Kunst und Kultur als Lebensnerv

Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Kulturfinanzierung

Berlin, den 08.10.2010. Kunst und Kultur haben eine herausragende Bedeutung für die Gesellschaft. Sie spiegeln gesellschaftliche Debatten wider, sie bieten Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, sie weisen über das alltägliche Geschehen hinaus. Kunst und Kultur sind Ausdruck des menschlichen Daseins. Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur verweist auf die Vergangenheit und den Umgang mit überbrachten Werten, sie hat zugleich eine zukunftsgerichtete Dimension und beinhaltet Visionen einer künftigen Gesellschaft. Im Umgang mit Kunst und Kultur zeigen sich also die Diskurse der Gesellschaft. Kunst und Kultur wird eine herausragende Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung beigemessen. In einer multiethnischen Gesellschaft gewinnen Kunst, Kultur und kulturelle Bildung eine zunehmende Bedeutung, um Integration zu befördern und die positiven Elemente kultureller Vielfalt herauszustellen. Im Begriff „Wandel durch Kultur“ werden diese Prozesse oftmals zusammengeführt.

 

Für jeden einzelnen Menschen sind Kunst, Kultur und kulturelle Bildung wesentlich. Kulturelle Bildung eröffnet neue Welten, sie bietet die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Kunst. Kulturelle Bildung ist eine der Voraussetzungen für individuelle Kreativität und eigenes künstlerisches Schaffen.

 

Trotz der zentralen Bedeutung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt sind diese Bereiche immer wieder von Kürzungswellen betroffen. Sie werden teilweise lediglich unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet und nur als Nutznießer und Empfänger öffentlicher Gelder aus den Taschen der Steuerzahler gesehen. Eine solche Betrachtung lässt außer Acht, dass es sich bei der Förderung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung um keine Subvention sondern vielmehr um eine Investition handelt. Angesichts der zu befürchtenden Einsparungen für die Haushaltskonsolidierung der Länder, um die Kriterien der Schuldenbremse einhalten zu können, angesichts der schwierigen finanziellen Situation der Kommunen und der Sparszenarien des Bundes befasst sich der Deutsche Kulturrat in dieser Stellungnahme mit der Kulturfinanzierung und fordert die Sicherung der kulturellen Infrastruktur in Bund, Ländern und Gemeinden.

 

Konkret erhebt der Deutsche Kulturrat folgende Forderungen:

  • Die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der kulturellen Infrastruktur gehört zu den Pflichten von Bund, Ländern und Kommunen. Die inhaltliche Ausgestaltung dieser Aufgabe obliegt der Selbstverwaltung der Kommunen bzw. den Landesparlamenten und dem Deutschen Bundestag. Es muss sichergestellt werden, dass Bund, Länder und Kommunen ihrer Verpflichtung, Kulturförderung zu leisten und kulturelle Teilhabe zu gewährleisten, nachkommen, gegebenenfalls sind hierfür gesetzliche Regelungen erforderlich.

 

  • Freiwillige Leistung Kultur bedeutet nicht, dass es sich hierbei um eine nachrangige Aufgabe handelt. Daher muss es selbstverständliche politische Vorgehensweise sein, dass zum Ausgleich der Haushalte im Rahmen der Haushaltssicherung sowohl die Pflichtaufgaben als auch die freiwilligen Aufgaben auf den Prüfstand müssen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass bei der langjährigen institutionellen Förderung von Einrichtungen ein Existenzschutz besteht, sowohl gegenüber den Bürgern als auch der Kultureinrichtung selbst. Die Kommunen müssen ihr Handeln an diesen Grundsätzen ausrichten. Die Länder sind außerdem in der Pflicht, die kommunalen Aufsichtsbehörden an diesen Grundsatz zu binden und Regelungen zu finden, die es den Kommunen in Haushaltssicherungsverfahren trotzdem ermöglicht, das kulturelle Leben in ihrer Stadt weiter angemessen zu finanzieren.

 

  • Die Kommunen müssen angemessen finanziell ausgestattet werden, um allen ihren Aufgaben nachkommen zu können. Hier ist in besonderer Weise die Gemeindefinanzkommission gefordert. Ebenso müssen tragfähige Modelle zur Entschuldung überschuldeter Kommunen entwickelt werden. Zudem sollen verschiedene Modelle zur Umlandfinanzierung geprüft werden.

