Berlin, den 12.10.2021. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert, dass der Kultur- und Kreativwirtschaft in der kommenden Legislaturperiode mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und dass die Rahmenbedingungen für die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft grundlegend verbessert werden.
Wie bereits in der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aus dem Jahr 2005 formuliert wurde, haben Kulturgüter und -dienstleistungen einen Doppelcharakter. Sie sind zugleich Wirtschaftsgüter und Träger von Ideen und Werten. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von anderen Wirtschaftsgütern, Waren und Dienstleistungen, weshalb sowohl auf europäischer als auch deutscher Ebene bei internationalen Handelsabkommen ein besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen auf Kunst und Kultur, mithin die Kultur- und Kreativwirtschaft, gerichtet werden muss. Die Doppelrolle, die auch die Kultur- und Kreativwirtschaft hat, kommt u.a. darin zum Ausdruck, dass sie wichtige Aufgaben in der Kulturentwicklung, Publikums-entwicklung und nicht zuletzt der kulturellen Bildung übernimmt und damit ein wesentlicher Bestandteil des gesamten Kultursektors ist.
Bei aller Unterschiedlichkeit der verschiedenen kulturellen Branchen – Musik, darstellende Kunst und Tanz, Literatur, bildende Kunst, Architektur und Denkmalkultur, Design, Film, Audio und Audiovisuelle Medien – eint die Kultur- und Kreativwirtschaft, dass sie für den marktwirtschaftlichen Teil des Kultur- und Medienbereiches steht. Dabei bestehen enge Wechselwirkungen sowohl zum Non-Profit-Sektor als auch zum öffentlichen Kultur- und Medienbetrieb. Den Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft ist jedoch gemeinsam, dass sie am Markt ökonomisch bestehen müssen. Eigeninitiatives unternehmerisches Handeln gehört hierzu. Dabei bewegen sich Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Unternehmen stets im Spannungsfeld zwischen künstlerisch-ästhetischen Aspekten, technologischen und ethischen Fragen, gesellschaftlichen Identifikationsmomenten und wirtschaftlichem Erfolg.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine Zukunftsbranche mit langer Geschichte und Tradition. Sie reicht von Handwerksbetrieben, die jahrhundertealte Techniken lebendig erhalten und weitergeben, bis zu Start-ups, die neue Technologien, wie künstliche Intelligenz und Algorithmen, einsetzen. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bilden einen eigenen Wirtschaftszweig. Sie sorgen gleichermaßen für ein vielfältiges Angebot an Bewährtem und Innovativem.
Zur Kultur- und Kreativwirtschaft gehören Solo-Selbständige, inhaber- oder kollektivgeführte kleine und mittelständische Unternehmen und große, teils börsennotierte Unternehmen. Die verschiedenen Unternehmen eint, dass sie auf den unterschiedlichen Ebenen der Wertschöpfungskette mit Kunst, Kultur, Medien, Kommunikation und Kreativität Geld verdienen.
Die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind wichtige Arbeitgeber. Laut Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020 waren in der Branche im Jahr 2019 mehr als 1,2 Mio. Kernerwerbstätige und rd. 600.000 geringfügig Erwerbstätige tätig. Den größten Teil der Erwerbstätigen stellen die rd. 975.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, sie machen 53 Prozent der Gesamterwerbstätigen der Branche aus. Fast 300.000 sind geringfügig Beschäftigte. Die Selbständigen stellen rd. 30 Prozent der Gesamterwerbstätigen. Von den Selbständigen erzielen rd. 300.000 einen Jahresumsatz unter 17.500 Euro und rd. 260.000 einen Jahresumsatz über 17.500 Euro. Viele Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Ausbildungsbetriebe im Dualen Ausbildungssystem und übernehmen damit Verantwortung für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses.
Die Covid 19-Pandemie hat bei nicht wenigen Unternehmen aller Branchen und Größenordnungen zum Teil tiefe Spuren hinterlassen – dies gilt auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Hier werden die Auswirkungen zum Teil noch in den nächsten Jahren zu spüren sein, da sich Umsatzeinbrüche in den Verwertungsketten teilweise erst mit Verzögerung bemerkbar machen. Der Deutsche Kulturrat hat sich in diversen Stellungnahmen im Jahr 2019, 2020 und 2021 zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler positioniert, so dass auf diesen wichtigen Aspekt hier nicht eingegangen, sondern auf die bestehenden Positionen verwiesen wird[1]. Auch hat er Vorschläge für adhoc-Maßnahmen, speziell bei den Wirtschaftsförder-programmen vorgelegt. Auf sie wird ebenso verwiesen[2].
