spezialist mit eigener Geschichte und persönlichem Charakter. Das gilt für die namhaften Juroren einer Preisentscheidung ebenso wie für den Leser unter der Abendlampe. Der eine entscheidet für sich, was ihm gefällt, der andere hingegen traut sich, das eigene Urteil zu verallgemeinern, und das in einer Situation, wo Individuelles neben Individuellem steht.
Und natürlich sollte man Gelungenes auszeichnen, und zwar weil es gut ist, sehr gut, nicht aber weil es angeblich das Beste ist. Denn das Beste gibt es in der Kunst nicht. Der Sinn von Preisen ist, Aufmerksamkeit auf das Ausgezeichnete zu lenken, das hilft den Lesern bei der Auswahl der Bücher, die sie sich vornehmen sollten.
Bestsellerlisten hingegen sagen nicht mehr als das Wort verspricht: Sie reihen Verkaufszahlen von Büchern, die, warum auch immer, und oft genug gerade wegen ihres Auftauchens in Bestsellerlisten, gern gekauft werden. Ein Beweis für literarische Qualität sind sie ganz und gar nicht.
Warum Bücher Leser fangen, das versuchen manche Verlage schon lange herauszufinden; es bleibt ein Rätsel, nicht anders als das Entfachen von Liebe zwischen zwei Menschen.
Ganz anders ist die Bedeutung von Literaturpreisen. Sie sagen gar nichts über das Bedürfnis des Publikums. Wenn Bestsellerlisten eine Art Abstimmungsergebnis von Buchkäufern – nicht mit Buchlesern zu verwechseln – sind, die dafür immerhin Geld ausgegeben haben, dann sind Preise gleich Auszeichnungen das Gegenteil. Nicht so sehr, weil die Juroren für ihre Arbeit ein Honorar bekommen und die Autoren – in der Regel – ein Preisgeld. Vielmehr weil die Preisträger unabhängig von Popularität und Verkauf ausgewählt werden, sondern je nach der literarischen Einschätzung der Juroren. Dabei sind manche Preise lokal oder gattungsmäßig eingeschränkt: Ein hessischer Literaturpreis muss an einen Hessen vergeben werden, wohingegen beim Nobelpreis Herkunft und Sprache der Ausgezeichneten möglichst oft wechseln sollte.
Die meisten Literaturpreise von Bedeutung tragen den Namen eines sanktionierten Dichters, womit nur ein Qualitätsanspruch zum Ausdruck kommt und nicht etwa die Erwartung, dass da jemand nach der Art und Tradition von Goethe, Schiller, Büchner, Raabe oder gar Hölderlin geschrieben hat.
In jedem Fall aber hebt einen Schreiber ein solcher Preis eine Stufe höher auf der stufenreichen Leiter Richtung Olymp. Sie sind Kompliment und Überlebenshilfe in einem Beruf, in dem selten gut verdient wird – schon gar nicht von Autoren mit literarischem Anspruch. Literaturpreise sind Anlässe für Elogen in den Feuilletons, sie machen aufmerksam auf Autorinnen und Autoren, die nach Auffassung einer Jury mehr Aufmerksamkeit verdient haben. Manche Preise sind gattungsbezogen und konzentrieren sich auf Lyrik, Essayistik, Wissenschaft oder Kinderbücher, in jedem Fall aber sind sie wichtig und hilfreich als Orientierungshilfe in dem riesigen Feld von immer noch ca. 70.000 Neuerscheinungen jedes Jahr und der unüberschaubaren Fülle von erstklassigen Büchern der Vorjahre, die die meisten Leser nicht wahrgenommen haben. Damit empfehlen sie uns Bücher, die es wert sind, dass wir ihnen zwei, fünf oder 20 Stunden unseres Lebens opfern: Das Lesen guter Bücher macht uns wacher, sensibler und umsichtiger, zudem wohlgestimmt und heiter, es bestärkt die Glaubwürdigkeit des Lebens.
Der Beitrag ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.