 

  • Das Staatsziel Kultur muss im Grundgesetz verankert werden. Das in den verschiedenen Landesverfassungen bereits verankerte Staatsziel Kultur muss dort aktiver mit Leben gefüllt werden.

 

  • Das Haushaltsrecht muss auf den verschiedenen staatlichen Ebenen flexibler gehandhabt werden, um einen effizienten Mitteleinsatz zu ermöglichen und Bürokratiekosten zu vermeiden. Hier gilt es, die bestehenden Ermessensspielräume zu Gunsten der geförderten Kulturinstitutionen auszuschöpfen. Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ und darauf aufbauend die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ haben Vorschläge zum Bürokratieabbau bei Zuwendungsempfängern unterbreitet. Die Arbeitsgruppe Zuwendungsrecht des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation hat diese Vorschläge unterstützt. Sie wurden vom Staatsminister für Bürokratieabbau im Bundeskanzleramt aufgegriffen und sollten nun zügig umgesetzt werden.

 

  • Ein Nothilfefonds für in Not geratene Kultureinrichtungen kann eine Brückenfunktion zur Sicherung der kulturellen Infrastruktur übernehmen.

 

  • In dieser Situation weitgreifender Mittelkürzungen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk einer der wenigen Kulturträger mit verfassungsrechtlicher und politischer Finanzierungsgarantie. Durch den staatsvertraglich festgeschriebenen Funktionsauftrag auf den Feldern der Information, Bildung, Unterhaltung und Kultur wächst den Rundfunkanstalten eine besondere Verantwortung zu. Neben der Ausweitung seiner Kulturberichterstattung müssen sie noch stärker als bisher als Förderer und Unterstützer des unabhängigen Kulturschaffens tätig werden. Diese Verpflichtung muss von den Sendern deutlicher als bisher umgesetzt werden.

 

  • Die Kirchen sind gefordert, Kunst und Kultur einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Dabei gilt es, neben der Pflege des kulturellen Erbes insbesondere die zeitgenössischen Künste in den Blick zu nehmen und in Förderprogrammen bzw. Aufträgen zu berücksichtigen.

 

  • Stiftungen sind in besonderer Weise gefordert, die zeitgenössische Kunst und Kultur zu unterstützen und damit einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Kunst und Kultur zu leisten. Sie sollten ein besonderes Augenmerk auf die Nachhaltigkeit ihrer Fördertätigkeit richten und dabei auch längerfristige Verpflichtungen eingehen. Ebenso bestehen weitere Potenziale in der Zusammenarbeit von Stiftungen.

 

  • Die kulturelle Infrastruktur wird geprägt durch unterschiedliche künstlerische Sparten sowie die Vielfalt an Trägern. Zur Sicherung der kulturellen Vielfalt ist es unerlässlich, die Vielfalt von Trägern, Einrichtungen und Angeboten zu erhalten und im Dialog mit den Kulturverbänden weiterzuentwickeln bzw. den gesellschaftlichen Herausforderungen anzupassen.

 

  • Weiter gilt es, auf kommunaler und regionaler Ebene weitere Formen wie z.B. Kulturabgaben auszuloten und zu erproben.

 

Begründungen

Wenn von der kulturellen Infrastruktur gesprochen wird, sind in erster Linie die Einrichtungen in den Städten und Gemeinden gemeint, die die Unterhaltsträger der Mehrzahl der deutschen Kultureinrichtungen sind. Hier arbeiten die Künstlerinnen und Künstler der verschiedenen künstlerischen Sparten (Musik, darstellende Kunst, bildende Kunst, Literatur, Baukultur, Design, Film und Medien) freiberuflich oder in Festanstellungen. Hier findet die konkrete Arbeit der verschiedenen Kulturinstitutionen und Einrichtungen der kulturellen Bildung wie beispielsweise Archive, Atelierhäuser, Bibliotheken, Jugendkunstschulen, kommunalen Kinos, Konzerthäuser, Museen, Musikschulen, soziokulturelle Zentren, Theater genauso wie die Kunstvereine, die verschiedenen Laiengruppen und vieles andere mehr.