Es geht nun darum, in die Zukunft zu blicken und die Weichen dafür zu stellen, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer sowie die Unternehmen weiterhin erfolgreich am Markt agieren können. Der Deutsche Kulturrat konzentriert sich daher in dieser Stellungnahme auf die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln und bezieht sich auf die Wertschöpfungskette von der künstlerischen und kreativen Arbeit bis hin zum Verkauf an die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Zu Beginn der Wertschöpfungskette
Bei künstlerischen Leistungen steht zu Beginn der Wertschöpfungskette sehr oft das Werk und damit die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern. Künstlerische und kreative Tätigkeiten verlangen oftmals lange Ausbildungen, auf die in einigen Berufen bereits im Kindesalter vorbereitet wird. Zur künstlerischen und kreativen Arbeit gehört die stetige weitere Auseinandersetzung mit dem Material, den Ausdrucksformen und aktuellen Entwicklungen.
Neben den künstlerischen Leistungen im engeren Sinne gehören auch kreative Dienstleistungen zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Hier beginnt die Arbeit sehr oft mit dem genauen Erkunden der Kundenwünsche und der Operationalisierung von anfangs teils diffusen Ideen der Auftraggeber durch Fachleute.
Beide, die künstlerische, eigenschöpferische Arbeit und die kundenorientierte, kreative Dienstleistung, sind wesentliche Grundlagen für die weitere Wertschöpfungskette in der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Aber die kreative Leistung allein schafft noch kein Kulturgut, das auch als Wirtschaftsgut erfolgreich ist. Um Kreativleistungen zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu führen, bedarf es funktionierender, mit bestmöglichen Rahmen-bedingungen versehener Wertschöpfungsprozesse, damit alle an der Wertschöpfung Beteiligten wirtschaftlich partizipieren können.
- Der Deutsche Kulturrat erinnert daher an seine Forderungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler sowie andere Solo-Selbständige, speziell in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, sowie an die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand bei der Vergütung von Solo-Selbständigen. Weiter muss gerade die öffentliche Hand bei der Vergabe von Aufträgen an kreative Dienstleister die bestehenden Möglichkeiten der Vergabeordnung offensiv nutzen und dabei die Expertise von ausgewiesenen Spezialisten bereits bei der Ausschreibung hinzuziehen.
Investitionen mit hohem Risiko
Ob sich die Investition in einen Künstler oder eine Künstlerin, in eine künstlerische Idee, ein Werk rentiert, ist nicht selten ungewiss. Weil die Produkte auf Basis kreativer Leistungen sehr oft auf kollaborativen Leistungen vieler Kreativer beruhen, bedeuten die Investition in einen Künstler oder eine Künstlerin eben auch, in die hochwertige Produktion von Vermarktungsinstrumenten wie z.B. Fotos oder Grafiken und schließlich in die datengesteuerte Vermarktung der entsprechenden Produkte zu investieren. Viele Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft setzen auf junge Talente oder Angebotsinnovationen, bei denen unklar ist, ob ihre Arbeit oder ihre Angebote tatsächlich auf die wirtschaftlich erforderliche Resonanz stoßen und sich die Investition zumindest amortisiert. Viele Kulturgüter sind überdies mit hohen Anfangsinvestitionen verbunden. Die Refinanzierung von Angeboten und Investitionen ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft aber unverzichtbar.
- Der Deutsche Kulturrat fordert die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen u.a. gegenüber dem öffentlichen Sektor, Infrastrukturanbietern und digitalen Plattformen. Es gilt abzusichern, dass die Träger von Investitionen und wirtschaftlicher Risiken auch die Profiteure des wirtschaftlichen Erfolgs sind und nicht nur eventuelle Verluste allein ausgleichen müssen. D.h. auch die Lizenz-Architektur der verschiedenen Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft auf Basis des freien Marktes gilt es, mit einem robusten Rechtsrahmen zu stärken.
Rechtlichen Rahmen verbessern
Ohne adäquate Rahmenbedingungen wird der Kultur- und Kreativwirtschaft ein Anknüpfen an die vorpandemischen Erfolge nur sehr schwer gelingen. Bestehende Verwaltungsvorschriften sind daher auf vorhandene Hürden zu prüfen.
Wesentlich ist, dass das Urheberrecht als Marktordnungsrecht der Kultur- und Kreativwirtschaft wahrgenommen und gesichert wird, dass aus der Erarbeitung und der Verwertung künstlerischer Leistungen ein wirtschaftlicher Ertrag gezogen werden kann und zwar unabhängig davon, ob die Leistung physisch oder im digitalen Raum angeboten wird. Digitale Angebote, ob von Künstlerinnen und Künstlern oder von Unternehmen, müssen monetarisiert werden können. Nur so werden sich weitere Investitionen in die digitale Verbreitungsformen lohnen und der Vormachtstellung US-amerikanischer Unternehmen entgegengetreten werden können. Marktpluralität und Programmvielfalt sind für innovative und kreative Prozesse in der Kultur- und Kreativwirtschaft unverzichtbar.
Für den Zugang und die Vermarktung spielen digitale Infrastrukturen und Plattformen für die Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft eine immer größere Rolle. Daher ist eine interessensgerechte Gesetzgebung u.a. in den Bereichen Datenschutz, Verbraucherschutz, Jugendmedienschutz, Werberecht und Plattformregulierung unerlässlich, damit die Kultur- und Kreativwirtschaft ihre Rolle als Innovationstreiber und gesellschaftlicher Resonanzboden umfassend wahrnehmen kann.
