- Zehn Jahre nach TTIP: Eine Bilanz aus kulturpolitischer Perspektive
- Einladung zur Podiumsdiskussion auf dem Evangelischen Kirchentag
- Dossier-Vorschau: Hinter den Kulissen des Bundesarchivs
- Kulturmensch Andrea Tober
- Neu! Informationsflyer zum Deutschen Kulturrat
- Lesetipp: Zur Normalität und Herausforderung der Transformation im Kulturbetrieb
- Text der Woche
- Zum Schluss … Marines Phytoplankton
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zoll- und Handelspolitik haben aktuell in den Nachrichten einen hohen Stellenwert. US-Präsident Donald Trump überzieht Handelspartner mit Androhungen von Zöllen, so die EU und ihre Mitgliedstaaten, oder mit hohen Zöllen so China. Hintergrund ist u.a. das US-amerikanische Handelsdefizit. In den ersten Tagen nach den Zollankündigungen fielen die Börsenkurse, die Sorgen vor einer weltweiten Wirtschaftskrise wuchsen.
Fast schon sonderbar muten vor diesen aktuellen Ereignissen die Proteste gegen das geplante Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) in den Jahren 2015 und 2016 an. Bereits seit 2013 verhandelten die EU-Kommission, die in Handelsfragen Verhandlungsführerin für die EU-Mitgliedstaaten ist, und die USA über ein Handelsabkommen mit dem Ziel, noch vorhandene Zölle zu senken und Investitionen zu ermöglichen bzw. die Rahmenbedingungen hierfür zu verbessern. Dies erfolgte vor dem Hintergrund des Multilateralismus und einer Stärkung der weltweiten Handelsbeziehungen mit dem Ziel, die Kosten zu senken und die weltweite Wirtschaftsverflechtung voranzutreiben. Insbesondere die deutsche, außenhandelsgetriebene Wirtschaft erhoffte sich dadurch weitere Wachstumsimpulse und einen noch besseren Zugang zu den US-Märkten.
Gegen TTIP formierte sich ab 2015 in Europa und insbesondere in Deutschland massiver Widerstand. Von Seiten der Umweltverbände wurde eine Absenkung von Umweltschutz- und Verbraucherstandards befürchtet. Sinnbildlich stand dafür das Chlorhühnchen. Die Gewerkschaften fürchteten, dass Arbeitnehmerstandards gesenkt werden könnten. Und in der Kultur- und Medienszene bestand die Befürchtung das US-amerikanische Unternehmen öffentliche Kulturförderung in Anspruch nehmen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Substanz in Frage stellen könnten. Darüber hinaus wurde davor gewarnt, dass der starke Handelsraum USA und EU die wirtschaftlichen Probleme im sogenannten Globalen Süden verschärfen würden, da diese Länder keinen privilegierten Zugang zu den US-amerikanischen und europäischen Märkten erhalten sollten. Überdies wurde insbesondere von ARD mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, dass US-amerikanische Technologiekonzerne darauf drängen, eine neue Kategorie von Gütern, digitale Güter, zu etablieren und insbesondere für sich Privilegien beim Marktzugang zu beanspruchen.
Die Ironie der Geschichte ist, dass die TTIP-Verhandlungen nicht etwa aufgrund der Proteste in Europa und besonders in Deutschland auf Eis gelegt wurden, sondern mit der Wahl Donald Trumps im November 2016 zunächst nicht weiterverfolgt wurden. Die EU-Kommission konnte sich wohl seinerzeit keinen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen vorstellen. In der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden wurden die Verhandlungen nicht wieder aufgenommen.
Heute, im Jahr 2025, scheint ein multilaterales Abkommen weiter denn je entfernt. Wir sprechen heute von einer multipolaren Welt, die Vorstellung, dass durch Handelsbeziehungen sich auch Demokratie und westliche Werte durchsetzen würden, mutet geradezu anachronistisch an.
Gleichwohl denke ich, dass die TTIP-Proteste kein Fehler waren. Bereits um die Jahrtausendwende wurde im Kultur- und Mediensektor intensiv über negative Auswirkungen von Handelsbeziehungen diskutiert und davor gewarnt, dass insbesondere US-amerikanische Unternehmen eine Vormachtstellung erreichen. Das „UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ (kurz Konvention Kulturelle Vielfalt) aus dem Jahr 2005 nimmt daher insbesondere den Mediensektor, hier speziell den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den Blick und hat eine starke entwicklungspolitische Komponente. Kulturunternehmen aus dem globalen Süden sollte der Zugang zu den Kulturmärkten der westlichen Industrieländer eröffnet werden.