 

Kunst und Kultur sind daher ein zentraler Lebensnerv von Städten und Gemeinden. Hier liegt die potenzielle Basis für die kreative Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit der Zukunft der Gesellschaft. Ein lebendiges kulturelles Leben macht eine Stadt oder Gemeinde lebenswert und attraktiv. Es stiftet Gemeinschaft, bietet Anregung und Unterhaltung. Kunst und Kultur tragen wesentlich zur Identifikation mit dem Gemeinwesen bei. Hieraus ergeben sich positive Wirkungen auf die Gesamtgesellschaft, da Menschen, die sich mit dem Gemeinwesen identifizieren, oft auch in anderen gesellschaftlichen Feldern aktiv sind.

 

Beim Rückblick auf die letzten drei Dekaden kann zum einen festgehalten werden, dass insbesondere in den 1980er Jahren in der alten Bundesrepublik ein Ausbau der kulturellen Infrastruktur stattfand. Dieser Ausbau fand nicht nur in neuen Museumsbauten seinen Ausdruck, sondern auch in der Ausdifferenzierung der kulturellen Bildungslandschaft. So entstanden die Jugendkunstschulen als neuer Einrichtungstyp, die Museums- und Theaterpädagogik etablierten sich, soziokulturelle und Stadtteilkulturzentren entstanden im Schnittfeld von sozialer, künstlerischer und kultureller Bildungsarbeit. Kommunale Kinos wurden gegründet. Kunst- und Musikhochschulen fanden einen regen Zulauf und neue Ausbildungseinrichtungen, speziell für Film und neue Medien, wurden gegründet. Mit den Künstlerfonds wurde eine staatsferne Form der Mittelvergabe im Bereich individueller Künstlerförderung etabliert.

 

In den letzten zwei Jahrzehnten fand in den westlichen Bundesländern eine Reduzierung der kulturellen Infrastruktur statt, wie zum Beispiel bei Bibliotheken, die ihre Zweigstellennetze verkleinern mussten. Jene Einrichtungen und Arbeitsfelder, die auf eine erst kurze Geschichte zurückblicken wie z.B. einige kulturpädagogische Einrichtungen und freie Projekte, haben im Vergleich zu den etablierten Arbeitsfeldern und Einrichtungen oft eine deutlich unsicherere Finanzbasis.

 

In den östlichen Bundesländern fand nach dem fundamentalen Systemwechsel in den vergangenen zwanzig Jahren ein grundlegender Wandel des kulturellen Lebens statt. Neue Formen von Einrichtungen und Vereinen entstanden. Kulturinstitutionen wurden baulich und inhaltlich modernisiert. Mit dieser Entwicklung verbunden waren und sind Schließungen bzw. Fusionen von Kultureinrichtungen. Dieses zog einen beträchtlichen Personalabbau nach sich. Die privatwirtschaftliche Kulturwirtschaft entwickelt sich relativ langsam. Viele Künstler konnten und können in den marktwirtschaftlichen Strukturen der Kulturwirtschaft nicht Fuß fassen.

 

Kulturförderung: Aufgabe des öffentlichen, des gemeinnützigen und des privatwirtschaftlichen Kulturbetriebs

In seiner Stellungnahme orientiert sich der Deutsche Kulturrat an den drei Sektoren:

  1. öffentlich finanzierter Kulturbereich,
  2. privatwirtschaftlicher Kulturbereich,
  3. gemeinnütziger Kulturbereich, Kirchen und gebührenfinanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

Öffentlich finanzierter Kulturbereich (1. Sektor)

Werden die öffentlichen Kulturausgaben in Deutschland nach den verschiedenen staatlichen Ebenen differenziert, wird deutlich, dass nach wie vor die Gemeinden den größten Teil der Kulturfinanzierung übernehmen, nämlich 52,3 %. Auf die Länder entfallen laut Kulturfinanzbericht 2008 36,6% und auf den Bund 11,1%. Viele Kommunen befinden sich aber in einer finanziellen Situation, die die Aufgabenerfüllung durch die Kommunen gefährdet. Kommunen mit einem hohen Hauhaltsdefizit unterliegen der Haushaltssicherung und ihre Haushalte müssen jeweils von der Kommunalaufsicht genehmigt werden. Einige Kommunen haben bereits so hohe strukturelle Defizite, dass selbst bei größten Sparanstrengungen eine Entschuldung nicht gelingen kann. Dem im Jahr 2008 erschienen Kulturfinanzbericht ist zu entnehmen, dass die Kulturausgaben von 1995 bis 2007 angestiegen sind, bei einer preisbereinigten Betrachtung sind sie allerdings gesunken.

