10. KW: Heimat Spezial: Heimaterzählungen, Heimat im Doppelpack, …

... Zukunft zur Heimat machen, Heimat in ländlichen Räumen, Heimat-Texte, Neue Heimat

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Kunstblick auf die Heimat lebt von Reibung. Wenn man es sich gerade so richtig in den Heimatgefühlen gemütlich gemacht hat, dann bricht die Kunst das Heimatbild. Überhaupt gemütlich. Gemütlich oder gefällig ist der Kunstblick auf die Heimat selten und wenn, handelt es sich eher um Kitsch als um Kunst.

 

Der Gegensatz zum Gemütlichen ist ein Kernelement der Auseinandersetzung vieler Künstlerinnen und Künstler mit Heimat. In Edgar Reitz’ Filmepos „Heimat“ ist es einer der männlichen Hauptprotagnisten, Paul Simon, an dem exemplarisch die Verbindung zur Heimat, die Reibung an der Heimat und der Verlust der Heimat gezeigt werden. Paul Simon kehrt 1919 als Soldat aus dem Ersten Weltkrieg in sein Heimatdorf Schabbach zurück, das im Mittelpunkt des Heimat-Epos steht. Gleich in den ersten Szenen, in denen Paul in der Wohnküche seiner Eltern sitzt, entfaltet Reitz den inneren Konflikt von Zuhause- und zugleich Fremdsein. Paul, der spätere Radiobastler, der fernwehgetrieben den Sender Hilversum hört, verlässt eines Tages Schabbach. Einfach so. Er geht und geht und geht. Erst später erfährt der Zuschauer, dass sein Weg ihn bis nach Amerika geführt hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt Paul als erfolgreicher Geschäftsmann nach Schabbach zurück. Indirekt erfährt der Zuschauer von seiner Sehnsucht nach der Heimat, obwohl er all die Jahre kein Wort von sich hören ließ. Und ebenso indirekt wird Paul vermittelt, dass seine Heimat eben nicht mehr die ist, die er verlassen hat und dass er nicht einfach so seinen alten Platz wieder einnehmen kann. An der Filmfigur Paul Simon wird deutlich, dass Heimat das ist, was nicht mehr so ist, wie es in der Erinnerung war. Es ist der Ort der nicht in Erfüllung gehenden Sehnsucht. Dies wird insbesondere daran deutlich, auf welche Art und Weise Reitz die Veränderung von Schabbach und der in Schabbach lebenden Menschen erzählt. Damit wird aufgelöst, dass Heimatverlust oder Heimatveränderung eben nicht nur diejenigen betrifft, die ihre Heimat räumlich verlassen, sondern ebenso diejenigen, die am selben Ort bleiben. (Lesen Sie das Interview von Hand Jessen mit Edgar Reiz „Es sind immer Raum und Zeit“.)

 

Ähnliches trifft auf „Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte“ von Wilhelm Raabe zu. Raabe kontrastiert in seinem Roman das Leben des in der Heimat gebliebenen Heinrich Schaumann, der hinter der Hecke auf der Roten Schanze lebt, mit Eduard, der seinen Heimatort verließ, studierte, Schiffsarzt wurde und sich schließlich im Oranje-Freistaat niederließ. Heinrich Schaumann wurde in seiner Kindheit und Jugend als „Stopfkuchen“ gehänselt, da er dick und vermeintlich faul war. Bei seiner Rückkehr lernt Eduard einen ganz anderen Stopfkuchen kennen, einen Mann, der selbstbewusst auf der Roten Schanze, dem Anwesen seines des Mordes angeklagten Schwiegervaters, lebt, den viele Jahrzehnte zurückliegenden Mord aufklärt und seinen Schwiegervater rehabilitiert. Raabe entlarvt in seinem Roman das biedermeierliche Bürgertum. Der Außenseiter Stopfkuchen wird zum wahren Helden, der zur Wahrheit vordringt, und der weltläufige Abenteurer Eduard stellt sich als derjenige heraus, dessen Blick an der Oberfläche bleibt.

 

Beide beispielhaft genannten „Heimaterzählungen“ zeigen Spannungsfelder von Heimat auf. Diejenigen, die fern der Heimat sind, sind nicht unbedingt die Weltläufigen. Diejenigen, die in der Heimat bleiben, sind nicht unbedingt diejenigen, die verharren. Heimat ist komplexer und verstörender. Die Auseinandersetzung mit Heimat in der Kunst ist wahrscheinlich darum auch ein so spannendes Thema, weil es genau die erwähnte Reibung erzeugt. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Nicht-Mehr und dem Noch-Nicht. Es ist ein Anknüpfen an die Vergangenheit und das Gewinnen von etwas Neuem. Es ist der genaue Blick auf das vermeintliche Bekannte, um das Irritierende daran zu entdecken.

