Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 07.06.2004. Mit Interesse hat der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ zur Kenntnis genommen und nimmt im Folgenden zu der Mitteilung Stellung.

 

I.

Die Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ betrachtet die Rolle der Verwertungsgesellschaften im Urheberrecht unter rein ökonomischen Gesichtspunkten (auch wenn an 2 Stellen nebenbei die soziale und kulturelle Rolle von Verwertungsgesellschaften erwähnt wird). Eine solche verkürzte Sichtweise widerspricht der deutschen sowie der gesamten kontinentaleuropäischen Rechtsordnung und Tradition. Verwertungsgesellschaften nehmen wesentliche soziale und kulturelle Aufgaben wahr. Das Europäische Parlament erkennt in seiner „Entschließung zu einem Gemeinschaftsrahmen für Verwertungsgesellschaften im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte (2002/2274(INI))“ vom 15.1.2004 unter Nr. 27 die wichtigen kulturellen und gesellschaftspolitischen Aufgaben der Verwertungsgesellschaften an, „was sie auch zu Trägern öffentlicher Gewalt“ mache. So wird im deutschen Wahrnehmungsgesetz in den §§ 7 und 8 auf die staatsentlastenden Aufgaben der Verwertungsgesellschaften verwiesen.

 

Darüber hinaus funktioniert der Binnenmarkt bei der Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften ebenso wie bei der individuellen Rechtewahrnehmung, so dass auch aus dieser Perspektive kein Handlungsbedarf besteht. Artikel 36 der Revidierten Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst verpflichtet überdies die beigetretenen Staaten, für eine angemessene Durchsetzung der Rechte zu sorgen. Anerkannterweise wird diese Aufgabe in vielen Bereichen von den Verwertungsgesellschaften wahrgenommen.

 

Auf Grund des sozialen und kulturellen Aufgabenbereiches der Verwertungsgesellschaften, der in der Mitteilung nicht adäquat berücksichtigt wird, sieht der Deutsche Kulturrat kein Erfordernis, die Diskussion um die Mitteilung voranzutreiben und in eine Richtlinie münden zu lassen.

 

Sollte die Diskussion um die Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ dennoch weiter verfolgt werden, müssten aus Sicht des Deutschen Kulturrates jedenfalls die unter II. genannten Einwände Berücksichtigung finden.

 

II.

1a) Fortbestand des Territorialitätsprinzips. Aus Sicht des Deutschen Kulturrates darf das auf Grund des materiellen Urheberrechts zur Zeit und auch weiterhin bestehende Territorialitätsprinzip nicht aufgeweicht werden. Die von der Kommission vorgesehene teilweise Abschaffung des Territorialitätsprinzip – denn darum geht es ihr, wenn sie dies auch mit Bekenntnissen zum Recht des geistigen Eigentums bemänteln will – würde insbesondere für kleinere Verwertungsgesellschaften und für kleinere Mitgliedstaaten negative Folgen haben. Es ist nicht auszuschließen, dass kleinere Verwertungsgesellschaften eine solche teilweise Abschaffung des Territorialitätsprinzips nicht überleben würden. Sie würden den Preis des Wettbewerbs zahlen. Auf Grund der bereits angeführten sozialen und kulturellen Bedeutung der Verwertungsgesellschaften würde ein Ende von Verwertungsgesellschaften vor allem für die Urheber, d.h. die Künstlerinnen und Künstler aller Sparten, negative Folgen haben.

 

1b) Collecting society shopping. Der Deutsche Kulturrat weist auf die Gefahr hin, dass bei Geltung des collecting society shopping Rechte von einzelnen Verwertungsgesellschaften zurückgerufen würden. Dieses würde letztlich zu einer Verkleinerung der Repertoires führen; solche Verwertungsgesellschaften könnten nicht mehr – wie bisher – das „Weltrepertoire“ zur Verfügung stellen. Der erwünschte one stop shop wäre damit endgültig zunichte gemacht.