 

Eine wichtige Informationsquelle zur Kulturfinanzierung durch Bund, Länder und Gemeinden sind die alle zwei Jahre erscheinenden Kulturfinanzberichte, die vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämtern gemeinsam herausgegeben wurden. Die in diesen Berichten dargestellten Zeitreihen zur Kulturfinanzierung geben über deren Entwicklung Auskunft. Sie zeigen auch, dass die Kulturhaushalte nur marginale Anteile an den Gesamthaushalten der verschiedenen Gebietskörperschaften haben.

 

Sowohl die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ als auch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ haben die herausragende Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements, sei es als Zeit- oder als Geldspende, für das kulturelle Leben in Deutschland unterstrichen. Dieses bürgerschaftliche Engagement ist eine Bereicherung in der Arbeit der Kultureinrichtungen sowie für das kulturelle Leben insgesamt, es kann die hauptamtliche Arbeit im Kulturbereich aber nicht ersetzen.

 

Privatwirtschaftlicher Kulturbereich (2. Sektor)

Die Kultur- und Kreativwirtschaft repräsentiert den privatwirtschaftlichen Kulturbereich. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind bestrebt, durch den erwerbswirtschaftlichen Verkauf kulturwirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen Gewinn zu erzielen. Im privatwirtschaftlichen Kulturbereich, der bei den Künstlern, den Schöpfern von Kunst und Kultur, beginnt und über Verwerter wie Verlage, Film- und Fernsehproduzenten bis hin zum Einzelhandel mit Kunst und Kultur in Galerien oder Buchhandlungen reicht, werden Kunst- und Kulturgüter produziert und distribuiert. Der privatwirtschaftliche Kulturbereich steht mit den anderen Kulturbereichen in enger Wechselwirkung und ist Teil der kulturellen Infrastruktur.

 

Gemeinnütziger Kulturbereich, Kirchen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk (3. Sektor)

Ein wesentlicher Teil des kulturellen Lebens wird durch gemeinnützige Kulturvereine und -institutionen, -stiftungen, die Kirchen sowie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestaltet. Bürgerschaftliches Engagement ist dabei in weiten Teilen ein tragendes Element des kulturellen Lebens. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ bezeichnete in ihrem Schlussbericht (Bundestagsdrucksache 16/7000) den Bürger als den wichtigsten Finanzier von Kunst und Kultur und zwar in erster Linie als Marktteilnehmer, in zweiter Linie als bürgerschaftlich Engagierter und erst in dritter Linie als Steuerzahler.

 

Ein besonderes Verdienst der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ist es, den bedeutenden Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben in Deutschland herausgestellt zu haben. Dabei setzen sie sowohl in der kulturellen Breitenarbeit und der kulturellen Bildung als auch in der Kunstförderung Akzente.

 

Von großer Bedeutung für den Kulturbetrieb ist weiter der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er ist nicht nur Auftraggeber für Künstler und Kulturproduzenten verschiedener Sparten. Er ist als Kulturproduzent zugleich selbst Teil des Kultur- und Medienbetriebs und berichtet über Kunst und Kultur. Darüber hinaus ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein wichtiger Live-Kulturveranstalter.

 

Verflechtungen im Kulturbetrieb

Mit dem Begriff Kulturbetrieb wird ein sehr komplexer und umfassender gesellschaftlicher Bereich zusammengefasst. Es gehören dazu die Künstler, die den kreativen Kern des Bereiches bilden. Die steuer- bzw. gebührenfinanzierten Kultureinrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Theater, soziokulturelle Zentren, kommunale Kinos, Musikschulen usw. sind Auftraggeber oder Arbeitgeber für Künstler, sie sind Abnehmer künstlerischer Werke oder Dienstleistungen, sie sind Anbieter künstlerischer Produktionen bzw. Dienstleistungen im Bereich der kulturellen Bildung. In den Kulturvereinen und -initiativen können Bürger selbst künstlerisch aktiv werden. Kulturvereinigungen und -projekte präsentieren Kunst und Kultur und bieten Räume für Auseinandersetzungen. Die Unternehmen der Kulturwirtschaft verwerten künstlerische Werke, sie präsentieren Künstler und sind Anbieter kultureller Dienstleistungen. Alle Bereiche des kulturellen Lebens haben auch eine wirtschaftliche Bedeutung als Auftraggeber für die gewerbliche Wirtschaft und den Dienstleistungssektor vor Ort. Die kulturelle Bildung ist integrativer Bestandteil des kulturellen Lebens und bietet Zugangschancen zu Kunst und Kultur.