Weder ist es bisher gelungen, der Vormachtstellung US-amerikanischer Technologiekonzerne eine europäische Antwort entgegenzustellen, noch wurde der privilegierte Marktzugang für Unternehmen aus dem globalen Süden ermöglicht. Im Gegenteil, die Macht der US-Technologiekonzernen ist noch größer als vor zwei Jahrzehnten.
In der multipolaren Welt muss die EU an Stärke gewinnen, um wirtschaftliche Prosperität, die die Grundlage für das deutsche Sozial- und Kulturstaatmodell ist, zu ermöglichen und zu sichern. Um so wichtiger ist es auch für den Kultur- und Mediensektor die wirtschaftlichen und handelspolitischen Debatten auf EU-Ebene genau zu verfolgen und sich einzubringen. Dabei kann ein Schulterschluss mit anderen Mitstreitern, wie den Umweltverbänden und den Gewerkschaften, die auf europäischer Ebene gut aufgestellt sind, behilflich sein.
Nach zehn Jahren, muss ein eher ernüchterndes Fazit gezogen werden, TTIP ist zwar nicht gekommen, die Probleme sind trotzdem noch größer geworden.
Ihr
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann
2. Einladung zur Podiumsdiskussion auf dem Evangelischen Kirchentag
Ich lade Sie herzlich ein zur Podiumsdiskussion zu dem Thema Wie gefährdet ist die Kultur in Deutschland?
Gemeinsam mit
• Ulrike Liedtke, Präsidentin des Landtages Brandenburg
• Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins
• Bischof Christian Stäblein, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)
diskutiere ich über neue und alte Erfahrungen – insbesondere (aber nicht nur) aus Ostdeutschland.
- Was verändert sich, wenn die AfD an Einfluss gewinnt oder kommunale Macht übernimmt?
- Wo geraten kulturelle Strukturen ins Wanken – und wie können wir dem begegnen?
- Wie können sich Kultur und Kirche gegenseitig stärken und gemeinsam aktiv werden?
Termin: Freitag, 2. Mai 2025, 10:30–12:30 Uhr
Ort: Hannoversche Kulturkirche St. Markus (Apostel- und Markus-Gemeinde Hannover)
Das Podium wird verantwortet vom Deutschen Kulturrat, Deutschlandfunk Kultur und dem Kulturbüro der EKD.
3. Dossier-Vorschau: Hinter den Kulissen des Bundesarchivs
Wer das Bundesarchiv betritt, spürt sofort: Hier liegt Geschichte – nicht als verstaubte Vergangenheit, sondern als Fundament unserer Gegenwart.
Wir widmen dem Bundesarchiv ein ausführliches Dossier: über seine wechselvolle Geschichte, seine vielfältigen Bestände, seine Nutzerinnen und Nutzer – und über seine Zukunft in der digitalen Welt. Ein Plädoyer für den zentralen Kulturort Bundesarchiv, der unser gesellschaftliches Gedächtnis bewahrt.
- Das Dossier wird der Mai-Ausgabe von Politik & Kultur beigelegt.
4. Kulturmensch Andrea Tober
Ihr bisheriger Lebenslauf zeigt deutlich: Andrea Tobers Herz schlägt für die Musikpädagogik und Musikvermittlung. In Essen, Hannover und Köln absolvierte sie zunächst ein Lehramtsstudium für Musik – mit Hauptfach Flöte – und Germanistik, anschließend ein Studium der Instrumentalpädagogik. Sie unterrichtete an allgemeinbildenden Schulen und an Musikschulen, vergaß dabei nicht, selbst weiterhin aktiv zu musizieren. Es folgten verschiedene Schritte ins Kulturmanagement. Sie wurde Referentin für Kinder- und Jugendprojekte bzw. Musikvermittlung bei der KölnMusik GmbH/Kölner Philharmonie, um anschließend acht Jahre lang, von 2012 bis 2020, die Education-Abteilung der Berliner Philharmoniker zu leiten: ein Mammutjob, den sie erfolgreich stemmte. Auch als Professorin für Selfmanagement und Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin pflegt sie seit 2012 ihr „musikpädagogisches Herz“. 2013 wurde sie außerdem Jurymitglied des Förderprogramms „Kultur macht stark“, seit 2022 ist sie dort Jury-Vorsitzende. Nach der Wahl zur Prorektorin – und Beauftragte für Digitale Transformation – übernahm sie ab April 2023 die kommissarische Führung der Hochschule und wurde schließlich zur Rektorin gewählt. In dieser Funktion engagiert sie sich nicht nur weiterhin für die Belange der Pädagogik und der künstlerischen Ausbildung auf hohem Niveau, sondern kämpft zurzeit engagiert für einen auskömmlichen Etat der Einrichtung. Die Finanzierung durch den Berliner Senat steht auf der Kippe. Dagegen wehrt sich Andrea Tober – hoffentlich mit Erfolg!