 

Die künstlerische Auseinandersetzung mit Heimat ist alles andere als Kitsch, sie ist vielmehr ein Nachspüren nach dem Vertrauten, ein Infragestellen des Bekannten. Wahrscheinlich ist darum der Kunstblick auf die Heimat auch so spannend.

 

Dieser kulturpolitische Wochenreport ist zu einem Heimat Spezial geworden. Heimat liegt einfach in der Luft.

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

Heimat im Doppelpack: Zwei Schwerpunktausgaben von Politik & Kultur erschienen

 

Heimat – Identität: Zwischen Orten, Traditionen und Politik: Was bedeutet Heimat für uns? Wie beeinflusst sie uns – gestern, heute und morgen?

 

Die Ausgabe kann hier als E-Paper geladen werden.

 

Heimat – Kunst: Zwischen Kulturerbe, Integration und Zukunftsperspektiven: Wie befasst sich Kunst und Kultur mit Heimat?

 

Die Ausgabe kann hier als E-Paper geladen werden.

 


 

Zukunft zur Heimat machen: 19. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung

 

Die 19. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) findet am 04. Juni 2019 im bcc Berlin statt.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller und die Bundesumweltministerin Svenja Schulze sprechen auf der Konferenz.

Helene Heyer von der BUND Jugend diskutiert mit Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat über den „Aufbruch zu Kultur und Nachhaltigkeit“.

 

Hier finden Sie weitere Informationen zur Tagung.

 


 

Heimat in ländlichen Räumen: CDU/CSU Bundestagsfraktion lädt zum Fachgespräch

 

Das kulturelle Leben in den ländlichen Regionen ist lebendig – und ohne Ehrenamt nicht denkbar. Engagierte vor Ort unterstützen und initiieren kulturelle Projekte in Orchestern, Chören, Theater- und Tanzgruppen, Heimat- und Kulturvereinen. Wer diese Vielfalt erhalten und stärken will, muss das Ehrenamt von Bürokratie entlasten.

 

Über die Umsetzung dieser Ziele will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diskutieren.

 

Wann: Montag, den 18. März 2019, von 12.00 bis 14.00 Uhr
Wo: Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Reichstagsgebäude, Raum 3N001, Berlin.

 

Programm:

 

Begrüßung und Einführung Gitta Connemann MdB, Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im
Deutschen Bundestag

 

Impuls Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

 

Podiumsdiskussion „Ländliche Räume und Kultur: Bewahrer – Gestalter – Impulsgeber“ mit:

 

  • Elisabeth Motschmann MdB, Kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
  • Dr. Kenneth Anders, Programmleiter des Oderbruch Museums Altranft
  • Dr. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter des Rates der EKD
  • Irene Ostertag, Geschäftsführerin des Bundes Deutscher Amateurtheater
  • Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes
  • Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur

 

Moderation Heike Götz, NDR

 

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Heimat-Texte

 

Heimat ist in aller Munde – nicht zuletzt, weil es nicht einen Heimatbegriff gibt, sondern die Suche nach Heimat und damit verbundener Identität meist ein ganzes Leben andauert. Dieses Themendossier widmet sich der Suche nach Heimat – Identität. Eine Rolle spielen dabei unter anderem Religion und Ehrenamt als identitätsstiftende Faktoren, der Gegensatz zwischen Land und Stadt, Perspektiven von Minderheiten wie Sinti und Roma oder Sorben und vieles mehr.

 

Lesen Sie hier 34 kulturpolitische Heimattexte

 


 

Neue Heimat: Haus der Kulturverbände in Berlin

 

Der Deutsche Kulturrat musste in den vergangenen Jahren mehrmals umziehen. Auch unsere derzeitigen Räumlichkeiten werden uns voraussichtlich nur noch zwei bis drei Jahre zur Verfügung stehen. Wir wissen, viele von Ihnen haben das gleiche Problem. Einige teilen durch die gleiche Adresse unser Schicksal direkt. Deshalb wird der Deutsche Kulturrat jetzt frühzeitig aktiv, um neue Büros für sich und interessierte Verbände aus dem Kulturbereich ausfindig zu machen. Ziel ist es, einen Ort in Berlin zu finden, der uns eine langfristige Perspektive bieten kann.

 

Wir bitten alle, die Interesse an einem solchen Projekt in Berlin haben, Kontakt mit Jens Kober (ed.ta1713614662rrutl1713614662uk@re1713614662bok.j1713614662) aufzunehmen.

 


 

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