 

1c) Simulcasting. Hinsichtlich des sog. Simulcasting-Abkommens, welches international die Vergütungsansprüche von Tonträgerherstellern bei der zeitgleichen Wiedergabe von im Hörfunk- oder Fernsehen ausgestrahlten Tonaufnahmen über das Internet regelt, ist der Deutsche Kulturrat der Auffassung, dass zwingend das Bestimmungslandprinzip gelten muss. Nur so ist eine angemessene Vergütung gewährleistet. Diese Auffassung entspricht auch der Haltung der Generaldirektion Wettbewerb zum „Simulcasting-Abkommen“.

 

2) Kulturelle Bedeutung der sog. B-Verträge. Die sog. B-Verträge, d.h. gegenseitige Abkommen, bei denen die Verwertungsgesellschaften die Entgelte für ihr Verwaltungsgebiet einziehen, aber kein Geldtransfer zu dem Vertragspartner in einem anderen Staat stattfindet, sind für gewisse Fälle sowohl unter kulturellen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll. Solche B-Verträge werden nur in Abstimmung mit den Urhebern und Rechteinhabern beider beteiligten Verwertungsgesellschaften geschlossen. Sie sollen gerade in kleineren Staaten und in den sich entwickelnden Volkswirtschaften die Partizipation an der internationalen Wissensgesellschaft ermöglichen. Darüber hinaus würden in vielen Fällen die Kosten zur Ermittlung der zu zahlenden Geldtransfers die auszuzahlenden Entgelte wahrscheinlich übersteigen. Aus Sicht des Deutschen Kulturrates ist es daher zwingend erforderlich, B-Verträge weiterhin zu zulassen. Sie stören das Funktionieren des Binnenmarktes nicht.

 

3) Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften. Unstreitig ist, dass die Verwertungsgesellschaften der Genehmigungspflicht und einer Rechtsaufsicht unterliegen sollten und größtmögliche Transparenz in ihrer Arbeit gewährleisten müssen. In der Bundesrepublik Deutschland ist diese vernünftige Forderung bereits mit dem Wahrnehmungsgesetz erfüllt. Für eine darüber hinausgehende europäische Regelung besteht deswegen aus Sicht des Deutschen Kulturrat hier kein Handlungsbedarf.

 

4) Festsetzung der Verwaltungskosten. Die deutschen Verwertungsgesellschaften sind nach demokratischen Prinzipien geordnete selbstverwaltete Organisationen der Urheber und Rechteinhaber. Die Verwaltung wird von einem von den Urhebern und Rechteinhabern kontrolliertem Management wahrgenommen. Die anfallenden Verwaltungskosten werden zu Recht von den Urhebern kontrolliert und festgelegt, da diese Kosten ihre Vergütungen schmälern. Eine Festlegung der Verwaltungskosten im Interesse der „gewerblichen Nutzer“ – wie dies die „Mitteilung“ vorsieht – würde zu Lasten der Urheber gehen und damit sozialen und kulturellen Schaden anrichten.

 

III.

Der Deutsche Kulturrat fordert die Staatsministerin für Kultur und Medien Dr. Christina Weiss und die Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries auf, in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ besonders die sozialen und kulturellen Aufgaben der Verwertungsgesellschaften zu betonen und die vom Deutschen Kulturrat vorgetragenen Argumente in ihre Überlegungen einzubeziehen. Eine Aufweichung der bestehenden Rechtstandards in der kollektiven Rechtewahrnehmung würde nicht mehr Wettbewerb im Binnenmarkt bedeuten, sondern im Gegenteil die Position der Urheber und Rechteinhaber schwächen und letztlich zu einer Verringerung des Repertoires beitragen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Bundesregierung auf, sich im Rat dafür einzusetzen, dass die Mitteilung „Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt“ nicht weiter verfolgt wird.

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