Zu den Rahmenbedingungen zählt weiter das Steuerrecht. Drängend sind hier Fragen der Besteuerung im Kunsthandel sowie der Besteuerung ausländischer Künstlerinnen und Künstler, die in Deutschland tätig sind und von deutschen Künstlerinnen und Künstlern, die im Ausland tätig sind.
Bei der Entwicklung von Förderprogrammen muss der Fachverstand aus den Branchenverbänden frühzeitig und besser einbezogen werden. Sie kennen die Anforderungen der jeweiligen Branche, sie wissen um Bedarfe und die wirtschaftliche Situation. Im Dialog entwickelte Förderprogramme sind passgenauer. Das Gesellschafts- und Zuwendungsrecht gilt es, den aktuellen Anforderungen in Unternehmen anzupassen und hier beispielsweise die Möglichkeiten Rücklagen zu bilden, zu verändern.
- Der Deutsche Kulturrat fordert, Kultur- und Kreativwirtschaft sowohl auf der politischen als auch der administrativen Ebene in der nächsten Bundesregierung angemessen zu verankern. Die Branche braucht Ansprechpartner, die einen kontinuierlichen Dialog pflegen und nicht erst in Krisenzeiten auf die Branche aufmerksam werden. Dazu zählt auch, dass künftig bei Gesetzesvorhaben auf Bundesebene geprüft wird, welche Auswirkungen diese auf die Kultur- und Kreativwirtschaft haben könnten.
Fachkräfte sichern
Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft sind wichtige Ausbildungsbetriebe, die auf eine Karriere in der Branche vorbereiten. Ihre Ausbildungsangebote richten sich auch an jene jungen Menschen, die nach einem mittleren Schulabschluss eine Tätigkeit im Kultur- und Medienbereich anstreben. Es zeichnet sich seit einigen Jahren ein Fachkräftemangel in einigen Branchen ab, der auf unterschiedlichen Gründen beruht und sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt hat, da Fachkräfte in anderen Branchen abgewandert sind. Dem gilt es entgegenzuwirken.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft bietet Perspektiven für Menschen aus allen Bereichen und mit vielfältigen Lebensläufen. Sie bietet Freiraum sich auszuprobieren und gerade auch Menschen ohne formale Ausbildung Entwicklungsperspektiven. Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme sind daher für die Branche von besonderer Bedeutung.
- Der Deutsche Kulturrat fordert deshalb bei der Berufsberatung besser über die Ausbildungswege und Karrierechancen in der Kultur- und Kreativwirtschaft zu informieren. Weiter müssen die Weiterbildungsmöglichkeiten durchlässiger werden, um zu einer höheren Attraktivität der Berufe beizutragen.
Nachhaltige Entwicklung
Einige Branchen und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft haben bereits eine Vorreiterrolle in der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen der UN-Agenda 2030 übernommen. Dazu gehören u.a. betriebsökologische Aspekte, Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und inklusive Angebote. Andere Branchen, beispielhaft seien Architektur- sowie Designwirtschaft genannt, sind unmittelbar gefordert, nachhaltige Produkte zu entwickeln bzw. die Bildung von CO² zu minimieren. Hier gibt es bereits innovative Ansätze, die in viel stärkerem Maße bekannt gemacht und genutzt werden sollten.
- Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass bei Beschaffungen durch die öffentliche Hand neben dem Preis die Nachhaltigkeit der jeweiligen Beschaffung zu einem wesentlichen Bewertungskriterium wird. So können Anreize geschaffen werden, Ideen für nachhaltige Produkte zur Marktreife weiterzuentwickeln und diese anzubieten.
[1] Folgende Stellungnahmen wurden vom Deutschen Kulturrat vorgelegt:
- Deutscher Kulturrat plädiert für faire und angemessene Vergütung von Solo-Selbständigen im Kulturbereich (07.07.2021)
- Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Initiative der Generaldirektion Wettbewerb „Collective bargaining agreements for self-employed – assessing the scope application of EU competition rules“ (28.05.2021)
- Soziale Absicherung von Solo-Selbständigen gewährleisten – Künstlersozialabgabe weiter stabilisieren (21.04.2021)
- Arbeitslosenversicherung: Zugang für Selbständige verbessern (27.12.2020)
- Grundrente zeitnah verabschieden – Berechnungsfaktor ändern (13.05.2020)
- Altersvorsorgepflicht für Selbständige (19.12.2019)
- Altersarmut von Künstlerinnen und Künstlern: Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung jetzt (30.06.2019)
- Selbständigkeit sichern – Scheinselbständigkeit entgegentreten (09.01.2019)
[2] Folgende Stellungnahmen wurden vom Deutschen Kulturrat vorgelegt:
- Sonderfonds für Kulturveranstaltungen endlich auf den Weg bringen (23.03.201)
- Kultur- und Kreativwirtschaft jetzt stützen und Perspektiven geben (09.12.2020)
- Konjunkturprogramm für die Kultur – Resolution des Deutschen Kulturrates (30.04.2020)