 

Alle Bereiche des kulturellen Lebens sind eng miteinander verbunden und stehen in zahlreichen Wechselwirkungen. Veränderungen in einem Bereich wirken sich auch auf die anderen aus. Daher betreffen Kürzungen der öffentlichen Kulturausgaben alle Bereiche des kulturellen Lebens und nicht nur die öffentlichen Kultureinrichtungen selbst.

 

Das bürgerschaftliche Engagement ist eine Bereicherung des kulturellen Lebens. Es kann hauptamtliche Arbeit in Kultureinrichtungen nicht ersetzen, es ist im Gegenteil für eine produktive, sinnerfüllte Zusammenarbeit mit Freiwilligen oftmals der zusätzliche Einsatz von hauptamtlichen Personal erforderlich. Zugleich sind bürgerschaftlich Engagierte oftmals die besten Werbeträger für Kultureinrichtungen und setzen sich nachhaltig für deren Erhalt ein. Insbesondere die verschiedenen Freiwilligendienste im In- und Ausland tragen dazu bei, dass sich zum einen junge Menschen für Kunst und Kultur engagieren oder zum anderen in generationsübergreifenden Freiwilligendiensten aktiv dem demografischen Wandel stellen.

 

Das Leben in der Stadt, aber auch in den Kreisen und Regionen wird zu einem großen Teil von einem lebendigen kulturellen Leben geprägt. So entsteht eine auch identitätsstiftende Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger. Das kulturelle Leben eröffnet Teilhabechancen, es bietet aber auch Chancen der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, und es ist Ausdruck des menschlichen Zusammenlebens.

 

Strukturreformen im Kulturbereich

Seit gut zwanzig Jahren ist der öffentliche Kulturbereich auch ein Feld für Reformen verschiedenster Art. Insbesondere in den 1990er Jahren wurden Rechtsformänderungen in Kultureinrichtungen vorgenommen. Die Überführung in privatwirtschaftliche Rechtsformen sollte vor allem einer Entbürokratisierung dienen. Rückblickend kann gesagt werden, dass durch Rechtsformänderungen weniger Effekte erzielt wurden als zunächst erhofft. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Bindung der Kultureinrichtungen und -institutionen an das öffentliche Haushaltsrecht liefen manche der Reformen ins Leere. Für eine öffentlich finanzierte Kultureinrichtung ist die Rechtsform zwar eine wichtige Größe, sie hat aber weniger Einfluss auf deren Effizienz und Effektivität, als zunächst angenommen wurde. Darüber hinaus dürfen potenzielle negative Aspekte wie Tarifflucht und die Möglichkeit der Insolvenz bei Kultureinrichtungen in der Form einer GmbH nicht außer Acht gelassen werden.

 

Die in den letzten Jahren umgesetzten Reformen des Stiftungsrechts und des Gemeinnützigkeitsrechts haben positive Wirkungen im Kulturbereich. Mit ihrer Hilfe können die grundlegenden Probleme der Kulturfinanzierung aber nicht gelöst werden, da das Volumen der privaten Förderung durch Stiftungen und Vereine im Vergleich zum tatsächlichen Bedarf zu gering ist. Gerade mit Blick auf privatrechtliche Stiftungen ist überdies festzustellen, dass sie in den seltensten Fällen bereit sind, langfristige Verantwortung für Kulturinstitutionen oder -projekte zu übernehmen, sondern sich eher entsprechend ihren selbst gesteckten Zielen temporär engagieren.

 

Aktuelle Herausforderungen

Die Städte und Gemeinden werden aller Voraussicht nach im Jahr 2010 das größte Haushaltsdefizit seit Gründung der Bundesrepublik meistern müssen. Dieses akute Defizit, das das in vielen Kommunen bestehende strukturelle Defizit noch verschärft, wird sich unweigerlich auch auf die öffentliche Kulturfinanzierung auswirken. Insbesondere in Ländern, in denen die Kultur vornehmlich von den Kommunen finanziert wird, wird der Kulturbereich vor Einsparungen nicht verschont bleiben können. Die im Jahr 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird besonders in den Ländern zusätzlich zu Ausgabenkürzungen führen müssen, da ansonsten die selbst gesteckten Finanzziele nicht erreicht werden. Es ist bereits sichtbar geworden, dass viele Länder im Kulturbereich Einsparungen vornehmen werden.