5. Neu! Informationsflyer zum Deutschen Kulturrat
Mit der Neuwahl des Sprecherratsvorstands möchten wir Ihnen auch den aktualisierten Imageflyer des Deutschen Kulturrates vorstellen. Ich freue mich, Ihnen damit einen kompakten Überblick über unsere Ziele, unsere Struktur und unsere kulturpolitische Arbeit geben zu können.
Werfen Sie hier einen Blick hinein und lernen Sie den Kulturrat besser kennen.
6. Lesetipp: Zur Normalität und Herausforderung der Transformation im Kulturbetrieb
Es gibt einige kulturpolitische Themen, die ewig alt und zugleich ewig jung sind. Zu diesen Themen zählen die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler, die Debatte um „Kultur für alle“ sowie die Diskussionen um Digitalisierung oder Digitalität. In diesen Themen kristallisieren sich zentrale Fragen des Kulturbetriebs, nämlich: Wer kann wie von der Kunst leben? Wer hat welchen Zugang zu Kunst und Kultur? Und: Wie wird Kunst und Kultur verbreitet? Meine Ausgangsthese ist dabei, dass Transformation gar nichts Neues für den Kulturbetrieb ist, sondern ihm vielmehr innewohnt. Ohne stete Veränderung wäre die Kunst, wäre der Kulturbetrieb starr und auf Dauer nicht lebensfähig. Viele vermeintlich junge Fragestellungen beruhen auf alten Themen.
Im aktuellen Jahrbuch für Kulturpolitik 2023/24 (Hg. Sievers, Pfaff, Heid) widme ich mich diesem Thema in einem Beitrag „Zur Normalität und Herausforderung der Transformation im Kulturbetrieb„.
7. Text der Woche: „Den Opfern ihre Geschichte zurückgeben – Ein gemeinsamer Antrag von Union, SPD, Grünen und FDP zur Aufarbeitung von ‚Euthanasie‘ und Zwangssterilisation im Nationalsozialismus“ von Erhard Grundl
Das Bezirksklinikum Mainkofen ist heute ein freundlicher Ort mit Grünanlagen – eine Klinik mit herausragendem Ruf. Dort suchte ich vor ein paar Jahren Antworten über das Schicksal eines Familienmitglieds, von dem es schemenhafte alte Fotos gab und einen Vornamen. Der Rest war Geheimnis, Trauer und Hilflosigkeit. In Mainkofen traf ich Gerhard Schneider, den damaligen Krankenhausdirektor, der mir von Akten aus der NS-Zeit erzählte. Er hatte sie vor der Vernichtung gerettet und brachte so ins Rollen, was lange verdrängt worden war: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der eigenen Einrichtung.
- Hier lesen Sie den ganzen Beitrag.
Erhard Grundl MdB war Sprecher für Kulturpolitik und Medien der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
8. Zum Schluss … Marines Phytoplankton
Ich war Anfang April auf einer ungewöhnlichen Exkursion zur Untersuchung von marinem Frühjahrsplankton in der Biologischen Station Helgoland des Alfred-Wegener-Institutes. Es ging mir um die Schönheit und die Vielfalt der Natur.
- Hier kann man meine „Ausbeute“ ansehen.
Warum es wichtig ist, sich mit der Schönheit der Natur zu befassen, kann in dem Buch „Ohne Kultur keine Nachhaltigkeit“ nachgelesen werden.