Zusätzlich wirkt sich die Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 sich in sinkenden Steuereinnahmen aus. Die öffentlichen Haushalte trifft die Wirtschafts- und Finanzkrise mit einer Verzögerung. Dadurch wird sich die oben skizzierte Situation noch einmal verschärfen.

 

Weder Stiftungen noch die Kirchen werden die durch die Einsparungen der öffentlichen Hände entstehenden Effekte auffangen können.

 

Insgesamt ist zu befürchten, dass die Schließung von Kultureinrichtungen und ein weiterer Beschäftigungsabbau im Kulturbereich drohen. Der Abbau an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Kulturbereich wird zu einer Zunahme an freiberuflichen Kunstschaffenden führen, die dann ohne arbeitsvertragliche Absicherung in ihrem Beruf weiterarbeiten müssen. Dieses wiederum trägt zu einem Anstieg der in der Künstlersozialversicherung Versicherten bei. Deren Versicherungsbeitrag zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung wird zur Hälfte von ihnen selbst, zu 30% von den Verwertern künstlerischer Leistungen und zu 20% von einem Bundeszuschuss finanziert. Die Künstlersozialversicherung ist eine wichtige kultur- und sozialpolitische Einrichtung. Eine Zunahme der Versicherten muss unter den gegebenen Bedingungen zwangsläufig nach eine Erhöhung des Bundeszuschusses nach sich ziehen. Darüber hinaus fallen bereits heute viele Künstler durch die Netze der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. der freien künstlerischen Tätigkeit. Sie müssen sich trotz geringer Einkommen ausschließlich privat sozial absichern.

 

Gesellschaftliche Herausforderungen

Über die genannten finanziellen Herausforderungen hinaus wirken sich auch gesellschaftliche Veränderungen auf den Kulturbereich aus. Der demografische Wandel wird vielfach mit dem Slogan „älter, bunter, weniger“ umschrieben. Dahinter verbirgt sich zum einen, dass in einigen Regionen Deutschlands die Bevölkerungszahl durch Abwanderung drastisch abnimmt. Die politisch Verantwortlichen stehen vor der Frage, ob die geringere Bevölkerungszahl dazu führen muss, auch das kulturelle Angebot auszudünnen oder ob Kultur einen Beitrag dazu leisten kann, dass eine Region so attraktiv wird, dass wieder Menschen dorthin ziehen. Neben der sinkenden Bevölkerungszahl ändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung. Ferner nimmt die Zahl der älteren Menschen zu und die der jüngeren ab. Dieses bietet auf der einen Seite die Chance, allen Kindern und Jugendlichen tatsächlich den Zugang zu Kunst und Kultur auf breiter Ebene zu ermöglichen, wenn das bisherige Angebot erhalten bleibt. Auf der anderen Seite muss das Angebot für ältere Menschen ausgeweitet werden, zumal viele von ihnen bis in das hohe Alter geistig und körperlich aktiv bleiben. Die dritte Herausforderung des demografischen Wandels ist der steigende Anteil, den Migranten an der Gesamtbevölkerung haben. An alle Akteure des kulturellen Lebens muss die Frage gerichtet werden, ob das Thema interkulturelle Öffnung auf ihrer Agenda steht und welche Folgen die von der Bundesrepublik ratifizierte UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Ausdrucksformen mit Blick auf die kulturelle Teilhabe und die kulturellen Ausdrucksformen von Migranten hat.

 

Die skizzierten gesellschaftlichen Herausforderungen stellen die Kultureinrichtungen und -institutionen vor neue Aufgaben. Ihre Zukunftsfähigkeit wird auch davon abhängen, wie sie diese neuen Aufgaben meistern werden und ob sie sie als Chance zur Weiterentwicklung begreifen. Viele Kultureinrichtungen und -institutionen nehmen bereits die Herausforderungen an. Sie sollten für ihre in die Zukunft gerichteten Schritte einen Bonus erhalten, statt dass das Verharren beim Bestehenden belohnt wird. In einem kulturpolitischen Diskurs gilt es auch die kulturelle Infrastruktur einer Überprüfung zu unterziehen, inwiefern sie den künftigen Anforderungen gerecht wird. Dabei sind neben ökonomischen Parametern vor allem kulturpolitische Kriterien anzulegen, nach denen die kulturelle Infrastruktur gemessen und bewertet werden sollte.

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